# taz.de -- Das Filmfeuilleton der „FR“: Als das Sehen noch lehrbar war
       
       > Kritische Theorie und Kino. Kracauer und Adorno. Das waren die
       > Referenzpunkte einer legendären Zeit der Filmkritik in der „FR“ in den
       > 70er, 80er Jahren.
       
 (IMG) Bild: Was die Filmkritiker Schütte, Koch und Witte in der „Frankfurter Rundschau“ betrieben, war insofern besonders, als es ein Labor war.
       
       In der Geschichte der Frankfurter Rundschau gibt es etwas, was einem Stern
       gleicht. Obwohl es schon lange verglüht ist, leuchtet es und wird auch noch
       dann leuchten, wenn die Zeitung im Museum des Jahres 2013 verschwunden sein
       wird. Die Rede ist von der besonderen Gestalt, die die Filmkritik der
       Rundschau in den 70er und 80er Jahren annahm.
       
       Untrennbar verbunden ist sie mit drei Autoren, mit Wolfram Schütte, Gertrud
       Koch und Karsten Witte. Die drei versuchten sich an etwas, was heute
       nurmehr als Ausnahme vom journalistischen Alltag geduldet wird. Sie
       vermischten akademisch-theoretische und feuilletonistische Schreibweisen.
       
       Filmgeschichte, Theorie und Kritik bildeten für sie einen Zusammenhang,
       „der“, notierte Witte, „wie die französische Republik verfassungsgemäß:
       eins und unteilbar sein sollte“. Statt sich dem Film wie einem Roman zu
       nähern, Inhalte nachzuerzählen und Botschaften aufzuspüren, hegten sie den
       Anspruch, die spezifische Ästhetik des Materials, die Bilder, die Töne, die
       Montage in den Blick zu nehmen.
       
       ## Kritische Theorie und Kino
       
       Die Zeit ist vorbei: Schütte ging 1999 in den Ruhestand, was er heute
       schreibt, findet sich im [1][Netz]. Koch wurde Professorin für
       Filmwissenschaft, ihre Ausflüge ins Zeitungsgeschäft, unter anderem auf die
       taz-Kulturseiten, wurden rar. Karsten Witte verstarb 1995 im Alter von 51
       Jahren. Zuvor hatte er prognostiziert, dass er „einer jener Vertreter von
       Filmkritik“ sei, „die mit den Filmen, denen sie sich widmen, im Museum des
       Jahres 2000 verschwinden werden“. Das klang so resigniert, wie es gemeint
       war.
       
       Was Schütte, Koch und Witte in der Rundschau betrieben, war insofern
       besonders, als es ein Labor war: Kritische Theorie und Kino landeten im
       Rundkolben und schlugen Funken. Siegfried Kracauer bildete einen
       wesentlichen Bezugspunkt; Witte etwa gab dessen Schriften heraus, und auch
       Adorno spielte eine zentrale Rolle, ohne dass sich die Autoren von dessen
       Strenge die Lust am Kino hätten nehmen lassen.
       
       ## Die Laune nicht verderben lassen
       
       Den dreien mochte es nicht vollständig gelingen, die Abwehrreflexe gegen
       populäre Kultur, die bei Adorno spürbar werden, zu überwinden. Dennoch trat
       an die Stelle der Bilderskepsis die Freude an der dichten Beschreibung und
       pointierten Analyse. Dies galt auch für Kochs Umgang mit feministischer
       Theorie – sie bezog sich darauf, ohne sich vom ideologiekritischen Impetus
       die Laune verderben zu lassen.
       
       Widerspruch blieb nicht aus. Bei einer Ringvorlesung, die 1989 an der
       Freien Universität Berlin abgehalten wurde und die sich den konträren
       Positionen der Filmkritik widmete, trat der Konflikt offen zutage. Claudius
       Seidl, damals noch bei der Süddeutschen Zeitung, heute bei der FAS,
       behauptete mit Verve, Witte, Schütte und Koch trügen Scheuklappen: „Sie
       haben sich Bücher vor die Augen geschnallt.“
       
       Schreiben könnten sie auch nicht, aus falsch verstandenem Expertentum
       heraus produzierten sie Satzungetüme und beleidigten damit die Intelligenz
       des Lesers. Seltsam, diese argumentative Volte: Warum beleidigen
       anspruchsvolle Sätze und Gedanken die Intelligenz des Lesers? Das klingt,
       als stellte sich einer künstlich dumm, um so die Anstrengung, die dem
       Gegenstand innewohnt, abzuwehren.
       
       Roland Barthes hat diese Strategie einst als „stumme und blinde Kritik“
       beschrieben; sie schickt sich umso lustvoller in den Narzissmus, je
       heftiger sie die Auseinandersetzung mit etwas, was außerhalb der eigenen
       Vorstellungswelt liegt, verwirft.
       
       ## Keine Eleganz
       
       Seltsam auch der Vorwurf, die Texte seien unverständlich und entbehrten der
       Eleganz. Man stößt darin nämlich nicht auf einen in Bücherseiten
       eingemauerten Sehsinn, sondern auf eine Menge Scharfsinn, auf
       hochkonzentrierte, dichte Beschreibungen und Analysen. Und auch wenn das
       Interesse vor allem dem Autorenfilm und besonders im Fall von Witte dem
       japanischen und afrikanischen Kino galt, so heißt das nicht, dass sich die
       drei in stumpfer Feindseligkeit gegenüber Hollywood ergingen. Kleine
       Kostprobe:
       
       „Astaire hat den Fuß noch nicht aufgesetzt, da will er schon woanders hin“,
       schreibt Witte zum 80. Geburtstag des Tänzers, Sängers und Schauspielers.
       Und weiter: „So präzis seine Füße Punkte aufs Parkett setzen, so groß sind
       die Fragezeichen, die seine Arme in die Luft malen. Sie federn und
       balancieren den Körper aus, wo seine Beine drohen ihm davonzulaufen. Aus
       dieser kleinen Imperfektion, daß seine Arme und Beine oft auf verschiedenen
       Hochzeiten tanzen, erwächst der Charme.“
       
       Gesten und Bewegungen so präzis zu erfassen muss einem erst einmal glücken.
       Die Emphase, mit der Schütte, Witte und Koch Erkenntnis und Aufklärung das
       Wort redeten, mag démodé sein; Überreste davon existieren heute in Nischen,
       in der potenziell unendlichen, dafür umso parzellierteren Öffentlichkeit
       des Netzes. In der Rückschau zeigt sich, welcher Verlust damit einhergeht.
       Wer die Texte der drei liest, lernt mehr zu sehen, als er mit bloßem Auge
       wahrgenommen hätte.
       
       22 Nov 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://titelmagazin.com
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
 (DIR) Cristina Nord
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Frankfurter Rundschau
 (DIR) Feuilleton
 (DIR) Filmkritik
 (DIR) Biografie
 (DIR) Frankfurter Rundschau
 (DIR) Frankfurter Rundschau
 (DIR) Familie
 (DIR) Zeitung
 (DIR) Schwerpunkt Zeitungskrise
 (DIR) Frankfurter Rundschau
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Biografie von Siegfried Kracauer: Erfahrung des Übergangs
       
       Freundschaft, Theorie und Exil prägten das Leben des Intellektuellen
       Siegfried Kracauer. Zum 50. Todestag erscheint die erste große Biografie.
       
 (DIR) „Frankfurter Rundschau“: Sürpriz!
       
       Der Investor Burak Akbay hat laut eigenen Angaben ein verbessertes Angebot
       für die insolvente „FR“ abgeschickt. Dies könnte die Pläne der „FAZ“
       durchkreuzen.
       
 (DIR) „Frankfurter Rundschau“: Spekulationen um Rettung
       
       Die „Frankfurter Rundschau“ sucht weiter nach Investoren – auch für die
       hauseigene Druckerei. Insolvenzverwalter Frank Schmitt glaubt an ihre
       Rettung.
       
 (DIR) Familienkino aus Uruguay: Rodolfo faltet die Nachthemden
       
       In „3/Tres“ erzählt der Regisseur Pablo Stoll Ward, wie ein Exvater sich in
       seine Familie zurückschiebt – dreist und stoisch.
       
 (DIR) Debatte Zeitungssterben: Ein Fels im Meer der Trivialität
       
       Die bürgerliche Zeitung war immer mehr als ein Medium der Information. In
       ihren Überlebenskämpfen gibt sie nun preis, wozu sie geschaffen wurde.
       
 (DIR) Debatte Zeitungssterben: Nur die Marke bleibt
       
       Die gedruckte Tageszeitung ist nicht mehr zu retten. Springer zieht daher
       Ressourcen aus Print ab. Nur so kann die Marke überleben.
       
 (DIR) Insolvenz der „Frankfurter Rundschau“: Auf gut Deutsch: verkaufen
       
       Das linksliberale Traditionsblatt ist insolvent. Die Mitarbeiter wollen
       trotzdem weitermachen. Was das heißt? Sechs Fragen, die sich jetzt stellen.