# taz.de -- Neuer Film von Fatih Akin: Düsen, die Parfüm versprühen
       
       > Müllhölle im Paradies: Der Regisseur Fatih Akin zeigt in „Müll im Garten
       > Eden“ die Zerstörung von Camburnu, der Heimat seines Großvaters.
       
 (IMG) Bild: Die Nase zu, die Augen weit auf: Fatih Akin.
       
       CAMBURNU/ ISTANBUL taz | Die Eingangsszene in Fatih Akins neuestem Film
       „Müll im Garten Eden“ ist von symbolischer Kraft. Hier ist das Paradies,
       sagt der Blick, der über die Teeplantagen in dem idyllischen kleinen Dorf
       Camburnu streift – der Heimat von Akins Großvater. Da ist die Hölle. Und
       die Hölle, das ist der Müll. Mit seiner poetischen Ouvertüre übertreibt
       Akin nicht. Denn der riesige Krater direkt neben den Plantagen ist ein
       wahrhaft dantesches Fegefeuer. Eine mit rissigem Plastik ausgelegte
       ehemalige Kupfermine, in der Plastikreste und Tierkadaver zu einer
       graubraun brodelnden Suppe verschmelzen, durch die sich Planierraupen und
       Laster wühlen. Auf einem Baum am Rand warten die Krähen.
       
       Und was schon im Film so unglaublich ausschaut, ist in der Realität noch
       schauderhafter: Der Weg zu der Müllanlage ist malerisch, durch Wälder,
       sieben Kilometer Hügel hinauf. Etwa 500 Meter vor der Deponie dann holt
       einen die Wirklichkeit ein, es fängt an zu stinken, der Geruch verdrängt
       die frische Luft. Am Rand der Deponie stehen hochragende Düsen, die Parfüm
       versprühen, um den Gestank zu überdecken. Es sieht absurd aus. Täglich
       werden hier 550 Tonnen Müll hochgefahren.
       
       Hier, 1.100 Kilometer östlich von Istanbul, wurde jahrzehntelang der Abfall
       ins Meer gekippt, jetzt wird er in den Gärten vergraben – direkt vor die
       Haustür der Bewohner, quasi in deren Gärten. Der Kampf eines kleinen Dorfes
       gegen seine drohende Zerstörung – das klingt nach einer Schlachtordnung,
       wie gemacht für einen Wutbegabten. Doch in seinem fünfzehnten Film arbeitet
       der Hamburger Filmemacher mit ungewohnt nüchternen Mitteln, um auf das
       Desaster der Mülldeponie in Camburnu aufmerksam zu machen.
       
       „Es ist ja nicht irgendein Flecken Erde“, nennt Akin einen der Gründe,
       warum er diesen Film gemacht hat. „Da kommt mein genetischer Code her, da
       liegen meine Vorfahren begraben, und ich möchte nicht, dass diese
       zugeschüttet werden.“
       
       ## Protest gegen Kloake
       
       Nach „Wir haben vergessen zurückzukehren“ ist dies sein zweiter Film, der
       sich mit seiner Herkunft beschäftigt. So steht er Mitte September bei der
       Premiere in Istanbul nur scheinbar locker, im T-Shirt und kaugummikauend
       vor dem Publikum. Hinterher wird er sagen, wie nervös er gewesen sei. „Wenn
       es offiziell wird, dann ist Türkisch wie eine Fremdsprache wie mich“, sagt
       er.
       
       Der Ungestüme hat viel Geduld aufgebracht. Seit 2006 verfolgt Akin die
       Proteste der Bewohner gegen die gigantische Kloake. Wenn er nicht vor Ort
       sein konnte, ließ er den Dorffotografen Bünyamin Seyrekbasan die wichtigen
       Ereignisse filmen, dem er die Technik erst beibringen musste. So wird man
       Zeuge einer zielsicher voranschreitenden Planungskatastrophe: von der
       ersten Ortsbegehung bis zu dem Tag, als im letzten Dezember die Mauer des
       Abwasserbeckens bricht und Sturzfluten giftigen Müllwassers die Felder um
       Camburnu unfruchtbar machen. Es ist eine regionale Geschichte, die zur
       ganzen Welt sprechen soll.
       
       Akin verzichtet auf Kommentare, aber die braucht er auch gar nicht. Sein
       Film zeigt starke Bilder, leider manchmal ein wenig zu lang. Und leider
       fehlt auch jede Einordnung in den gesamtgesellschaftlichen und politischen
       Kontext. Denn das Interesse an der Umwelt ist in der Türkei immer noch ein
       Randthema, bei weitem nicht vergleichbar mit Deutschland. Es gibt zwar
       Organisationen wie „Greenpeace Turkey“ oder „Bugay“, doch die Regierung
       arbeitet kaum mit diesen zusammen. Der türkische Premier Recep Tayyip
       Erdogan möchte das Land gnadenlos vorantreiben.
       
       Was nicht passt, wird passend gemacht, die Türkei soll bis 2023 unter den
       zehn größten Industrienationen der Welt sein. Um dies zu erreichen, wird im
       Weg Stehendes abgesägt, zubetoniert oder wie in diesem Fall zugemüllt.
       Egemen Bagis, türkischer EU-Minister, betonte zwar erst kürzlich, dass die
       Türkei alles für eine nachhaltige und grüne Ökonomie tun werde, doch
       sprechen die Tatsachen eine ganz andere Sprache.
       
       ## Staatliche Willkür
       
       Drei Beispiele: Für eine dritte Brücke über den Bosporus sollen in Istanbul
       Tausende Bäume gefällt werden. In keinem anderen Land werden so viele
       Staudämme geplant wie hier. In den nächsten 23 Jahren sollen bis zu 1.500
       neue Staudämme entstehen, die Folgen für die Natur sind erheblich. Für das
       enorme Wirtschaftswachstum braucht es Platz, Energie und Ressourcen. Dabei
       geht es nicht nur um Grünflächen, sondern auch um Weltkulturerbe, die
       einfach verschwinden sollen.
       
       So soll die archäologisch bedeutende Stadt Hasankeyf in Südostanatolien
       nach den Plänen Ankaras in einem Stausee versinken, zur Stromgewinnung.
       Zwar gibt es überall Widerstände von Bürgern, Umweltwissenschaftlern und
       Politikern – doch bringen diese in der Regel sehr wenig.
       
       Auch in Camburnu konnten Akin und die 2.000 Dorfbewohner den Bau der
       Deponie nicht verhindern und die staatliche Willkür durchbrechen. So erlebt
       man im Film den enormen Widerstand dagegen. Die Exponenten dieser
       alltäglichen Zivilcourage sind Hüseyin Alioglu, der streng legalistische
       AKP-Bürgermeister Camburnus. Und die temperamentvolle Teebäuerin Nezlihan
       Haslaman, die die Deponie am liebsten „abgefackelt“ hätte.
       
       Emotionaler Höhepunkt ist die Szene, als die aufgebrachten Dorfbewohner den
       Leiter der Umweltbehörde mit den Worten stellen: „Wir sind das Volk. Wir
       fragen, Sie müssen antworten.“ Der schnatterige, wunderbare Akzent einer
       couragierten Frau ist für das deutsche Publikum leider nicht heraushörbar.
       Überhaupt sind es die Frauen, die in diesem Film so wunderbar
       herausstechen, sich engagieren und zur Wehr setzen – immer noch, und das,
       obwohl sie alle Gerichtsprozesse verloren haben.
       
       ## Stolz auf Akin
       
       Direkt nach der Premiere in Istanbul fliegt der Regisseur nach Camburnu
       weiter, um den Menschen und seinen Protagonisten den Film zu zeigen. Es ist
       das erste Mal, dass sie den Film sehen. An einem Samstagabend ist auf dem
       Dorfplatz eine große Leinwand aufgestellt, links und rechts wehen türkische
       Flaggen mit Atatürk. Wohl alle aus der Gegend sind gekommen, die 400 Stühle
       sind besetzt, Akin steht an der Seite, er wirkt angespannt. Die Menschen
       sind stolz auf den Enkel ihres Dorfes, der für sie kämpft. „Meine Eltern
       haben mir beigebracht, Versprechen einzulösen. Hier bin ich“, sagt er vorne
       stehend und die Menschen lachen.
       
       Er hat seine Eltern mitgebracht, die in der Menge sitzen und genau wie ihr
       Sohn doch sehr bescheiden auftreten. „Ich liebe euch alle, ob jung, ob alt.
       Ich liebe euch alle“, sagt er sichtlich aufgeregt, und sein Lampenfieber
       ist zu spüren. Als er 2005 für seinen Film „Auf der anderen Seite“ in der
       Türkei unterwegs war, besuchte er mit seinem Vater zum ersten Mal den Ort
       seiner Vorfahren. Seitdem hat ihn die Geschichte nicht mehr losgelassen,
       „Ich habe mich gleich in das Dorf verliebt. Die Leute da sind so zufrieden
       mit ihrem Leben und sich selbst“, sagt er und trug insgesamt 200 Stunden
       Material für die Dokumentation zusammen.
       
       Mit der „sezierenden Technik“, wegen der eine Jury Akin kürzlich den
       Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum zuerkannte, hat sein neues Werk wenig zu
       tun. Sieht man von der versteckten Liebeserklärung an einen Ort ab, wo Akin
       seine „Wurzeln“ entdeckt hat, ist „Müll im Garten Eden“ eine fast
       ambitionslose Langzeitdoku. Doch so „kunstlos“ die auch gemacht sein mag.
       
       Das facettenreiche Konfliktbild, das dabei entstanden ist, widerlegt auch
       das Klischee von den zurückgebliebenen Provinztürken und Kopftuchfrauen,
       die nicht reif für Europa und die Demokratie sind. Fatih Akin will mit
       seinem Film auch die Zivilgesellschaft anregen – und das ist ihm gelungen.
       Im Dorf nebenan, in Arakli, soll auch eine Mülldeponie entstehen – die
       Bürger protestieren.
       
       ## „Müll im Garten Eden“. Regie: Fatih Akin. Deutschland 2012, 98 Min.
       Kinostart: 6. Dezember
       
       4 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) C. Akyol
 (DIR) I. Arend
       
       ## TAGS
       
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