# taz.de -- Musliminnen auf dem Arbeitsmarkt: Das Potenzial unter dem Kopftuch
       
       > Gläubige Musliminnen haben auf der Jobsuche oft mit Vorurteilen zu
       > kämpfen. Es gibt aber auch Firmen, die in ihnen eine „Traumbesetzung“
       > sehen.
       
 (IMG) Bild: Unternehmen wie die Telekom, Fielmann, H & M, Zeemann und die AOK haben das Potenzial unterm Kopftuch erkannt.
       
       „Es gibt immer mehr junge Frauen mit Kopftuch, die gute Abschlüsse haben
       und studieren. Sie wollen arbeiten und Karriere machen“, sagt Sawsan
       Chebli. Die junge Deutschpalästinenserin ist Grundsatzreferentin für
       interkulturelle Angelegenheiten beim Innensenator in Berlin, sie stammt
       auch aus einer muslimisch-religiösen Familie, trägt aber selbst kein
       Kopftuch.
       
       Vor zwei Jahren gründete Chebli das Projekt JUMA („Jung, Muslimisch,
       Aktiv“), in dem junge Muslime über den Islam streiten oder sich mit dem
       Berliner Rabbiner Daniel Alter gegen Antisemitismus engagieren. „Achtzig
       Prozent unserer JUMA-Mädchen tragen ein Kopftuch, sind sehr gebildet und
       eine Ressource für Deutschland. Diese Mädchen sind keine Opfer des
       Patriarchats, wie es oft dargestellt wird“, betont Chebli. Und: Nicht die
       Traditionsverhaftung ihrer Familien, sondern die Vorurteile potenzieller
       Arbeitgeber seien die größte Hürde, die diesen Mädchen den Weg auf den
       Arbeitsmarkt versperrten.
       
       Mitte Oktober gab das Berliner Arbeitsgericht einer Zahnarzthelferin Recht,
       die gegen einen Zahnarzt geklagt hatte, weil dieser sie nur aufgrund ihres
       Kopftuchs nicht einstellen wollte. Die Antidiskriminierungsstelle des
       Landes Berlin hat etliche solcher Beispiele, die meist nicht vor Gericht
       landen, in einer Broschüre gesammelt. Auch Amnesty International hat sich
       mit dem Thema befasst und in der Studie „Choice and Prejudice“ die
       Situation in verschiedenen europäischen Ländern verglichen.
       
       Denn während Streifenpolizistinnen mit Hidschab in London zum Alltagsbild
       gehören, lehnen es viele Kommunen in Deutschland ab, Frauen mit Kopftuch
       einzustellen, weil sie es für unvereinbar mit dem staatlichen
       Neutralitätsgebot halten. Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln,
       Heinz Buschkowsky, ist sogar stolz darauf, dass es in seinem Rathaus keine
       Kopftücher geben soll.
       
       ## Verstoß gegen internationale Abkommen
       
       Dabei verstößt die Diskriminierung aufgrund von äußeren Kennzeichen der
       religiösen Zugehörigkeit nicht nur gegen internationale Abkommen wie die
       Konvention 111 der International Labour Organisation (ILO), der sich auch
       Deutschland angeschlossen hat. Es widerspricht auch den Bemühungen etwa der
       Berliner Bildungsbehörde, die derzeit dringend Lehrkräfte mit arabischem
       Hintergrund für den Unterricht an öffentliche Schulen sucht.
       
       Doch seit die muslimische Lehrerin Ferestha Ludin vor einigen Jahren
       erfolglos darauf geklagt hatte, trotz Kopftuch in den Schuldienst
       aufgenommen zu werden, haben fast alle Bundesländer Gesetze erlassen, die
       es Lehrerinnen verbieten, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen.
       
       Die staatliche Abwehrhaltung hat auf private Arbeitgeber abgefärbt. Diese
       Erfahrung musste auch die 19-jährige Öznur C. aus München machen, die sich
       nach ihrem 1,6er-Abitur in der ganzen Stadt um einen Ausbildungsplatz zur
       Arzthelferin bewarb. „Ich wurde mehrmals zum Vorstellungsgespräch
       eingeladen. Aber dann hieß es oft: Sie sind sympathisch, können vier
       Sprachen und haben sehr gute Noten. Aber würden sie auch ihr Kopftuch
       ablegen, wenn Sie die Stelle bei uns kriegen?“ Das Kopftuch würde manche
       Patienten verstören, habe man ihr gesagt. Nun arbeitet sie im Münchner
       Problembezirk Hasenbergl, will aber später Medizin studieren. „In der
       Schule haben wir gelernt: alle Menschen sind gleich in Deutschland. Und
       dann so etwas – ich verstehe das nicht“, klagt sie.
       
       ## Frauen mit Kopftuch bei H & M
       
       In anderen Teilen der deutschen Wirtschaft ist man da offener: Die Telekom
       wirbt massiv in türkischer Sprache, Unternehmen wie die AOK, Zeeman oder
       Fielmann zeigen wenig Vorbehalte, auch in manchen Filialen der Modekette H
       & M arbeiten junge Frauen mit Kopftuch. „Wir haben Richtlinien gegen
       Diskriminierung“, teilt die Pressestelle des schwedischen
       Bekleidungskonzerns mit.
       
       Bei der Fluggesellschaft Emirates aus Dubai setzt man sogar offensiv auf
       „verschiedene Denkstile“, wie es auf Nachfrage heißt: „Unsere 15.000
       Stewardessen kommen aus über 130 Ländern. Wir fördern diese Vielfalt
       bewusst.“ Derzeit sucht man auch in Deutschland nach 3.800 neuen
       Flugbegleiterinnen.
       
       Bei der Hotelgruppe Kempinski dagegen gibt es einen Kleidungskodex, der das
       Tragen von religiösen Symbolen wie Kopftücher und Kreuze gleichermaßen
       untersagt. „Es geht uns um ein einheitliches Erscheinungsbild“, betont die
       Pressesprecherin des Hauses, Kerstin Heinen. „Aber wir begrüßen es sehr,
       wenn sich Jugendliche mit Migrationshintergrund bei uns bewerben. Allein
       die Qualifikation zählt.“
       
       Bei Susanne Queck bewerben sich trotzdem viele Mädchen und Frauen, die
       woanders trotz bester Uni-Diplome abgewiesen wurden. Queck ist Chefin von
       Imzadi, einer erfolgreichen Firma für junge muslimische Mode. „Junge
       muslimische Frauen bleiben im Durchschnitt längere Zeit arbeitslos
       gemeldet“, hat Queck beobachtet – und kritisiert: „Damit schließt sich dann
       wieder der Kreis der öffentlichen Wahrnehmung und es heißt, die
       muslimischen Frauen wollen gar nicht arbeiten.“
       
       Queck hält bekennende Musliminnen sogar für Vorzeigemitarbeiterinnen: „Eine
       Kopftuchträgerin ist es gewohnt, sich im Leben durchzubeißen. Sie ist in
       der Regel tougher und selbstbewusster als andere, dennoch ist sie
       diplomatisch und lösungsorientiert. In der Schule arbeitet sie oft härter
       als Jungs, und weil sie nicht selten aus einer vielköpfigen Familie stammt,
       ist sie Lärm, Stress und Konflikte gewöhnt.“ Queck findet: „So jemand ist
       doch eine Traumbesetzung.“
       
       6 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marcel Malachowski
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Muslime
 (DIR) Frauen
 (DIR) Kopftuch
 (DIR) Arbeitsmarkt
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) USA
 (DIR) Auswärtiges Amt
 (DIR) Heinz Buschkowsky
 (DIR) Kopftuch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte ums Kopftuch in Berlin: „Es wird mit zweierlei Maß gemessen“
       
       Das Berliner Neutralitätsgesetz wirkt nicht neutral, sagt
       Rassismus-Expertin Yasemin Shooman. Ein Gespräch über Religionsfreiheit und
       Ausgrenzung.
       
 (DIR) Kopftuchverbot bei Abercrombie & Fitch: Job ist keine „glaubensfreie Zone“
       
       Samantha Elauf verklagte den Modehersteller Abercrombie & Fitch. Dieser
       wollte sie wegen ihres Kopftuchs nicht einstellen. Nun liegt der Fall beim
       Supreme Court.
       
 (DIR) Neue Sprecherin des Auswärtigen Amts: Steinmeiers Stimme
       
       Die Berlinerin Sawsan Chebli spricht zukünftig für das Auswärtige Amt.
       Zuvor war sie Referentin des Berliner Senats für interkulturelle
       Angelegenheiten.
       
 (DIR) SPD-Ärger über Heinz Buschkowsky: Doppelpass ins Nichts
       
       Er kann es nicht lassen. Doch mit seiner Polemik gegen die doppelte
       Staatsbürgerschaft bringt Heinz Buschkowsky nun die SPD gegen sich auf.
       
 (DIR) Kopftuchstreit beim Zahnarzt: Drei Gehälter für Diskriminierung
       
       Eine junge Frau verklagte einen Zahnarzt, der sie nur wegen ihres Kopftuchs
       nicht einstellen wollte. Nun erhält sie Schadenersatz.
       
 (DIR) Muslime in Deutschland: Nihal Aksoy kämpft
       
       Sie war zweimal deutsche Meisterin im Taekwondo. Sie entwickelt Software.
       Und sie trägt ein Kopftuch: Nihal Aksoy ist eine selbstbewusste Frau – und
       Muslimin.