# taz.de -- Stadtplanung in Duisburg: Shoppen statt wohnen
       
       > 400 Wohnungen in der Zinkhüttensiedlung in Duisburg sollen für ein
       > Shoppingcenter abgerissen werden. Die Mieter wehren sich.
       
 (IMG) Bild: Duisburg hat mit 12 Prozent die höchste Arbeitslosenquote in Nordrhein-Westfalen
       
       DUISBURG taz | Heute Morgen hat eine Arbeitskollegin sie gefragt, wie es
       denn jetzt bei ihnen in Hamborn aussehe. „Kannst Du schon bei uns
       einkaufen?“, hat Martina Mattern zurückgefragt. „Nee? Na siehste.“
       
       Wie lange das noch so bleibt, ist fraglich. Denn die Zinkhüttensiedlung im
       Duisburger Stadtteil Hamborn, in der Martina Mattern und ihr Mann Helmut
       leben, soll abgerissen werden. Die Handvoll orangegelber Mehrfamilienhäuser
       zwischen Autobahn, Chemiewerk und der stillgelegten Rhein-Ruhr-Halle im
       Norden der Stadt soll einem Shoppingcenter weichen. Auf 25.000
       Quadratmetern soll hier in Zukunft verbilligte Designerkleidung angeboten
       werden. Ein holländischer Investor will das Großprojekt umsetzen.
       
       Für den Stadtrat ist der Bau des Outlets unbedingt nötig, weil 800 neue
       Arbeitsplätze, steigende Gewerbesteuereinnahmen und eine Aufwertung des
       gesamten Stadtteils in Aussicht stehen. Für die Mieter dagegen, die
       größtenteils seit Jahrzehnten am Zinkhüttenplatz leben, ist das
       unvorstellbar. Die Siedlung galt in den sechziger Jahren als Musterbeispiel
       für sozialen Wohnungsbau, es gibt große Grünflächen zwischen den Häusern,
       die Wohnungen sind hell und gut geschnitten. Kaum jemand hier wäre von sich
       aus weggezogen.
       
       Eine beschlossene Sache ist das Outlet noch nicht. Der Stadtrat sollte
       ursprünglich am 10. Dezember über die Baugenehmigung für das Shoppingcenter
       entscheiden, doch seit Monaten andauernde Diskussionen haben das
       verhindert. Mal ging es um den nötigen Ausbau der Autobahnabfahrt, mal um
       den Sicherheitsabstand zu einem Chemiewerk, das in unmittelbarer Nähe des
       Outletgeländes Schwefeldioxid lagert.
       
       ## Termin zum Baubeginn ist hinfällig
       
       Der Termin für die Abstimmung im Stadtrat musste verschoben werden, der
       geplante Baubeginn im Sommer 2013 ist damit ebenfalls hinfällig. Zuletzt
       trat Immeo, das Immobilienunternehmen, dem die Zinkhüttensiedlung gehört,
       vom Kaufvertrag mit dem Investor zurück, weil dieser die fällige
       Gewerbesteuer nicht bezahlt hatte. Trotzdem halten Immeo, Investor und
       Stadt an den Plänen fest. Man befinde sich in intensiven Gesprächen, eine
       Abweichung vom Zeitplan sei bei solchen Großprojekten nicht ungewöhnlich,
       erklären die Beteiligten.
       
       Einer der engagiertesten Verfechter des Projekts ist der CDU-Stadtrat
       Rainer Enzweiler. Er ist gebürtiger Hamborner, und für ihn geht es nicht
       bloß um ein Einkaufszentrum, sondern um die Zukunft von ganz Duisburg. In
       seiner Anwaltskanzlei, wenige hundert Meter von der Zinkhüttensiedlung
       entfernt, klopft Enzweiler mit dem Kugelschreiber auf die Platte seines
       wuchtigen schwarzen Schreibtischs, wenn er einem Argument besonderen
       Nachdruck verleihen will. Die schmalen Augen weiten sich unter den
       buschigen Brauen. „Wenn wir nicht immer das Armenhaus bleiben wollen, muss
       sich etwas ändern“, sagt er.
       
       Duisburg hat mit 12 Prozent die höchste Arbeitslosenquote in
       Nordrhein-Westfalen, im Landesdurchschnitt liegt sie bei 8 Prozent. Als
       einstiges Zentrum der Schwerindustrie leidet die Stadt unter dem Schwund
       von Kohle und Stahl; seit den sechziger Jahren gingen 130.000 Arbeitsplätze
       verloren. Auch die Bevölkerung schrumpft. 2007 wurde deshalb ein
       Zukunftsprogramm aufgelegt, „Duisburg 2027“. Doch so lange will Rainer
       Enzweiler nicht warten. Auch in Remscheid, sechzig Kilometer entfernt, wird
       laut über den Bau eines Designer-Outlets nachgedacht. Für Enzweiler ein
       Grund zur Eile. „Nur wer damit im Ruhrgebiet der Erste ist, hat eine
       Chance“, sagt er und stößt den Stift auf die Tischplatte.
       
       ## „Wir bleiben hier“
       
       Fragt man die Matterns, wo sie im nächsten Jahr sein werden, ist die
       Antwort eindeutig. „Wir bleiben hier, auch wenn wir die Letzten sein
       sollten.“ Ihr kleines Wohnzimmer am Zinkhüttenplatz ist im Lauf des Jahres
       zur Zentrale des Protests der Mieter geworden. Zwischen bunten
       Porzellanfiguren und liebevoll gepflegten Topfpflanzen treffen sich die
       Mitglieder der „Bürgerinitiative Zinkhüttenplatz“ und planen die nächsten
       Aktionen.
       
       Am Fenster klebt ein grünes Plakat. „Baggert uns ja nich an!“ steht darauf
       in dicken roten Buchstaben. Am 10. Dezember wollen die Zinkhüttler einmal
       mehr vor dem Rathaus protestieren. Genau dann, wenn eigentlich über die
       Baugenehmigung für das Outletcenter entschieden werden sollte.
       
       Neben dem Protest in der Zinkhüttensiedlung gibt es auch andere Probleme
       für die Planer des Designer-Outlets. Schon früh wurde die Frage laut, ob
       ein großes Einkaufszentrum am Stadtrand eine Gefahr für den Einzelhandel im
       Duisburger Zentrum werden könnte. Die Infrastruktur in der Innenstadt gilt
       als gesund, es gibt drei Shoppingcenter, die bisher gut funktionierten und
       unter der Konkurrenz leiden könnten.
       
       Ein Verträglichkeitsgutachten der Stadt stuft dieses Risiko jedoch als
       gering ein. Ein Gegengutachten im Auftrag der Industrie- und Handelskammer
       widerspricht dieser Einschätzung. Michael Rüscher, Geschäftsführer für
       Stadtentwicklung und Handel bei der IHK Niederrhein, fasst das Ergebnis
       zusammen: „Für die Duisburger Innenstadt ist ein Factory-Outlet-Center
       (FOC) verheerend, der Einzelhandel hat keine Chance.“
       
       ## Hoffen auf die Sogwirkung
       
       Rainer Enzweiler ärgert sich über solche Äußerungen. „Die IHK ist ein
       Lobbyistenverein“, sagt er, und seine Stimme wird lauter. „Da werden Äpfel
       mit Birnen verglichen.“ Enzweiler betont, dass das geplante Shoppingcenter
       einen anderen Bedarf abdecken solle als der Einzelhandel im Duisburger
       Zentrum. Er glaubt sogar, dass die Innenstadt von der Sogwirkung des
       Outlets profitieren könnte. Rund 2 Millionen Menschen sollen laut Prognose
       des Investors im Jahr im FOC einkaufen und dann auch anderswo in Duisburg
       ihr Geld ausgeben. Die IHK hält das für unrealistisch.
       
       Helmut Mattern hätte sich bis zum letzten Herbst für solche Diskussionen
       nicht interessiert: „Ich war absolut unpolitisch.“ Er arbeitet bei Thyssen
       im Werkschutz, gerade hatte er Frühdienst. In T-Shirt und Jogginghose sitzt
       er auf dem heimischen Sofa, die bestrumpften Füße stecken in Badelatschen.
       Mit Frau und Sohn hatte er sich schon nach einem neuen Zuhause umgesehen,
       der Mietvertrag war unterschriftsreif. Mattern wollte die Siedlung
       verlassen, obwohl auch er fast dreißig Jahre hier gelebt hat.
       
       Der Wendepunkt kam, als er sah, welche Angst viele ältere Nachbarn vor
       einem Umzug hatten. „Wir sind noch jung und flexibel, wir können
       woandershin. Aber all die Alten hier haben es schwer.“ Die Matterns
       beschlossen, zu bleiben und sich zu engagieren. Gegen den Stadtrat, Immeo
       und den Investor, von denen sich die Mieter unmenschlich behandelt fühlen,
       wie Helmut Mattern sagt. „Die haben gedacht: Nur alte Leute, die kann man
       mit der Schubkarre zweihundert Meter weiter fahren, und dann ist Ruhe. Aber
       das funktioniert nicht.“ Es klingt grimmig, wie er das sagt, und ein
       bisschen stolz.
       
       Doch auch die Bürgerinitiative konnte nicht verhindern, dass sich die
       Siedlung langsam leert. Von den knapp 400 Wohnungen ist mittlerweile gut
       die Hälfte unbewohnt, die Balkone sind kahl und die Rollläden
       heruntergelassen. Nach dem Rücktritt vom Kaufvertrag hat Immeo das
       Umzugsmanagement ausgesetzt, doch gewonnen ist damit für die Mieter noch
       nichts. Besonders für die älteren Mieter sei die Unsicherheit schwer zu
       ertragen, sagt Helmut Mattern. Viele sähen jeden Tag ängstlich in die
       Zeitung, weil sie erneut schlechte Nachrichten befürchten.
       
       ## Angst, die Nachbarn zu verlieren
       
       Hannelore Augustin hat im letzten Jahr alle Artikel über die
       Zinkhüttensiedlung ausgeschnitten und in einen dicken blauen Ordner
       geheftet. Ein bisschen trotzig legt ihn die 81-Jährige mit den frisch
       frisierten grauen Locken auf den Holztisch in ihrem kleinen Wohnzimmer. Sie
       will sich keine Angst machen lassen. „Ich stehe da drüber“, sagt sie.
       
       Anfang der sechziger Jahre gehörte Hannelore Augustin zu den Ersten, die in
       die neu gebaute Zinkhüttensiedlung zogen. 52 Jahre lebt die alte Dame jetzt
       hier. Ihr Mann starb, ihr erwachsener Sohn verließ Duisburg, sie blieb und
       will sich auch jetzt nicht vertreiben lassen. Und das nicht nur, weil sie,
       wie viele andere langjährige Mieter, Arbeit und Geld in ihre Wohnung
       gesteckt hat. Das Schlimmste wäre für sie, Nachbarn, Freunde, Ärzte und
       Einkaufsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe zu verlieren. Das Versprechen
       der Immeo, für jeden Mieter eine passende neue Wohnung zu finden, beruhigt
       sie nicht. „Was bedeutet denn ’sozial verträglich‘?“, fragt sie. „Das ist
       ein sehr weiter Begriff.“
       
       Immeo beruft sich unterdessen auf die „bestmögliche Wahrung bestehender
       Einzelinteressen“ und verweist auf Erfolge des Umzugsmanagements – etwa
       dass ältere Damen, die schon länger über einen Umzug nachgedacht hätten,
       jetzt in altersgerechten Erdgeschosswohnungen lebten. Oder in die Nähe
       ihrer Kinder gezogen seien. Tatsache sei auch, dass fast die Hälfte der
       ehemaligen Zinkhüttler in Hamborn bleiben konnte.
       
       Stadtrat Rainer Enzweiler erinnert an die 14.000 Wohnungen, die in Duisburg
       leer stehen. Und daran, dass die politische Zustimmung zu dem FOC im
       Stadtrat breit sei. „Es ist eine Abwägung zwischen dem Bewahrungsinteresse
       der Mieter und 800 Arbeitsplätzen“, sagt er im Tonfall des routinierten
       Juristen. Er lehnt sich in den Schreibtischstuhl zurück. Es ist klar, was
       er für wichtiger hält.
       
       12 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Magdalena Schmude
       
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