# taz.de -- Frühe Pubertät: Frühreif – mit Spätfolgen
       
       > Kinder kommen zu früh in die Pubertät. Das kann nicht nur zu psychischen
       > Problemen führen, auch Krebs im Erwachsenenalter droht.
       
 (IMG) Bild: Diese zwei sind auf jeden Fall noch nicht in der Pubertät. Aber vielleicht schon bald?!
       
       Kinder kommen immer früher in die Pubertät. Ein heute 18-Jähriger ist laut
       Max-Planck-Gesellschaft für demografische Forschung körperlich so weit
       entwickelt wie ein 22-Jähriger um 1800. Busen mit neun und Menstruation mit
       zehn ist heute bei Mädchen keine Seltenheit mehr. Ein Grund dafür ist
       vermutlich die Zunahme von Übergewicht und die daraus folgende vermehrte
       Produktion von Hormonen, die die Sexualentwicklung ankurbeln.
       
       Vor allem zu viele Pfunde im Kindergartenalter sind kritisch, wenn es um
       den Zeitpunkt der Pubertät geht. Doch auch Chemikalien, die in den
       Hormonhaushalt eingreifen, sogenannte endokrine Disruptoren wie das
       Bisphenol A, könnten daran Mitschuld sein, dass die Kindheit heute immer
       früher endet – vermuten einige Wissenschaftler.
       
       Bei rund 10 bis 15 Prozent der Heranwachsenden in Deutschland treten die
       ersten körperlichen Veränderungen früher auf als im Durchschnitt. Diese
       gelten zwar als frühreif, sind aber noch in der Norm – schließlich kann die
       Pubertät in vielfältigen Variationen verlaufen.
       
       Zwar wünschen sich viele Kinder, möglichst schnell erwachsen zu werden.
       Doch wenn ein zehnjähriges Mädchen bereits sehr weibliche Rundungen hat und
       ihre Freundinnen nicht, dann hat das ungünstige Folgen, wie immer häufiger
       biopsychosoziale Studien belegen. „Fettpölsterchen an Hüften und Po
       entsprechen nicht dem heutigen Schönheitsideal und werden von den Mädchen
       daher meist negativ bewertet“, berichtet Karina Weichold, Psychologin an
       der Uni Jena. „Bei Jungs ist das umgekehrt: Mehr Muskeln entsprechen dem
       herrschenden Ideal.“
       
       Vor allem frühreife Mädchen hätten darum mit psychologischen Problemen wie
       Essstörungen, Depressionen oder Substanzmissbrauch zu kämpfen. Laut einer
       aktuellen Studie der University Fairfax war ein früher Menstruationsbeginn
       im Erwachsenenalter mit einem erhöhten Risiko verbunden, an
       posttraumatischem Belastungssyndrom, Phobien und anderen Angststörungen zu
       erkranken.
       
       ## Mehr Streit und weniger Zusammenhalt
       
       Die Jenaer Wissenschaftlerin Weichold hat in einer Langzeitstudie auch
       aufgedeckt, dass frühreife Mädchen besonders mit ihren Müttern auf
       Konfrontationskurs gehen. „Diese Mädchen sind in Streitsituationen oft
       ausgesprochen defensiv-aggressiv“, so Weichold. Auch dieses Streben nach
       Abgrenzung zog sich bis ins frühe Erwachsenenalter hinein und wird von der
       Psychologin als „nicht gelungene Individuation“ bezeichnet.
       
       Insgesamt haben Wissenschaftler beobachtet, dass in Familien mit frühreifen
       Jugendlichen mehr gestritten wird und ein geringerer Zusammenhalt herrscht.
       Eine Studie unter Leitung von Sakunthala Sahithi Tirumuru vom britischen
       Alexandra Hospital in Redditch zeigte zudem, dass frühreife Mädchen ein
       erhöhtes Risiko für sexuellen Missbrauch und frühe Schwangerschaften haben.
       Zudem sind sie kleinwüchsiger, da der in der Pubertät übliche
       Wachstumsschub früher einsetzt, aber auch früher aufhört.
       
       Die Crux: Mädchen, die früh entwickelt sind, werden auch von der
       Erwachsenenwelt und anderen Kindern ihrem äußeren Alter nach behandelt, und
       nicht ihrem wahren Alter gemäß. Daher suchen sich die Betroffenen oft
       ältere Freunde, die ähnliche Interessen haben und die soziale Reife weiter
       vorantreiben. Frühreife Mädchen haben daher auch früher sexuelle
       Erfahrungen, trinken mehr Alkohol und rauchen häufiger.
       
       „Wir sprechen vom älteren und problematischen Peer-Kontext“, erläutert die
       Psychologin Weichold. Und das hat oft auch noch Nachteile bis ins
       Erwachsenenalter: „Weil diese Mädchen oft sehr jung Mutter werden,
       vernachlässigen sie ihre Ausbildung und stehen dann mit 30 Jahren mit
       nichts da.“ Frühreife Jungs dagegen sind oft im späteren Leben beruflich
       erfolgreicher als Altersgenossen, die später ihre Pubertät erreichten.
       
       Bislang nahm man an, dass Jungs nicht so stark unter einer früh
       einsetzenden Pubertät leiden, doch neuere Studien lassen vermuten, dass
       auch hier negative Folgen drohen. „Auch bei ihnen findet man häufiger
       Verhaltensauffälligkeiten und Depressionen“, so Weichold. Jungs neigen in
       der Pubertät generell zu risikoreichem und aggressivem Verhalten. Sie
       konsumieren beispielsweise häufiger Drogen und Alkohol als Mädchen, um ihr
       Erwachsensein zu unterstreichen.
       
       ## Über die Mechanismen ist nichts bekannt
       
       Wenn der Testosteron-Spiegel am höchsten ist, sprechen Psychologen von der
       Hochrisikophase. Unklar ist bislang, ob diese Phase vielleicht auch
       gefährlicher ist, wenn sie von den Jungs in einem jüngeren Alter durchlebt
       wird. Man weiß aber, dass sich der hohe Alkoholkonsum bis ins
       Erwachsenenalter hält – und anscheinend den hohen Sozialstatus
       unterstreichen soll.
       
       Doch nicht nur psychologisch ist die Frühreife kritisch. Immer häufiger
       werden auch Stoffwechselstörungen wie Übergewicht, Diabetes,
       Herzkrankheiten und Brust- sowie Prostatatumore mit einem frühen Zeitpunkt
       der Pubertät in Verbindung gebracht. Über die Mechanismen ist wenig
       bekannt.
       
       Möglicherweise beeinflussen genetische Faktoren den Zeitpunkt der Pubertät
       und das Risiko dieser Krankheiten gleichermaßen. Oder mit der Frühreife
       verbundene ungesunde Verhaltensweisen könnten das Risiko erhöhen. Eine
       Teilauswertung der KIGGS-Studie, durchgeführt vom Robert-Koch-Institut,
       zeigte etwa, dass frühreife Jungs und Mädchen auch weniger sportlich aktiv
       sind. Die Forscher vermuten, dass ein niedriges Selbstwertgefühl,
       Aussehens- und Gewichtsängste sowie Depressionen dafür verantwortlich sind.
       
       Psychologen plädieren darum für präventive Maßnahmen. So sollte man Kinder
       früher darüber aufklären, wie unterschiedlich sich die Sexualentwicklung
       vollziehen kann. „Damit sich die Kinder nicht als abnormal erleben“, sagt
       Karina Weichold.
       
       Auch Eltern sind nicht ganz machtlos. Bei frühreifen Kindern – raten
       Erziehungsexperten – sollte man vor allem darauf achten, dass man sie ihrem
       wahren Alter nach behandelt, einer Siebenjährigen also keinen Push-up-BH
       kauft. Sonst gilt, was für alle Pubertierenden gilt: Gelassenheit, denn als
       Eltern kann man in dieser Phase nicht mehr viel tun, die Peer-Group ist der
       Ort, wo Jugendliche Anerkennung und Geborgenheit suchen.
       
       21 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kathrin Burger
       
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