# taz.de -- Abwechslungsreiche Fußball-Winterpause: Die Farbe des Herzens
       
       > Fußballfreie Zeit? Von wegen. In den Hauptrollen: Kevin-Prince Boateng,
       > Marko Marin, Mario Balotelli, West Ham United und zwei kuschelnde
       > russische Kicker.
       
 (IMG) Bild: Mutiger Kuschler: Alexander Kokorin, russischer Nationalspieler (rechts)
       
       Kein Fußball für Rassisten: Ein entspannter Vorbereitungskick sollte es
       werden, der Auftritt des AC Milan im ehrwürdigen Stadion Carlo Speroni des
       lombardischen Viertligisten Aurora Pro Patria. Einige tausend Zuschauer
       wollten Silvio Berlusconis Starteam in der Provinz sehen, eine kleine
       Gruppe rassistischer Kurvenfans hingegen wollte vor allem Stimmung machen
       gegen die dunkelhäutigen Milan-Kicker M‘Baye Niang, Sulley Muntari und
       Kevin-Prince Boateng.
       
       Rassistische Sprechchöre und Affenlaute waren von den Primaten auf der
       Gegengeraden zu vernehmen, angeblich waren es nur vier, allerdings nur bis
       zur 26. Minute. Da unterbrach der geschmähte Boatengsein Spiel, schnappte
       sich den Ball und drosch ihn wütend und mit ganzer Wucht in Richtung der
       besagten Tribüne. Danach entledigte er sich seines Trikots, ließ sich von
       niemandem aufhalten und und schritt zielstrebig und erhobenen Hauptes von
       dannen.
       
       Seine Mannschaftskameraden und die Offiziellen taten es ihm gleich, das
       Spiel wurde zunächst unterbrochen, schließlich abgebrochen. Niemals zuvor
       wurde die Parole „Kein Fußball für Rassisten“ so eindrücklich umgesetzt.
       Schön ebenso die Reaktion der restlichen Zuschauer, die den Spielern aus
       Milan als diese den Platz verließen applaudierten und die Holzköpfe auf
       ihrer Tribüne auspfiffen.
       
       Der AC Milan ließ nach dem Geschehen in einer ungewohnt deutlichen Form
       mitteilen: „An einem Punkt hat ganz Milan gesagt: Es reicht. Wessen Herz
       dieselbe Farbe hat wie das von Boateng, Muntari und Niang konnte einfach
       nicht mehr und hat entschieden, dass es an der Zeit wäre, diesen vier
       Blödmännern eine Lektion zu erteilen. Sie standen aufrecht in ihrer
       Dummheit, es war aber, als würden sie am Boden liegen.“
       
       Balotelli und die Nerven des Trainers: „Warum immer ich?“, fragte sich
       Mario Balotelli einst per Aufdruck auf seinem T-Shirt, nachdem er wieder
       mal sein Haus abgefackelt, seine Luxuskarosse zerschreddert oder einen
       Jugendspieler mit einem Dartpfeil beworfen hatte. „Warum immer ich?“,
       dürfte sich inzwischen aber vor allem sein Trainer bei Manchester City,
       Roberto Mancini, fragen. Ein ums andere mal verzweifelt der Coach an dem
       ebenso begabten wie extrovertierten Spieler.
       
       Als Balotelli einst in einem Freundschaftsspiel freistehend vor dem
       gegnerischen Torhüter eine Pirouette drehte und den Ball mit der Sohle am
       Tor vorbelegte, wechselte ihn Mancini entnervt aus. Nun platzte dem Trainer
       der Kragen, nachdem Balotelli einen Mitspieler im Training gefoult hatte.
       Er ging dem Stürmer an den Kragen und redete wütend auf ihn ein.
       
       Doch die Freude am fußballerischen Genie ist Mancini immer noch nicht
       vergangen: „Ich werde ihm noch hundert Chancen geben, wenn das möglich ist.
       Ich denke, dass er sich ändern kann, dafür bin ich hier“, sagte er einen
       Tag nach dem Zusammenstoß versöhnlich.
       
       Englische Härte bei Marko Marin: Niemand hat sich die Fußballfloskel
       „übermotiviert zu Werke gehen“ in dieser Zeit mehr verdient als Marko
       Marin. Nachdem der deutsche Nationalspieler, der im Sommer für sieben
       Millionen Euro von Werder Bremen an die Stamford Bridge gewechselt war, bis
       dato nur 106 Minuten für den FC Chelsea auf dem Platz stand, durfte er am
       vergangenen Mittwoch im Heimspiel gegen die Queens Park Rangers erstmals
       von Beginn an auflaufen.
       
       Keine vier Minuten waren gespielt, als der zierliche Marin im Stile eines
       Roy Keane zu Werke ging und seinen Gegenspieler Stephane Mbia mit
       ausgestrecktem und angehobenen rechten Bein zu Fall brachte. Es war wohl
       nur die frühe Phase des Spiels, die Marin vor einer eigentlich mehr als
       berechtigten Roten Karte bewahrte. Doch nützen sollte die Milde des
       Schiedsrichters auch nichts. Chelsea verlor das Spiel gegen den
       Tabellenletzten mit 0:1.
       
       West Hams beschämender vierter Platz: Während die Stimmen lauter werden,
       welche die Nominierung des Journalisten Jakob Augstein für die vom Simon
       Wiesenthal Center (SWC) veröffentlichte Top-Ten-Liste des Antisemitismus
       zurückweisen, dürfte kaum jemand bereit sein, für die Fans des Premier
       League-Klubs West Ham United in die Bresche zu springen.
       
       Mit ihren Gesängen beim Spiel gegen den Lokalrivalen Tottenham Hotspur,
       einem Verein, der in dem ehemals stark jüdisch geprägten Londoner Viertel
       Stamford Hill beheimatet ist, schafften sie es auf Platz vier der
       SWC-Liste, knapp hinter den ägyptischen Muslimbrüdern und dem iranischen
       Regime.
       
       Bei den Gesängen zurecht: „Adolf Hitler ist zu euch gekommen“ und „Ihr
       werdet morgen vergast“ schallte es den Spurs aus einigen Fansektoren
       entgegen. Die Geschmacklosigkeit wurde noch übertroffen durch zischende
       Geräusche, angelehnt an das Rauschen von Gaskammern. Eine
       Verteidigungsstrategie in diesem Fall dürfte schwierig werden.
       
       Das erstes schwule Fußballpaar? Russlands Fußballer des Jahres, der
       21-jährige Stürmer Alexander Kokorin (Dynamo Moskau) befindet sich in
       seinem wohl verdienten Jahresurlaub in Miami. Von dort versorgt er seine
       Fans in den sozialen Netzwerken mit allerlei Bildern – vorm Pool, beim
       Essen oder beim Besuch eines NBA-Spiels. Fast immer an seiner Seite, Pavel
       Mamajew von ZSKA Moskau.
       
       Die beiden Nationalspieler sind zu sehen bei innigen Umarmungen und
       zusammen in der Badewanne, eines der Bilder hat Kokorin überschrieben mit
       der Zeile: „Ich liebe ihn.“ Ob die beiden die ersten Mutigen des
       Profifußballs sind, die sich als schwules Paar zu erkennen geben, bleibt
       dahingestellt.
       
       Äußerungen von ihnen sind bislang nicht überliefert. Denkbar sind die
       Bilder indes als eine Reaktion auf einen jüngst veröffentlichten Brief von
       Fans des Rivalen der Moskauer Klubs Zenit Sankt Petersburg, in dem diese
       sich gegen Homosexuelle und Dunkelhäutige im Fußball ausgesprochen haben.
       So oder so, Kokorin und Mamaew setzen ein Zeichen, das, insbesondere
       angesichts einer weit verbreiteten Dumpfbackigkeit unter russischen
       Fußballfans, ebenso mutig wie erfreulich ist.
       
       4 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erik Peter
 (DIR) Erik Peter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) AC Mailand
 (DIR) Winterpause
 (DIR) Tottenham Hotspur
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Schwul
 (DIR) Messi
 (DIR) AC Mailand
 (DIR) Homosexualität
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Einreiseverbot für israelischen Fußballer: Teaminteressen haben Vorrang
       
       Die Vereinigten Arabischen Emirate verweigern dem Dan Mori die Einreise.
       Sein Klub Vitesse Arnheim fliegt trotzdem ins Trainingslager.
       
 (DIR) Gerüchte um russische Fußball-Profis: Schwule Fußballer sind nicht schwul
       
       Zwei russische Nationalspieler posten Fotos, die suggerieren, sie seien ein
       Paar. Nach Beschimpfungen heißt es nun: Alles war nur ein Urlaubsspaß.
       
 (DIR) Weltfußballer-Wahl 2012: Messi sammelt Goldene Bälle
       
       Das hat vor ihm noch keiner geschafft: Lionel Messi wird zum vierten Mal in
       Folge mit dem Ballon d'Or geehrt. Zur Weltfußballerin wird eine
       US-Amerikanerin gewählt.
       
 (DIR) Rassistische Rufe gegen Ex-Herthaner: AC Mailand bricht Spiel ab
       
       Nach rassistischen Beschimpfungen verlässt Kevin Prince Boateng gemeinsam
       mit seinem Team vom AC Mailand den Platz. Der Gegner hieß Pro Patria.
       
 (DIR) Schwuler Fußballer Justin Fashanu: „Er lebt in mir“
       
       Der schwule Fußballprofi Justin Fashanu nahm sich 1998 das Leben. Seine
       Nichte Amal pflegt sein Vermächtnis und will andere Fußballer zum Outing
       ermutigen.
       
 (DIR) Sexualität im Fußball: Gibt es schwule Profis?
       
       Ist die harte Welt des Männerfußballs die Heterohölle? Verstecken sie sich?
       Gibt es auch Spielermänner? Ein Pro und Contra.
       
 (DIR) Homosexualität im Fußball: Die Angst des Schiris vorm Outing
       
       Burkhard Bock hat sich lange Zeit versteckt. Jetzt bekennt sich der
       Schiedsrichter und Verbandsfunktionär aus Brandenburg zu seinem Schwulsein.
       
 (DIR) Marin wechselt zum FC Chelsea: „The German Messi“
       
       Marko Marin wechselt zum Champions-League-Finalisten FC Chelsea. Der SV
       Werder steckt derweil im Umbruch und muss sich nun um die verbliebenen
       Leistungsträger kümmern.