# taz.de -- Minister Robert Habeck: Kein Arschloch hinterm Kuhschwanz
       
       > Deutschlands erster und einziger Energiewende-Minister, Robert Habeck,
       > gewinnt die Menschen. Auch und selbst dann, wenn er selbst scheitert.
       
 (IMG) Bild: Robert Habeck (rechts), hier mit Bundesumweltminister Peter Altmaier (l., CDU) beim Planen der Zukunft. Oder so ähnlich
       
       Er trage heute Schlips, aber nur ausnahmsweise, sagt Deutschlands erster
       und einziger Energiewendeminister, ein Doktor der Philosophie. Er hat ein
       Mikro in der Hand und lächelt von der Bühne in eine volle Bauhalle
       herunter. Ach, übrigens: „Was ist der Unterschied zwischen einem Schlips
       und einem Kuhschwanz?“ Robert Habeck wartet ein paar Sekunden, dann sagt
       er: „Der Kuhschwanz verdeckt das ganze Arschloch.“
       
       Ein Moment Stille. Dann explodiert die Halle.
       
       Aber vielleicht sollte man erst mal erzählen, wo sich diese Bauhalle
       überhaupt befindet. Sie steht am Stadtrand von Husum, ein paar Meter von
       Deich, Nordsee und gefleckten Kühen entfernt. An der Westküste, wie man in
       Schleswig-Holstein sagt. Wir sind beim Mitarbeiterfest des Landesbetriebs
       Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz, kurz LKN genannt. Es regnet.
       
       Der LKN-Chef hat den Minister im Kleinbus herkutschiert, denn Habeck ist
       nicht nur für die Energiewende und Umwelt zuständig, sondern auch für
       Deichbau, Landwirtschaft, Fischerei, Verbraucherschutz, Reaktorsicherheit,
       Erdölbohrungen im Wattenmeer sowie Weiß-, Rot- und Blumenkohlköpfe. Die
       legendären Dithmarscher Kohltage eröffnen; so etwas macht er auch.
       
       Der LKN-Chef heißt Johannes Oelerich, ist selbst ein fideler Kerl und tut,
       als mache er da auf der Bühne eine ganz harmlose Talkshow. In Wahrheit
       unterzieht er den neuen Minister einem knallharten Persönlichkeitstest.
       Habeck hat vorhin im Bus erst gesagt bekommen, was eigentlich genau
       ansteht. Aber jetzt legt er eine fast perfekte Mischung aus Pathos und
       Humor hin. Kaum Politikerfloskeln, keine eingeübten Feldherrngesten und
       Zeug, und selbst der LKN-Schlips, den er sich umgebunden hat, kommt nicht
       als Schleimgeste rüber, sondern als Bekenntnis. In jedem Moment ist zu
       spüren, dass er den Leuten eines unbedingt vermitteln will: Ich, Robert
       Habeck, bin eine ehrliche Haut, und ich verarsche euch nicht.
       
       Habeck, 43, ist ein politischer Seiteneinsteiger. Er ist an der Ostsee
       aufgewachsen, war Schriftsteller und Familienmann, lebte und arbeitete mit
       seiner Frau und vier Söhnen zusammen zu Hause in Flensburg. Vor zehn Jahren
       trat er den Grünen bei, zwei Jahre später wurde er Landesvorsitzender –
       auch mit Hilfe eines Kuhschwanzwitzes. 2009 holte er als einer von zwei
       Spitzenkandidaten das bis dahin beste grüne Wahlergebnis (12,4 Prozent) in
       Schleswig-Holstein, das er im letzten Jahr als alleiniger Spitzenkandidat
       auf 13,2 Prozent steigerte. Mehr noch: Es reichte mit einer Stimme Mehrheit
       oder auch „Arsch über Latte“, wie der Herr Minister zu sagen beliebt, für
       SPD, Grüne und Südschlesischen Wählerverband, sodass Habeck jetzt
       stellvertretender Ministerpräsident ist.
       
       In zwei Büchern hat er gesellschaftlichen Fortschritt jenseits üblicher
       Politikerfibeln definiert. Dem anachronistischen Realo oder
       Fundi-Zuordnungswahn seiner Partei hat er sich stets entzogen und im
       Wahlkampf zunächst auch der alten Rot-Grün-Falle. Auf dieser Grundlage
       wollte er die Grünen in Schleswig-Holstein zur „Volkspartei neuen Typs“
       vergrößern, wie das im Parteisprech heißt – von den Urbanen bis zu den
       Erneuerbaren-Energien-Bauern.
       
       Ach, der Robert, sagen sie in Berlin gern und lächeln. Ein toller Junge.
       Wirklich. Es klingt ein bisschen nach: Lass den mal erwachsen werden. In
       einem Wahlkampf, der sehr ungrün auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten
       war, lag Habeck lange bei knapp 20 Prozent. Dann kam die Piraten-Euphorie,
       aber am Ende rettete Habeck die Partei gerade noch so. Er tat das Gegenteil
       dessen, was die Zauderstrategen in Berlin vorgaben, er ging wenige Tage vor
       der Wahl in eine Fernsehtalkshow und griff die Piraten frontal an.
       
       „Habeck hat das Ding gedreht, weil er gesehen hat, dass man mit
       Hinterherlaufen nichts gewinnen kann“, findet etwa Rezzo Schlauch,
       Fraktionsvorsitzender zu Berliner Regierungszeiten. Er habe genau das
       geschafft, worum es auch im Bundestagswahlkampf gehe: Piraten und Linke
       deutlich auf Distanz halten. Große Hochachtung.
       
       „Der kennt mich doch gar nicht“, brummt Habeck. Mag sein. Aber dafür kennt
       Schlauch die Partei.
       
       Habeck hat das vorher schon große Ressort nach seinen Vorstellungen zum
       Energiewendeministerium erweitert. Er sagt, er wisse ziemlich genau, was er
       in den fünf Jahren schaffen wolle. Priorität hat regionaler, nationaler und
       europäischer Netzausbau. Noch hat die politische Energiewende in
       Deutschland kein Gesicht. Aber es haben ja nicht mal die Grünen einen Kopf,
       der im Wahlkampf dafür stünde. Der Spitzenkandidat und frühere
       Umweltminister Jürgen Trittin ist es bei aller Sachkenntnis nicht, der
       steht für das andere große Thema, die Staatsschuldenkrise. Habeck hatte in
       einem Interview einmal auf dieses alles andere als geheime Defizit
       hingewiesen.
       
       Fanden sie nicht so gut, in Berlin.Aber wie sein grüner Stuttgarter
       Amtskollege Franz Untersteller ist halt auch Habeck ganz schön weit weg von
       Berlin und dessen Aufmerksamkeitsmärkten. Es macht indes den Eindruck, als
       passe ihm das grade ganz gut in den Kram.
       
       ## Mehr Holsteiner als Grüner
       
       Und jetzt ist da noch eine interessante Veränderung eingetreten. Ganz am
       Anfang merkt man es noch gar nicht. Erst wenn man länger redet, wird klar,
       dass sich bei ihm die Bedeutung von „wir“ geändert hat. Er sagt oft „wir“,
       aber er meint nicht mehr die Grünen. Er meint Schleswig-Holstein.
       
       Aus den innerparteilichen Strategie-Scharmützeln und Papierkorb-Diskursen
       hat er sich weitgehend zurückgezogen. Aber es ist nicht nur so, dass ihm
       das Neue wichtiger ist. Vor allem fühlt es sich echt an.
       
       Im Internet kann man auf Fotos sehen, mit welcher Begeisterung er Kohl
       anschneidet. Und in der Halle von Husum kommt jetzt ein Mitarbeiter nach
       vorn und überreicht dem Minister eine LKN-Baseballmütze. Sie passt nicht.
       „Habt ihr hier so kleine Köpfe oder was?“, fragt Habeck und grinst sich
       fast einen ab. Sagt der Mann: „Die Großkopferten sitzen in Kiel.“
       
       Am Ende herrscht ziemlich große Begeisterung. Also, man hatte hier ja schon
       manche; sogar Peter Harry Carstensen. Aber so einen hatte man noch nicht.
       Und sieht er nicht fast zu gut aus für einen Grünen?
       
       „Aber wählen werden die mich trotzdem nicht“, sagt Habeck hinterher. Er
       genießt den Augenblick, aber es macht den Eindruck, als sei er auch immer
       noch resigniert, weil es selbst ihm nicht gelungen ist, die Grünen gegen
       die real existierende Trägheit des Wählermarktes und die Unberechenbarkeit
       einer temporären Konjunktur zur dritten mittelgroßen Partei im Land zu
       machen. Kraft seiner Strategie und der nicht unerheblichen Fähigkeiten als
       Menschenfischer würde er, Habeck, das hinkriegen: Das glaubte er, und das
       gab ihm seine Power.
       
       Jetzt muss ihn das Amt anfixen. Der Horizont ist 2017. Dann will er etwas
       vorzeigen oder übergeben können. Es wird nichts Fertiges, aber es soll
       etwas Sichtbares sein.
       
       Der Minister kommt nicht nur bei den Küstenschützern an, auch bei anderen
       Gelegenheiten hauen sie ihm auf die Schultern, dass es kracht. Es ist
       offensichtlich, warum: weil er eine ziemlich solitäre Mischung aus
       ernsthaftem Politiker und dem Gegenentwurf zum Konventionellen darstellt
       oder sogar ist. Weil die Leute sich nach so einem sehnen. Weil sie
       tatsächlich das Gefühl haben, dass hinter dem Kuhschwanz kein Arschloch
       steckt. Aber, das ist dann Thema in der Schlange zu Grillwurst und
       Kartoffelsalat: Wird er auch noch so sein, wenn er zum dritten Mal kommt?
       Und dann ist Habeck halt auch angreifbar durch seinen Anspruch, bei sich zu
       bleiben. Konnte man regelmäßig auf Facebook nachlesen.
       
       In Husum fragt ihn LKN-Chef Johannes Oelerich, wie er das nur alles
       schaffe: Minister, Parteifunktionär, Familienvater. „Ich schaff es eben
       nicht“, sagt er und fummelt an seiner Baseballmütze, „ich lauf den ganzen
       Tag mit Heimweh nach meiner Familie rum.“ Habeck bedröppelt, Leute
       bedröppelt.
       
       Grade sah es noch aus, als sei da ein Mann, den sein Amt richtig glücklich
       macht. Und jetzt möchte man ihm ein Taschentuch auf die Bühne reichen. Wenn
       man es nicht grade dringend selbst bräuchte. Es ist ein seltsam
       ergreifender Moment, weil jeder in der Halle spürt: Der meint das ernst.
       
       Nichts irritiert Menschen mehr als die Wahrheit.
       
       9 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
 (DIR) Peter Unfried
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Robert Habeck
 (DIR) Energiewende
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Bündnis 90/Die Grünen
 (DIR) Japan
 (DIR) Zeitung
 (DIR) Drogen
 (DIR) China
 (DIR) SPD
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Globaler Meeresschutz: Es fehlt nur das UN-Mandat
       
       Ob Überfischung oder Chemikalienverklappung: Auf hoher See ist die
       Verfolgung von Umweltverbrechen bislang schwierig. Das soll sich ändern.
       
 (DIR) Zeitung gestern und morgen: Im Raum voll der schönsten Frauen
       
       Auch als die erste Nummer der taz erschien, musste alles schnell gehen.
       Eine Erinnerung an eine Zeit, die von heute aus betrachtet gemütlich wirkt.
       
 (DIR) Was beim Tanzen passiert: Extrem außer und ganz bei sich
       
       Über das beglückende Gefühl, am richtigen Ort zur richtigen Zeit und das
       Zentrum der Welt zu sein. Eine Reflexion über den Zustand, wenn das Denken
       aufhört.
       
 (DIR) Drogen nehmen in Berlin: Einmal Fair-Trade-Biokoks, bitte
       
       Für Berliner Partygänger hat ein Dealer etwas ganz Besonderes. Er vertickt
       reines Biokoks. Guter Stoff, noch besseres Gewissen.
       
 (DIR) In China ist ein Sack Reis umgefallen: Mitten in Peking
       
       Auf dem Sanyuanli-Markt ist es passiert. Und es muss ruckartig gewesen
       sein. Aber niemand macht sich die Mühe, den Sack Reis wieder aufzustellen.
       
 (DIR) Journalisten in Parteien: Sag's besser keinem
       
       Journalisten sollten nicht Mitglied in einer Partei sein, das mache sie
       angreifbar. Da sind sich viele Kollegen einig. Aber warum eigentlich? Ein
       Bekenntnis.