# taz.de -- Schwabenhass in Deutschland: Sieben schlimme Schwaben
       
       > Nicht nur in Berlin: Menschen mit schwäbischem Migrationshintergrund
       > sehen sich mit schweren Anfeindungen konfrontiert.
       
 (IMG) Bild: Schwabenfeindliches Graffito in der Husemannstraße, Berlin-Prenzlauer Berg.
       
       ## Thierse hat recht
       
       Ich wohne in der gleichen Straße wie Wolfgang Thierse. Und ich finde, der
       Mann hat recht. Wenn ich durch die Straßen unserer Gegend gehe, sehe ich
       all die Graffiti, wie „Schwaben raus“, „Schwaben Fotzen!“, „Schwaben
       verpisst euch!“. Ich komme aus Schwaben – genauer gesagt Oberschwaben – und
       gehöre zu den Leuten, die sich über Papier in der Glastonne und Glas in der
       Papiertonne aufregen. Ich bin die personifizierte Kehrwoche unseres
       Hinterhofes. Wenn jemand mal so richtig hinter den Mülltonnen saubermacht,
       dann ich.
       
       Auch wenn ich seit 30 Jahren in Berlin lebe, kann jeder sofort hören, dass
       ich aus Schwaben bin. Mein schwäbischer Singsang hält sich hartnäckig, ich
       bräuchte dringend Sprechunterricht. Dafür bin ich natürlich zu geizig. Ich
       bin mir ziemlich sicher, dass die ganzen miesen Graffiti und Kampagnen von
       den Schwaben in Prenzlauer Berg selbst gemacht sind. Das ist reiner
       Selbsthass und damit kann ich mich voll identifizieren. Wäre ich nicht so
       feige, würde ich auch nachts losziehen und sprayen. Den Schwaben in sich
       zum Erliegen zu bringen ist nahezu unmöglich.
       
       Da zieht es einen nach Berlin, das wilde Leben, der Dreck, der Lärm, die
       Anarchie ruft. Aber diese Stimme wird im Laufe der Jahre immer leiser,
       dafür meldet sich das Schwaben-Gen. Putzen, schaffen, für Ruhe sorgen – und
       da wir nicht faul sind, wird das gnadenlos durchgesetzt. Es ist gut, dass
       es noch Menschen gibt, die den Mut haben, sich zwischen mich und meinen
       Besen zu werfen, damit ich wieder zur Besinnung komme. ISABEL LOTT 
       
       ***
       
       ## Brezel, go home!
       
       Spätnachts, beim Einparken in Prenzlauer Berg, habe ich Erstkontakt mit
       Berliner Schwabenhass. Nach achteinhalbstündiger Fahrt von Tübingen nach
       Berlin reißt mich das Geräusch knacksenden Plastiks aus meiner
       Schläfrigkeit. Aufgeschreckt parke ich um. Kontrolliere die Stoßstange des
       Berliner Kombis. Anscheinend alles in Ordnung. Bei mir allerdings leichte
       Dellen.
       
       „Nix passiert, Dicker“, raunzt der Späti-Verkäufer über die regennasse
       Straße. „Bist gegen die Baustellenabsperrung gefahren.“ Er zeigt auf mein
       Nummernschild und lacht dreckig. „Schwaben können halt nicht einparken.“
       „Bin kein Schwabe. Nur das Auto“, raunze ich zurück. So leicht lass ich
       mich nicht abstempeln. „Lüch nich, Dicker. Ihr parkt uns hier alle den Kiez
       zu! Go home, Brezel, ey!“
       
       So klingt sie also. Und heißt mich willkommen. Die Schnauze. Der raue
       Charme der Hauptstadt. Ich kaufe mir ein Helles bei ihm, das ich alleine
       zwischen Umzugskisten trinke. Endlich da. Ganz schön hier. TOBIAS OELLIG 
       
       ***
       
       ## Absurdes bei Absinth
       
       Ich sitze in großer Runde in einer Absinth-Bar in Prenzlauer Berg. Es zieht
       mich selten in diesen Bezirk, aber heute feiern Freunde den Abschluss ihrer
       Fotografenausbildung. Mit PartnerInnen und MitbewohnerInnen kommen wir auf
       mehr als ein Dutzend Leute und schieben die Tische zu einer großen Tafel
       zusammen. Es feiert sich ausgelassen bei brennendem Zucker, Absinth und
       kühlem Bier – eine Runde folgt der nächsten. Es sitzen Bayern, Afrodeutsche
       und Afroamerikaner am Tisch, Hessen, Hamburger, ein Israeli, Sachsen – und
       ein Schwabe.
       
       Irgendwann betritt ein Typ mit Irokesenschnitt und rot beschnürten
       Springerstiefeln den Laden und erkennt jemanden an unserem Tisch. Wir
       rücken zusammen. Er gesellt sich dazu. Er spricht sehr laut und
       raumgreifend, sodass es bald nur noch ein Gespräch in der Gruppe gibt –
       seines. Als die nächste Runde gebracht wird, erhebt er sein Glas und sagt:
       „Trinken wir darauf, dass kein Scheißschwabe bei uns am Tisch sitzt!“ Ich
       erwidere, dass ich sehr gerne mit ihm darauf anstoße, schließlich bin ich
       Schwabe. Und dass er mich nicht direkt in die Kategorie „Scheiße“
       einordnet, ist ja wohl einen kräftigen Schluck wert!
       
       Der Typ kippt sein Glas und verschwindet ohne ein weiteres Wort. Endlich
       können wir uns wieder unseren Gesprächen widmen und beschließen, gleich
       noch eine Runde zu bestellen. In Prenzlauer Berg bin ich seitdem noch
       seltener unterwegs. DOMINIK RÖTTGERS 
       
       ***
       
       ## Ein Seelen-Asylant
       
       Ich bin ein Lebensgefühlflüchtling. Ein Seelen-Asylant, der das
       Schwabenland spießig fand. Also zog ich nach Berlin, die Stadt der
       WG-Küchen. In diesen Küchen trinkt man Bier vom „Späti“, einem der vielen
       Spätverkauf-Läden, und erfreut sich ansonsten seiner selbst gewählten
       Armut. Hier fand ich sie also endlich – Heimat.
       
       Und ausgerechnet dort wurde ich diskriminiert. Delia, die coole Pottsau,
       war schuld. Wir waren Lebensabschnittsfreunde. An einem dieser wundervollen
       WG-Küchen-Abende sagte sie: „Ich hasse Schwaben.“ Alle hielten es für
       Kiffergelaber. Aber sie meinte das total ernst. Schwaben waren in ihrem
       Weltbild an allem schuld, was Berlin kaputt macht: Gentrifizierung, Bullen,
       Kinderwagen, Anzeigen wegen Ruhestörung. Ich argumentierte: Du wohnst doch
       auch saniert, Bullen sind Berliner, die Geburtenrate zugewanderter
       Nordrhein-Westfalen ist höher als die von Schwaben, und – nun gut, die
       Ruhestörung ließ ich gelten.
       
       Keine Chance. Ich vergab ihr trotzdem und sang ihr ein Schwabigramm. Es
       endete mit der Zeile: „Nur eins, das kann ich nicht ertragen / Delia hasst
       Schwaben.“ INGO ARZT 
       
       ***
       
       ## Keine Glückwünsche
       
       Als einziger Anhänger des Gästeteams aus Stuttgart unter 6.000 Freiburgfans
       hätte ich es wissen müssen. Dass mich die aggressiv angetrunkenen
       SC-Anhänger auf der – für Mercedes-Benz-Arena-Verhältnisse kleinen, aber
       zugegebenermaßen wilden Nordtribüne des Freiburger Badenovastadions – nicht
       in Ruhe lassen. Wenn meine von jeher und auf ewig haushoch überlegene
       Herzenstruppe aus der Landeshauptstadt anreist, um ihre drei Punkte
       abzuholen. Um den Breisgauern, denen die Sonne ja immer ach so aus dem
       Arsch scheint, die Hütte vollzuhauen. Wenn ich schreie, während der Rest
       der Tribüne schweigt.
       
       Und so kam es, dass ich an diesem lauen Septembersamstag, 28 Minuten nach
       Anpfiff, etwas bedröppelt und isoliert auf der Tribüne stand und meine
       Haare und Kleidung ein würziges Hopfenaroma absonderten, wie es nur die
       Staatsbrauerei Rothaus zusammenzumischen vermag. Doch was war geschehen?
       Eine Minute zuvor, in der 27. Spielminute, entschloss sich das Stuttgarter
       Ball-Ensemble dazu, die Spielchen mit dem Gegner zu beenden: eine
       zuckersüße Flanke von Cacau vor den Kasten, wo Pogrebnjak nur noch locker
       einzunicken brauchte. 5.999 konsternierte Blicke, meine zwei Hände in der
       Luft.
       
       Angeknackste Fußballerseelen sind zu allem bereit. Bier mit und ohne
       Becher, „Schwabensau“-Rufe und allerlei anderer physischer und verbaler
       Unrat prasselten auf mich ein. Keine sportlichen Glückwünsche, nur Hass und
       böse Blicke. Gepeinigt und eingeschüchtert harrte ich weitere 60 Minuten
       aus, um das Stadion kurz vor Schluss eilig zu verlassen. Ach ja: Freiburg
       gewann 2:1. FELIX AUSTEN 
       
       ***
       
       ## Damals nicht
       
       „Kein Brot das ist hart“ – stand handgekritzelt am Schaufenster des kleinen
       Bäckerladens in Schöneberg. Nun konnte der Kunde im Berlin der 80er Jahre
       rätseln, ob die zwei alten Damen, die ihn führten, kriegsgeschädigt die
       alte Not beschworen oder orthografisch falsch mitteilen wollten, dass es
       kein hartes Brot bei ihnen gab. Sie darauf anzusprechen traute sich
       niemand, waren sie doch knapp und barsch.
       
       Selbst meinen kräftigen Schwager aus Schwaben, der frische Brötchen fürs
       Frühstück holen wollte, schüchterten sie ein. Sie hätten ihm keine Wecken
       gegeben, behauptet er verunsichert, obwohl er im Korb eindeutig weiße
       Wecken identifizieren konnte. Als er darauf zeigte, wurde nur der Kopf
       geschüttelt. Kompromisslos.
       
       Schwabendiskriminierung gab es im damaligen Berlin der 80er Jahre
       eigentlich nicht. Die Schwaben, die kamen, waren arme Studenten,
       Protestierer oder Kommissflüchtlinge. Sie kauften keine Wohnungen,
       besetzten allenfalls Häuser. Sie waren weder chic noch hip noch reich noch
       Mutter. Sie wurden als arme Provinzler, die endlich das Weltflair des
       Kudamms schnuppern durften, belächelt. Sie sprachen schwerfällig Deutsch,
       verlangten Wecken statt Schrippen und wurden von den schnellen Berlinern
       einfach nicht verstanden. Und so zur bedingungslosen Anpassung erzogen. Sie
       gingen auf in der Dominanzkultur. Nur ein verstecktes „des“ statt „det“
       verriet manchmal ihren Migrationshintergrund. EDITH KRESTA 
       
       ***
       
       ## Ja, das ist grausam
       
       Ich habe, je nach Sichtweise, einen jugoslawischen, einen kroatischen,
       einen deutschen, einen bosnischen oder einen schwäbischen
       Migrationshintergrund. Meine Mutter ist Kroatin, mein Vater Bosnier,
       aufgewachsen bin ich bei einer deutschen Pflegefamilie in Horb am Neckar,
       in der Nähe von Tübingen.
       
       Als ich letztens in Prenzlauer Berg einer Person, die ich gerade
       kennenlernte, meine Herkunft erklärte, sagte diese: „Oh, das ist ja
       grausam. Kommunisten, Faschisten, Moslems, Krieg, Vertreibung und dann auch
       noch ein Schwabe.“ Ja, ein wirklich grauenvoller Migrationshintergrund.
       
       In Horb am Neckar, meiner Heimat, war ich immer der Jugo, der Ausländer.
       Und im Sommerurlaub, bei Oma und Opa im kroatischen Split, hieß ich der
       Schwabo, der Deutsche. Als ich in London wohnte, war ich der fucking
       German, und als ich einmal in Berlin eine Wohnung suchte, gab mir ein
       Vermieter – seinem Zungeneinschlag nach zu urteilen ein schwäbischer
       Landsmann – unmissverständlich zu verstehen, dass er keine Ausländer mag.
       
       Das Gute am Anderssein ist, dass man eine spielerische Distanz hinsichtlich
       seiner Identität gewinnt. Man spielt mit den Zuschreibungen: Man wird mal
       dieses und jenes und dieses wiederum nicht. Man verwirrt die Reduktion von
       Komplexität durch eine Vervielfältigung der Reduktion von Komplexität. Hä,
       was soll denn das jetzt bedeuten? Keine Ahnung, aber viel Spaß noch im
       Schrippenkrieg. ALEM GRABOVAC
       
       11 Jan 2013
       
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