# taz.de -- Schwaben-Debatte: Nicht mehr als dicke Nudeln
       
       > Bereits vor zwei Jahren verteilte unser Autor äußerst erfolgreich
       > "Schwabylon"-Aufkleber. Die aktuelle Spätzle-Truppe hat die Sticker
       > einfach kopiert - verfolgt aber offenbar ganz andere Ziele.
       
 (IMG) Bild: Die "Schwabenecke" - ist das noch politisch korrekt?
       
       Als vor zwei Jahren die heiße Phase der „Welcome to Schwabylon“-Verbreitung
       lief, waren wir überrascht und etwas verwundert über das breite Medienecho
       auf die von uns verteilten, relativ banalen Aufkleber. Von der taz über den
       RBB bis zu Spiegel Online International, alle schienen auf dieses eine Wort
       gewartet zu haben: Schwabylon! Endlich hatte man eine Bezeichnung für die
       „Schwaben in Berlin“-Schublade. „Babylon ist der Code für die Angst vor zu
       vielen Möglichkeiten, Schwabylon heißt die Furcht vor der
       Alternativlosigkeit“, schrieb damals taz-Redakteur Daniel Schulz – und er
       hatte recht.
       
       Dass wir uns als gebürtige Kreuzberger mit Graffitihintergrund zur
       massenhaften Verbreitung unserer Botschaft mit verschiedenen, theoretisch
       verfeindeten Gruppen aus dem Osten Berlins verbündet haben, spricht für die
       Solidarität, die der Berliner entwickeln kann, wenn es ihm an den Kragen
       geht. Zwar haben wir den Begriff Schwabylon nicht erfunden: In München gab
       es bereits Anfang der 1970er Jahre (allerdings nur kurzzeitig) ein
       Einkaufs- und Freizeitzentrum mit dem gleichen Namen. Aber immerhin konnte
       man uns anrechnen, dass wir von diesem Konsumtempel keine Ahnung hatten und
       wir die Ersten waren, die ganz bestimmte Ecken – etwa den Prenzlauer Berg
       oder Teile von Kreuzberg – mit dem vergleichsweise harmlosen Stigma des
       „Schwaben-Kiezes“ brandmarkten.
       
       ## Kein klares Statement
       
       Obwohl unser Standpunkt immer relativ patriotisch daherkam, haben wir es
       mit Absicht vermieden, ein klares Statement abzuliefern. Was bedeutet
       „Welcome to Schwabylon“ schon? Anders als „Schwaben raus!“ oder gar „Kauft
       nicht bei Schwaben!“ enthält sich der Sticker jeder Wertung. Das war
       absolut kein Zufall.
       
       Ich erinnere mich an eine Anekdote aus Prenzlauer Berg, wo ich vor knapp
       zwei Jahren einen jungen Mann dabei beobachtete, wie er die in der
       Kollwitzstraße eben erst angebrachten Aufkleber äußerst mühsam entfernte.
       Auf Nachfrage betonte er, diese Schwaben hätten dafür gesorgt, dass er aus
       seiner Wohnung ausziehen müsse. Jetzt auch noch überall diese Sticker
       ertragen zu müssen, das sei einfach zu viel für sein schwaches Gemüt. Also
       ließ ich ihn in seinem Glauben.
       
       Vielleicht hat ihm die Entfernung geholfen, etwas Frust abzubauen, auch
       wenn er den eigentlichen Hintergrund nicht verstanden hatte. Insofern
       stellten unsere Sticker nichts weiter als eine Projektionsfläche dar,
       verbunden mit einem Branding. Auch das ist Zufall. Schließlich war die Idee
       in den Räumen des Kreativstudios von „Cheesecake Powerhouse“ entstanden und
       hatte zu keinem Zeitpunkt größere Ambitionen als den Spaß an der Sache und
       der Lust an dem, was man neuerdings überall, selbst in Galerie-Kreisen,
       „Streetart“ nennt.
       
       ## Trinkgeld seines Lebens
       
       In der Folgezeit setzte sich der Begriff mehr und mehr durch. Als der erste
       Taxifahrer „Welcome to Schwabylon“ rief, nachdem er auf die Kastanienallee
       eingebogen war, gab ich ihm das Trinkgeld seines Lebens, und wir waren uns
       sicher: „Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören!“ Also wurde die
       Produktion trotz reger Nachfrage eingestellt, die gelben Sticker mit der
       schwarzen Schrift verblassten mit der Zeit auf den Stromhäuschen und
       Straßenschildern der Stadt. Doch der Begriff blieb.
       
       Als ich vor wenigen Tagen mal wieder zum Bäcker Schrägstrich Kiosk
       schlurfte, um mich mit meiner türkischen Bäckerin darüber zu streiten,
       warum die Pfannkuchen plötzlich Berliner hießen, und sie fragte, ob sie
       denn wirklich möchte, dass ich das nächste Mal mit Wolfgang Thierse im
       Schlepptau aufkreuze, traute ich meinen Augen nicht: „Anschlag auf
       Käthe-Kollwitz-Plastik“, so die Schlagzeile einer Zeitung.
       
       Auf der Titelseite das zugegebenermaßen nicht besonders ansehnliche Gesicht
       der großen Bildhauerin, besudelt, als wäre sie die Darstellerin in einem
       Spätzle-Bukkake-Porno. Ohne die Hintergründe zu kennen, ahnte ich zu diesem
       Zeitpunkt bereits: Entweder handelt es sich hierbei um Querfrontler oder um
       Menschen, die wirklich nicht gelernt hatten, dass es oberste Maxime einer
       Guerillabewegung sein muss, die einfache Bevölkerung auf seine Seite zu
       ziehen.
       
       Ich nutzte meine Kontakte zu sämtlichen Untergrundgruppen des Prenzlauer
       Bergs und relativ schnell wurde klar, dass es sich weder um eine „Agent
       Provocateur“-Geschichte noch um ein aus dem Ruder gelaufenes perfektes
       Dinner handelt. Hier waren eventuell wirklich ideologisch gefestigte
       Überzeugungstäter am Werk!
       
       Bis zu diesem Zeitpunkt war es einzig und allein die diffuse Wut über das
       Geschehen, die mich bewegte. Schließlich war der Kollwitzplatz jahrelang
       meine Heimat und die Käthe quasi die Repräsentantin derselbigen.
       
       Kurz darauf erreichte mich durch einen befreundeten Radioredakteur das
       Bekennerschreiben der Gruppe, die sich „Free Schwabylon“ nennt: „Wir
       fordern einen autonomen schwäbischen Bezirk in Berlin. Der Kollwitzplatz
       als Zentrum der Berliner Schwaben soll schwäbisch werden. In einem Viereck
       um den Platz sollen Schwäbinnen und Schwaben so schwäbisch sein können, wie
       sie wollen. Wir fordern die Gründung des Bezirks Schwabylon: zwischen der
       Danziger Straße im Norden, der Metzer Straße im Süden, der Schönhauser
       Allee im Westen und der Prenzlauer Allee im Osten“, heißt es dort unter
       anderem. Das Logo der Gruppierung ist ein simpler schwarzer Schriftzug auf
       neongelbem Untergrund. Es ist fast vollkommen identisch mit dem unseren.
       
       ## Gesichtslose Aktivisten
       
       Aufgrund unserer Guerilla-Kontakte dauerte es nur wenige Stunden, bis der
       Kontakt mit den – bis heute gesichtslosen – Aktivisten hergestellt wurde.
       Sie faselten etwas von Respekt vor unserer Leistung, man wisse jedoch
       nicht, „ob unsere Interessen in die gleiche Richtung gehen, ob eine
       gegenseitige Verlinkung also produktiv wäre“.
       
       Unsere Plagiatsvorwürfe wiesen sie ebenfalls zurück, schließlich benutzen
       sie für ihr identisches Logo die Schrift Futura, wir nahmen Helvetica. Auf
       eine handfeste Prügelei wollte sich bisher auch keiner der Beteiligten
       einlassen. Eine äußerst merkwürdige Einstellung für eine Untergrundgruppe,
       die wir gern und entschieden anprangern.
       
       Immerhin haben sie es mit ihrer Aktion bis in die New York Times geschafft,
       auch wenn der Artikel in dieser Zeitung die ganze Aktion etwas zu ernst
       nimmt. Denn bei aller Liebe und bei allem Hass: Es bleiben ein paar dicke
       Nudeln auf einer Eisenstatue. Schwabylon hin, Schwabylon her.
       
       22 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Juri Sternburg
       
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