# taz.de -- Protokoll einer Romni: „Keiner weiß, dass wir Roma sind“
       
       > Diana S. spricht sieben Sprachen und arbeitet als Dolmetscherin. Sie
       > verheimlicht ihre Herkunft – aus Sorge vor Diskriminierung.
       
 (IMG) Bild: „Ich werde ihnen auch erst später erzählen, dass sie Roma sind, vielleicht, wenn sie elf sind....Mein Sohn hat so schon genug Probleme in der Schule.“
       
       Der Unterschied zwischen Rumänien und Deutschland ist, dass ich in Rumänien
       meine Identität nicht verstecken konnte. Jeder hat mich sofort als Romni,
       als Roma-Frau, erkannt, es wäre sinnlos gewesen, das verbergen zu wollen.
       Deswegen war Diskriminierung für mich normal. Ich bin damit aufgewachsen
       und kannte es gar nicht anders.
       
       Ich war die einzige Romni auf meinem Gymnasium, niemand hat mich ernst
       genommen. Die Mitschüler wollten nichts mit mir zu tun haben, jeder hat
       mich für minderwertig gehalten. Erst, als ich an der Universität war und
       andere Roma-Studenten kennen gelernt habe, habe ich verstanden, dass ich
       das Recht auf Gleichbehandlung habe.
       
       Ich spreche heute sieben Sprachen, übersetze auf Konferenzen und bin die
       erste Romni, die beim EU-Parlament, der EU-Kommission und dem Europäischen
       Gerichtshof als Dolmetscherin akkreditiert worden ist. Manchmal fliege ich
       mehrfach pro Monat nach Brüssel oder Straßburg. Ich bin Roma-Aktivistin,
       aber hier zu Hause muss ich das vertuschen.
       
       Mein Mann und ich wohnen in Hamburg, in unserer Nachbarschaft weiß keiner,
       dass wir Roma sind. Wenn sie fragen, welche Sprache ich mit meinen Kindern
       spreche, sage ich, es sei Rumänisch. Diese Vertuschung ist gegen meine
       Prinzipien und sie macht mir zu schaffen. Ich schäme mich nicht für meine
       Identität, ich kämpfe für Roma-Rechte, und trotzdem kann ich in dieser Welt
       meinen Stolz, Romni zu sein, nicht immer zeigen.
       
       ## Die Kinder wissen nicht, dass sie Roma sind
       
       Ich bin 32 Jahre und komme aus einer kleinen Stadt in Rumänien. Meine
       Familie ist Teil einer traditionellen Gruppe von Roma. Die Frauen kleiden
       sich mit langen Röcken und Kopftüchern, sie tragen niemals Hosen. Die
       Familie ist bei uns wichtiger als alles andere.
       
       Auch mein Mann ist Rom, er stammt aus dem Kosovo, wir haben 2003 in Hamburg
       geheiratet. Weil er als geduldeter Flüchtling Deutschland nicht verlassen
       durfte, konnte er meine Familie nicht vor unserer Hochzeit besuchen, wie es
       der Tradition entspricht. Wir mussten alles per Telefon klären, unsere
       Familien haben sich dann hier getroffen.
       
       Heute ist er selbstständig. Wir glauben beide an Gott, aber ich bin
       Christin, mein Mann ist Muslim. Bei uns wird alles gefeiert. Mein Sohn ist
       beschnitten, aber unsere Kinder, sie sind 6 und 8 Jahre alt, sollen sich
       später selber für eine Religion entscheiden. Wenn sie älter werden, werde
       ich ihnen den Unterschied erklären.
       
       Ich werde ihnen auch erst später erzählen, dass sie Roma sind, vielleicht,
       wenn sie elf sind. Bis jetzt sage ihnen nur, dass wir aus Rumänien stammen.
       Mein Sohn hat so schon genug Probleme in der Schule. Er ist dunkelhäutig,
       sie nennen ihn „Cola“. Einmal habe ich ihn mit einer Salbe eingecremt, er
       hat mich dann gefragt, ob er davon heller wird. Er geht auf eine freie
       Schule, es war nicht einfach, dort einen Platz zu bekommen. Es gab 89
       Bewerbungen auf 24 Plätze. Auch bei der Bewerbung habe ich nicht gesagt,
       dass ich Romni bin, sonst hätte ich niemals einen Platz für ihn gekriegt.
       
       ## Automatisch für eine Diebin gehalten
       
       Ich bin mit Deutschen befreundet, mit Polen, Russen, ich kenne sie vom
       Spielplatz oder aus dem Kindergarten. Sie wissen nicht, dass ich Romni bin.
       Sie würden den Kontakt zu mir abbrechen. Eine Deutsche hat das getan, als
       sie es erfahren hat, obwohl wir da schon drei Jahre befreundet waren. Ich
       habe es danach noch zweimal Müttern, die ich kannte, erzählt, dass ich
       Romni bin. Eine hat es freundlich aufgenommen, die andere sagte, sie freue
       sich, dass ich „es so weit geschafft“ habe, aber ich habe gespürt, dass sie
       danach Abstand genommen hat.
       
       Als ich einmal mit einem langem Rock, hochschwanger, auf der
       Mönckebergstraße zusammengebrochen bin, hat mir niemand geholfen. Ein Herr,
       den ich gebeten habe, einen Krankenwagen zu rufen, hat gesagt, er habe
       keine Zeit. Einmal war ich bei H&M, mit meinem Mann, wir wollten einkaufen
       und wurden die ganze Zeit von einer Verkäuferin verfolgt. Als ich mich
       beschwert habe, hat man mir gesagt, ich solle ruhig sein, die
       Filialleiterin drohte mir mit der Polizei.
       
       Ich habe mich dann an die Zentrale von H&M in Schweden gewandt, die
       Filialleiterin musste sich dann bei mir entschuldigen. Solche Geschichten
       passieren mir die ganze Zeit. Wenn ich in ein Geschäft gehe und
       traditionell gekleidet bin, kommt es vor, dass die Verkäuferinnen eine
       Durchsage für die anderen Kunden machen: „Bitte passen Sie auf ihre Taschen
       auf!“ Dabei habe ich noch nie in meinem Leben etwas geklaut.
       
       Wenn ich mit anderen Roma-Frauen darüber spreche, sagen die nur: „Na und,
       das machen die doch immer.“ Jetzt trage ich nicht mehr so lange Röcke, eher
       kürzere und unauffällige. Die Leute geben mir sonst einen Stempel, sie
       sehen mich nur noch als Romni. Ich habe darüber nachgedacht, Deutschland zu
       verlassen, 2004 wurde mir ein Job in Brüssel angeboten. Aber den konnte ich
       nicht annehmen, weil mein Mann in Deutschland geduldet war und Hamburg
       nicht verlassen durfte.
       
       ## Überall nur Hürden
       
       In meiner Schulzeit wollte meine Lehrerin für Rumänisch mich nicht zum
       Abitur zulassen, ich habe dann beim Zentralabitur eine der besten Prüfungen
       gemacht. Über 50 Prozent aller Schüler sind durchgefallen, ich habe bei
       Rumänisch 9,5 von 10 Punkten bekommen. Dabei war Rumänisch eine
       Fremdsprache für mich, meine Familie spricht Romanes.
       
       Ich hätte danach fast nicht zur Uni gekonnt, mein Vater konnte mein Studium
       nicht finanzieren. Meine Mutter hat gesehen, wie ich darunter gelitten
       habe, sie ist dann mit mir nach Bukarest gefahren und hat gesagt: Wir sehen
       mal, was du machen kannst, wenn ich meine Prüfung schaffe, dann schaffen
       wir es auch, das Studium zu finanzieren. Ich habe die Aufnahmeprüfung für
       Fremdsprachen und Jura gemacht und bestanden. Meine Brüder, die in Serbien
       gearbeitet haben, haben mir Geld geschickt.
       
       Ich habe dann in Bukarest Jura und später in Hamburg Politik studiert, 2009
       einen Bachelor-Abschluss gemacht, obwohl ich da schon zwei Kinder hatte.
       Mein Mann hat mich sehr unterstützt. Während meines Studiums habe ich in
       Bukarest angefangen, als Dolmetscherin zu arbeiten, für Journalisten ins
       Französische übersetzt. Für die Shoah Foundation von Steven Spielberg habe
       ich Überlebende interviewt.
       
       2001 habe ich Englisch am Manhattanville-College in New York studiert, dann
       ein Praktikum beim europäischen Romaverband in Budapest gemacht. Die haben
       mich mitgenommen zum UNO-Weltkongress gegen Rassismus in Durban. 2002 bekam
       ich dann ein Stipendium für einen Auslandsaufenthalt, das Land durfte ich
       mir aussuchen. Ich wollte nach Hamburg, weil ich mich in Rumänien mit der
       Schoah-Geschichte befasst hatte. Das interessiert mich sehr, auch wenn es
       in meiner Familie keine Holocaust-Opfer gibt, ist das ein Teil meiner
       Geschichte. Angehörige meiner Gruppe wurden in der NS-Zeit nach
       Transnistrien deportiert.
       
       ## Roma-Verweis aus dem Lebenlauf gestrichen
       
       Es war schwierig, ein Visum für Deutschland zu bekommen. Der Vorsitzende
       des Europäischen Forums der Roma and Travellers musste sich erst an den
       deutschen Außenminister wenden, bevor ich einreisen durfte. Ich bin dann
       bei meiner Praktikumsstelle geblieben, habe geholfen eine Konferenz in
       Polen zu organisieren. Vier Monate war ich in Hamburg, dann sollte ich
       wieder nach Manhattan, diesmal als Lehrerin.
       
       Doch in der Zwischenzeit hatte ich mich in Hamburg verliebt. Ich bin dann
       nicht in die USA, sondern habe in Hamburg Kinder in Romanes unterrichtet.
       2004 lief das Projekt allerdings aus. Danach fing ich an, als
       Konferenzdolmetscherin für Romanes zu arbeiten.
       
       Als Dolmetscherin verdient man gut, aber damit allein könnte ich trotzdem
       nicht alles bezahlen, die Krankenkasse zum Beispiel ist für Selbstständige
       sehr teuer. Als ich beim Wall Street Institute in Hamburg eine
       Englischprüfung abgelegt habe, hat mir der Lehrer gesagt, ich sei die beste
       Schülerin, die er je hatte. Und trotzdem habe ich außerhalb der Romaszene
       nie Arbeit gefunden. Ich habe ein Jahr lang nach einem Nebenjob gesucht
       aber keinen gefunden.
       
       Das habe ich einem guten Freund erzählt, er ist Versicherungsmakler. Er hat
       gesagt: „Es ist unmöglich, dass du nichts findest, mit all deinen
       Sprachen.“ Dann hat er meinen Lebenslauf gesehen und gesagt: „Alles klar“.
       Ich sollte alles aus meinem Lebenslauf streichen, woran zu erkennen ist,
       dass ich Romni bin. Ich habe gedacht, er hat recht, und habe es gemacht.
       Ich bekam dann eine Absage von einem Sprachinstitut, sie sagten, ich sei
       überqualifiziert.
       
       Jetzt arbeite ich neben dem Dolmetschen als Berufsberaterin für
       Roma-Schüler. Es ist wieder ein Job, der mit der Romaszene zu tun hat, aber
       er gibt mir die Möglichkeit, Roma-Schüler zu motivieren und dabei zu
       unterstützen, nach einer guten Bildung zu streben. Protokoll: Christian
       Jakob
       
       7 Mar 2013
       
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