# taz.de -- Grüne und Agenda 2010: Aufgeweichte Erinnerung
       
       > Jürgen Trittin behauptet plötzlich, die Grünen hätten Hartz IV eigentlich
       > nur zusammen mit Mindestlöhnen gewollt. Das kann leider nur niemand
       > bestätigen.
       
 (IMG) Bild: Gedächtnisverlust? Jürgen Trittin
       
       BERLIN taz | Die laufende Agenda-2010-Gedächtnis-Woche strapaziert auch das
       Erinnerungsvermögen vieler Grüner.
       
       Gefragt, warum eigentlich nur die SPD die Prügel für die vor zehn Jahren
       von Kanzler Gerhard Schröder angekündigten Sozialreformen bekommen hätten,
       erklärte am Dienstag der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin der
       hannoverschen [1][Neuen Presse]: „Wir haben bis zum Schluss dafür plädiert,
       die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu verknüpfen mit einem
       gesetzlichen Mindestlohn. Das ist damals von der Sozialdemokratie […]
       blockiert worden.“
       
       Darüber dürfte sich nicht nur die SPD wundern. Diese ärgerte sich noch bis
       zum rot-grünen Ende 2005 über den grünen Slogan, wonach die Grünen der
       wahre „Reformmotor“ der Koalition seien. Die einfühlsamere Variante dieses
       Spins lautete, die SPD habe eben Probleme wegen ihrer rückwärtsgewandten
       Klientel.
       
       Auch manche Grüne aber erinnern sich anders. „Eine Legende – leider“, nennt
       etwa der Europapolitiker Werner Schulz die Aussage Trittins. Schulz, damals
       wirtschaftspolitischer Sprecher, gehörte ab 2002 zu den Kritikern der
       Hartz-Reformen und verweigerte diesen im Bundestag – am Ende als einziger
       Grüner – seine Stimme. Seine ParteifreundInnen erläuterten sein Verhalten
       gern damit, er sei halt sauer, weil er nicht Fraktionschef geworden sei.
       „Der Mindestlohn war damals kein Thema“, sagt Schulz heute. „Das war eine
       verpasste Chance.“
       
       Neben Schulz hatten sich bei der SPD wie bei den Grünen eine Handvoll Leute
       quergestellt, nachdem im Sommer 2003 das Kabinett die Zusammenlegung von
       Arbeitslosen- und Sozialhilfe – „Hartz IV“ – beschlossen hatte. Das
       Abrutschen der Löhne müsse verhindert werden, war eine ihrer Forderungen.
       Vor der Abstimmung im Bundestag am 17. Oktober 2003 gab es Termine zum Tee
       beim Kanzler. Ergebnis: Arbeitslose sollten einen Job nur annehmen müssen,
       wenn der „ortsübliche“ Mindestlohn beachtet werde. Was darunter zu
       verstehen war, blieb völlig offen.
       
       ## Grüne Minister mischten sich nicht ein
       
       Dann aber folgte erst die Schlacht im Unions-dominierten Bundesrat. Die
       frisch errungenen Verbesserungen flogen, wie zuvor von der CDU angekündigt,
       wieder aus dem Gesetz. Hierbei spielten die Grünen dann in der Tat keine
       Rolle mehr, denn die entscheidenden Gespräche wurden nur unter SPD- und
       Unions-Spitzen geführt. Grüne Minister – darunter Trittin – mischten sich
       nicht ein.
       
       Der einzige grüne Abgeordnete, der damals trotz allem einen „gesetzlichen
       Mindestlohn“ forderte, war der Sozialpolitiker Markus Kurth. Er blieb damit
       freilich allein, bis die Grünen 2005 in die Opposition gingen. Heute sagt
       Kurth: „Immerhin war der Streit der Auftakt der Mindestlohndebatte.“
       
       Anmerkung der Redaktion: Bei der allerletzten Bundestags-Abstimmung zu
       Hartz IV am 19. Dezember 2003 war Werner Schulz nicht – wie im Text
       angedeutet – der einzige Grüne, der seine Zustimmung verweigerte. Auch
       Jutta Dümpe-Krüger, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Markus Kurth, und
       Hans-Christian Ströbele stimmten mit Nein. Besonders umstritten waren
       damals die Zumutbarkeitsregelungen für Arbeitslose, einen Job anzunehmen.
       Wir bitten um Entschuldigung.
       
       13 Mar 2013
       
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