# taz.de -- Irakkriegsroman von Kevin C. Powers: „Die Welt macht uns alle zu Lügnern“
       
       > Kevin C. Powers' hat mit „Die Sonne war der ganze Himmel“ ein
       > meisterliches Epos vorgelegt. Zwei junge US-Soldaten, wie sie den
       > Irakkrieg erleben.
       
 (IMG) Bild: Powers' Buch zeigt die Psyche junger, westlich geprägter Männer, die sich im Krieg nicht selbst verlieren wollen
       
       Der Krieg wollte uns im Frühjahr töten.“ Mit diesem Satz beginnt der
       Debütroman von Kevin C. Powers, der zu Recht im letzten Jahr in den USA
       stark beachtet wurde.
       
       Powers diente, kaum volljährig, als Gefreiter der US Army 2004/2005 im
       Irak. Zwei Jahre nachdem er wieder zu Hause war, begann er mit den Arbeiten
       zu dem Roman „Die Sonne war der ganze Himmel“, um, wie er im Gespräch mit
       amerikanischen Medien sagte, die Schuld, den Ärger und das Glück des
       Überlebenden, kurzum seine persönlich im Krieg gemachten Erfahrungen zu
       verarbeiten.
       
       Herausgekommen ist ein existenzialistischer Roman, der – wie Powers betont
       – nicht auf reinen Tatsachen beruht, in dem sich aber tiefe Gefühle, genaue
       Beobachtungen und eine extrem klare und bildreiche Sprache zu einem
       spannungsgeladenen Werk vereinen, das Ästheten wie Gesellschaftskritiker
       gleichermaßen berühren sollte, sofern diese die Bühne des Postideologischen
       zu schätzen wissen.
       
       Der Krieg also, der am 20. März 2003 vor jetzt fast genau zehn Jahren zum
       Sturz des Diktators im Irak begonnen wurde, er wollte auch die beiden
       jungen US-amerikanischen Soldaten John Bartle und Daniel Ladonna Murphy,
       die Hauptpersonen von Powers' Drama, haben.
       
       ## Harmonien der Mörser
       
       „Dann brach es wieder über uns herein“, das Unheilvolle, nicht zu
       Beeinflussende schwebt von Anfang an über dieser Erzählung – „ringsumher
       ertönten die Harmonien der Mörser“ – und ist eingebettet in die Schilderung
       des Alltäglichen: „Hinter uns sammelte die Sonne ihre Kraft, stieg im Osten
       auf, wärmte meinen Hemdkragen und brannte den Schweiß, der verkrustet auf
       Nacken und Armen lag, in den Stoff ein.“
       
       John und Daniel gehören zu einer Einheit, die sich im Norden des Irak, in
       einer Stadt namens Al Tafar in der Provinz Ninive, im fortdauernden
       Straßen- und Häuserkampf befindet. Mit den „Haddschis“, so die
       umgangssprachliche Terminologie.
       
       „Hätte ich es wissen müssen, wie nah Murph dem Tod war?“ Es ist schon klar,
       wird aber nicht so schnell aufgelöst, dass einem der beiden jungen Männer
       etwas Böses im Irak zustoßen wird. Etwas, wovon Menschen normalerweise
       behaupten, es sei mit Worten nicht auszudrücken, gelingt Powers im Ringen
       um die Erinnerung auf beeindruckende Art und Weise. Etwas, was die
       Regisseurin Kathryn Bigelow 2009 auch in ihrem Irakfilm „The Hurt Locker“ –
       aber stärker aus der Position des Heroischen – beschäftigte und ohne das
       kein Krieg zu führen ist.
       
       ## Aufhebung der Menschlichkeit
       
       Gemeint ist die vorübergehende Aufhebung der eigenen
       Individualität/Menschlichkeit sowie der des Gegners, in deren
       Unmittelbarkeit Taten begangen werden, über die in abstrakten Diskussionen
       über Sinn und Unsinn, Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit von Kriegen und
       Kriegsführungen (zumal aus der Ferne) nur sehr ungenügend gesprochen werden
       kann.
       
       „Ich weiß allerdings noch, dass man uns gesagt hatte, der Wahrheit sei es
       gleich, ob sie geglaubt werde oder nicht.“
       
       „Mrs LaDonna Murphy umarmte mich fest.“ Powers’ Roman besteht aus
       verschiedenen Zeitebenen und Handlungsorten, dem Vor- und Nachirak, den
       einmal gemachten und den nicht einzulösenden Versprechungen.
       
       „Die Welt macht uns alle zu Lügnern.“ Ein solcher Satz mag, herausgelöst
       aus dem Zusammenhang, trivial erscheinen. In der verzweifelten, so ehrlich
       wie authentisch wirkenden Suche dieses Romans nach Wahrhaftigkeit, zeugt er
       von großer Melancholie und Souveränität.
       
       ## Ein mieser, kleiner Krieg
       
       „Der Mensch, dachte ich, hat schon immer versucht, der nackten Wahrheit
       auszuweichen.“ John und sein Freund Murph wollen nicht der 1.000. tote
       US-Soldat im Irak werden (bis heute sind über 4.500 US-Amerikaner dort
       gefallen). Doch „es war ein mieser, kleiner Krieg“, den Powers mit
       atmosphärisch surreal wirkenden Szenen beschreibt. „Das Gefecht schien sich
       lautlos abzuspielen, wie im Nebel, wie unter Wasser.“
       
       „Wir hielten an einer Ecke. Ratten überquerten die Straße, liefen durch die
       Trümmer, vertrieben durch ihre schiere Zahl einen Hund, der sich an einer
       Leiche mästete.“
       
       Powers’ Buch zeigt die Psyche junger, westlich geprägter Männer, die sich
       im Krieg nicht selbst verlieren wollen. Doch in der Kollektivität – „wir
       tröpfelten in die Stadt wie Wasser, das jemand aus einem Waschlappen wrang“
       – werden sie Teil des großen Ganzen und Zeugen von Grausamkeiten und
       Verbrechen. Teilweise von den „eigenen“ Leuten begangen. Und teilweise und
       in abgeschmacktester Weise von einem irregulär kämpfenden Gegner, der in
       seiner Systematik des Widerstands vor keiner noch so sadistischen
       Brutalität zurückschreckte.
       
       „Was ist da drüben passiert, Johnny? Was ist passiert, mein Schatz? Was
       hast du getan?“, fragt die Mutter ihren in die USA heimgekehrten Sohn John,
       der in Apathie verfällt und sich scheinbar selbst aufgegeben hat. „Morgens
       ging ich auf das Dach, lud das billige Gewehr, das ich bei Kmart gekauft
       hatte, und schoss auf den Müll“. „Die Spürhunde der CID würden mich
       natürlich irgendwann finden, und ich ahnte, was sie wollten: Irgendjemand
       musste für das büßen, was mit Murph passiert war.“
       
       ## Kaum zu steigernde Spannung
       
       Doch was war mit Private Murph passiert, dem jungen US-Amerikaner, vormals
       Bergarbeiter, der in dieser Stadt namens Al Tafar in der Provinz Ninive in
       diesem Roman in den fortwährenden Nahkampf mit feindlichen Gruppen geriet?
       Powers, der Debütschriftsteller, ist viel zu geschickt, um dies schon früh
       zu verraten. Und so entwickelt „Die Sonne war der ganze Himmel“ eine kaum
       zu steigernde Spannung.
       
       Was ist Johns Geheimnis? Man möchte es unbedingt erfahren. Und man wird es
       erfahren, auch wenn es vielleicht etwas anders ist, als man zunächst
       vermutete.
       
       Dieser Roman ist nichts für Schwarz-Weiß-Denker. Denn, um in der Sprache
       Powers’ zu bleiben: „Die Schilderung dessen, was geschah, reicht nicht aus.
       Alles geschah. Alles fiel.“
       
       ## „Die Sonne war der ganze Himmel“. Deutsch von Henning Ahrens. S. Fischer
       Verlag, Frankfurt/M. 2013. 300 Seiten, 19,90 Euro (erscheint am 21.3.)
       
       20 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
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