# taz.de -- Kommentar Putin-Besuch: Mund auf gegen Repressionen
       
       > Den Russen drohen immer neue Härten, wenn Putin seine Politik ungehindert
       > weiterverfolgen kann. Steinbrücks Warnung vor öffentlicher Kritik an
       > Moskau ist falsch.
       
 (IMG) Bild: Ihr Mund bleibt zu: Merkel mit Putin am Sonntag in Hannover.
       
       In den jüngsten Tagen haben die russischen Behörden Büros von deutschen
       politischen Stiftungen und Hunderten Nichtregierungsorganisationen,
       darunter auch Human Rights Watch, durchsucht. Deutschland wird so darauf
       aufmerksam gemacht, dass die russische Zivilgesellschaft massive
       Repressionen erlebt, seit Wladimir Putin im vergangenen Mai erneut zum
       Präsidenten gewählt wurde.
       
       SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warnte in einem Interview mit der
       Wochenzeitung Die Zeit vor allzu öffentlicher Kritik an Moskau, wenn es um
       Demokratie und Menschenrechte geht. Damit heizte er die ohnehin kontroverse
       Debatte darüber weiter an, wie Deutschland mit der russischen Regierung
       umgehen soll. Einerseits ist sie ein wichtiger Partner, andererseits
       ignoriert sie die Versäumnisse in Sachen Menschenrechte im eigenen Land.
       
       All dies geschah wenige Tage vor Putins Deutschlandbesuch zur Eröffnung der
       Industrie- und Technikmesse in Hannover. Bei seinem ersten Besuch seit
       seiner Rückkehr ins Präsidentenamt hat er auch Angela Merkel getroffen. Es
       ist die erste Begegnung, seit sich die Kanzlerin im vergangenen November
       während des Petersburger Dialogs besorgt über die Menschenrechtslage in
       Russland geäußert hat. Die Bundesregierung sollte aber die gesamte
       Menschenrechtslage in Betracht ziehen, die sich seit November
       kontinuierlich verschlechtert hat.
       
       Die Gleichzeitigkeit dieser Ereignisse regt dazu an, über zwei Kernaspekte
       der deutsch-russischen Beziehungen nachzudenken. Erstens sind die
       Durchsuchungen der NGO-Büros nur die Spitze der Angriffe auf die russische
       Zivilgesellschaft seit 20 Jahren. Diese Einsicht sollte sich auf die Art
       und Weise auswirken, wie Berlin künftig mit Moskau umgeht. Zweitens
       eröffnet gerade das Vorfeld der Bundestagswahlen im September die
       Möglichkeit, breit zu diskutieren, wie Deutschland seine starke Verbindung
       zu Russland erhalten kann, ohne Abstriche bei den Menschenrechten zu
       machen.
       
       ## Keine kleinen Russen für Amis
       
       Die jüngsten Ereignisse in Moskau stehen nicht allein. Auch andere
       Maßnahmen der russischen Behörden und Gerichte sorgten für Schlagzeilen,
       etwa die strafrechtliche Verfolgung von Pussy Riot, der Beschluss, alle
       Äußerungen über die Rechte von Homosexuellen als „Propaganda“ zu
       klassifizieren, und das Verbot für US-Amerikaner, russische Kinder zu
       adoptieren.
       
       All dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Machthaber seit
       vergangenem Mai mit beispielloser Vehemenz versuchen,
       zivilgesellschaftlichen Organisationen jegliche Unterstützung zu nehmen,
       politische Opposition zu dämonisieren und eine nationalistische Stimmung zu
       nähren, die Putins Anhängerschaft unterstützt.
       
       Das Parlament hat eine Reihe restriktiver Gesetze durchgewunken, die
       Nichtregierungsorganisationen zu „ausländischen Agenten“ erklären, die
       Definition von Hochverrat erweitern und die Strafen für die Organisation
       unbefugter Protestaktionen empfindlich erhöhen. Putin behauptet, die
       Inspektionen seien reine Routine. Das Gegenteil stimmt: Eine solche Welle
       unangemeldeter Besuche sind sehr ungewöhnlich in Russland. Diese Maßnahmen
       bedrohen die Zivilgesellschaft.
       
       Anscheinend haben die massiven Demonstrationen im vergangenen Winter den
       Kreml schockiert. Jetzt will die Macht in Moskau um jeden Preis verhindern,
       dass sie sich wiederholen – auch dann, wenn dafür die Entwicklung des
       Landes unterminiert wird.
       
       ## Grundregel der Außenpolitik
       
       Die Erkenntnis, dass sich Putin einer immer raueren Gangart bedient, muss
       in der breiten politischen Auseinandersetzung ankommen. Unbestreitbar ist
       Russland ein wichtiger strategischer Partner für Deutschland in
       Schlüsselbereichen wie Wirtschaft, Energie und Geopolitik. Das müssen
       Politiker und Diplomaten berücksichtigen, wenn sie ihren Umgang mit Moskau
       justieren.
       
       Allerdings ist genauso klar, dass die internationalen Menschenrechtsnormen
       zum Fundament der deutschen Außenpolitik gehören. Russland hat sich
       wiederholt dazu verpflichtet, zum Beispiel die Meinungs-, Vereinigungs- und
       Versammlungsfreiheit zu wahren – und all diese Rechte in den letzten
       Monaten unverhohlen verletzt.
       
       Derzeit beginnen die deutschen Parteien ihren Wahlkampf und erarbeiten, wie
       sie sich nach einem Erfolg im September an der Regierung verhalten wollen.
       Dabei müssen sie unbedingt berücksichtigen, dass die Menschenrechte eine
       wesentliche Rolle dabei spielen, wie Berlin mit Moskau umgeht. Dabei geht
       es entgegen anders lautender Meinung keinesfalls darum, Russland
       „westliche“ Werte aufzudrücken. Vielmehr muss Deutschland den historisch
       fundierten, universellen Werten entsprechen, auf deren Grundlage legitime
       zwischenstaatliche Kooperation erst möglich wird.
       
       ## Dialog nicht als Selbstzweck
       
       Darüber hinaus geht es darum, den Menschen in Russland respektvoll und
       solidarisch gegenüberzutreten. Ihnen drohen immer neue Härten, wenn
       Deutschland schweigt. Das Gegenargument – Russland sei wichtig für
       Deutschland, also müsse Berlin bei den Menschenrechten vorsichtig sein –
       hinkt. Der Dialog zwischen den beiden Regierungen und den Gesellschaften,
       der in diesem Zusammenhang immer wieder hervorgehoben wird, ist wichtig,
       darf aber nicht zum Selbstzweck werden.
       
       Wenn er keinen Raum für respektvolle Kritik lässt, wird er schnell
       bedeutungslos. Man stelle sich die Folgen einer Beziehung ohne solche
       Offenheit vor. Wenn in Russland, auch im Interesse deutscher Unternehmen,
       ein stabiles Wirtschaftsklima entstehen soll, muss zuerst ein
       gesellschaftliches Umfeld aufgebaut werden, in dem Menschenrechte und
       Rechtsstaatlichkeit vollständig geachtet werden.
       
       Viele Politiker in Brüssel und andernorts in Europa erwarten von
       Deutschland, im Umgang mit Russland voranzugehen. Wie Deutschland auf die
       neusten Entwicklungen der Menschenrechtskrise reagiert und seine
       langfristigen Beziehungen zu Moskau formt, ist wichtig für ganz Europa –
       und für diejenigen, die in Russland selbst für ihre eigenen Rechte und die
       anderer Menschen kämpfen.
       
       8 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hugh Williamson
       
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