# taz.de -- Russischer Blogger vor Gericht: Auf gepackten Gefängniskoffern
       
       > Putin-Gegner Alexei Nawalny steht wegen Unterschlagung vor Gericht. Der
       > Prozess wurde um eine Woche vertagt – aber an einer Verurteilung zweifelt
       > niemand.
       
 (IMG) Bild: Putin ist mit im Gerichtssaal – auf Alexei Nawalnys Smartphone.
       
       MOSKAU taz | Die Tasche fürs Gefängnis steht schon bereit. „Hausschuhe,
       Trainingsanzug, Unterhosen, Socken und Turnschuhe mit Klettverschluss“ hat
       Alexei Nawalny schon mal zusammengepackt, erzählte er der russischen
       Zeitschrift [1][The New Times].
       
       Am Mittwoch begann gegen den Anti-Korruptions-Blogger und charismatischen
       Oppositionellen in Kirow ein Verfahren, in dem ihm Unterschlagung in
       besonders großer Höhe zur Last gelegt wird. Zudem muss er sich als
       „Anführer einer kriminellen Bande“ verantworten, die den Betrug gemeinsam
       begangen haben soll.
       
       Kurz nach dem Auftakt ist der Prozess vertagt worden. Die Verteidigung hat
       eine Aussetzung des Verfahrens um einen Monat beantragt, damit Nawalny die
       Gerichtsakten studieren kann. Das Gericht gewährte schließlich Aufschub bis
       zum 24. April.
       
       Der Vorwurf an Nawalny ist nicht neu. Im April 2012 wurde das Verfahren
       eingestellt, nachdem das Gericht keinen Straftatbestand entdecken konnte.
       Es geht um umgerechnet 400.000 Euro, die veruntreut worden sein sollen.
       Nawalny streitet auch die neue Anklage ab. Demnach hätte er das
       Staatsunternehmen Kirowles genötigt, zu ungünstigen Konditionen Holz an
       einen befreundeten Unternehmer zu verkaufen.
       
       2009 folgte Nawalny einem Ruf des Gouverneurs der 900 Kilometer nordöstlich
       von Moskau gelegenen Region. Nawalny sollte für den liberalen Gouverneur
       Nikita Belych den Aufbau einer Antikorruptionsabteilung in der Verwaltung
       vorantreiben. Unterlagen, Dokumente und Quittungen des Casus „Kirowles“
       sind auf der Website [2][navalny.ru] einzusehen. Wer Beweise im Sinne der
       Anklage entdecken könnte, dem versprach der Anwalt, eine kostenlose Fuhre
       von „20 Kubikmeter Bauholz zu schicken“.
       
       ## Die Regierung provoziert
       
       Nawalny hatte nicht nur Erfolg als Kämpfer gegen die Korruption. Sein
       Projekt „Rospil“ (Russische Korruption) hat im Internet Dutzende Mitglieder
       des Machtkartells bloßgestellt. Seit dem Wahlbetrug der Kremlpartei
       Vereintes Russland (VR) 2011 ist er auch Russlands führender
       Oppositioneller.
       
       Dass es sich bei dem Verfahren um einen politischen Prozess handelt, daran
       besteht kein Zweifel. Indirekt gestand das auch die Ermittlungsbehörde ein.
       Wer „die Regierung provoziert“, hob der Sprecher der Behörde Wladimir
       Markin an, sprach den Satz aber nicht zu Ende, der wohl hätte lauten
       sollen, „der darf sich über Verfolgung nicht beklagen“. Zehn Jahre
       Lagerhaft drohen dem Angeklagten. Kafkaesk sei das, sagt der Blogger, er
       habe sich aber auf eine Haftstrafe eingestellt.
       
       Klar ist: Der Kreml will Nawalny ausschalten. Mit der Parole über die VR
       als „Partei der Diebe und Gauner“ hatte er 2011 die Legitimität der
       Kremlpartei demontiert. Putin war gezwungen, sich von der VR zu
       distanzieren und sich mit der „Volksfront“ eines neuen Massenrückhalts zu
       vergewissern.
       
       Vor der erneuten Anklage im letzten Sommer hatte der Kreml Nawalny einen
       Wink gegeben, sich mit der Familie rechtzeitig ins Ausland abzusetzen.
       Nawalny weigerte sich jedoch wie Exoligarch und Yukos-Eigentümer Michail
       Chodorkowski, der seit 10 Jahren im Lager sitzt. Öffentliche Aufmerksamkeit
       war dem Öltycoon Chodorkowski lange gewisse, auch er hatte keinen Hehl
       daraus gemacht, dass er Wladimir Putins Macht herausfordern werde. Die
       heterogene Opposition hatte unterdessen lange auf eine ähnliche Ankündigung
       Nawalnys gewartet. Vor dem Prozessauftakt rückte er damit jetzt heraus.
       
       ## Vorstrafe als politisches Druckmittel
       
       Nicht zuletzt ist es auch eine Sicherheitsmaßnahme, um im Falle einer
       Verurteilung als politischer Häftling anerkannt zu werden. Als weitere
       Masche des Sicherheitsnetzes gründeten Gleichgesinnte letzte Woche die
       Partei „Volksallianz“, die sich auf Nawalny als „geistigen Vater“ beruft.
       Sie soll im Bedarfsfall die unzufriedene Mittelschicht wie 2011 gegen das
       System Putin mobilisieren.
       
       Beobachter gehen davon aus, dass der 36-Jährige auf jeden Fall verurteilt
       wird. Offen bleibt, welche Strategie der Kreml gewählt hat. Wird er den
       Gegenspieler in einer Strafkolonie wegschließen oder durch eine Strafe auf
       Bewährung aus der Politik verdrängen? Wer vorbestraft ist, darf nicht mehr
       für staatliche Ämter kandidieren und öffentlich auftreten.
       
       Landet Nawalny gleich hinter Gittern, könnte das der Opposition neuen
       Auftrieb verleihen. Das wäre für den Kreml mit einem erheblichen Risiko
       verbunden. Der Prozess in Kirow gelte nicht nur Nawalny, er richte sich
       gegen alle „Agenten des Wandels“ im Land, meinte der unabhängige TV-Sender
       Doschd.
       
       17 Apr 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://newtimes.ru/
 (DIR) [2] http://navalny.ru
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
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