# taz.de -- Recht auf Kinderbetreuung: Ein Himmelreich für einen Kitaplatz
       
       > Trotz Rechtsanspruchs sind Kitaplätze Mangelware. Gerechnet wird mit
       > einer „großen Klagewelle“. Ein Beispiel aus Leipzig zeigt, wie mühsam die
       > Suche ist.
       
 (IMG) Bild: Bundesweit fehlen noch rund 100.000 Kitaplätze für Kinder unter drei Jahren
       
       BERLIN taz | Fast jede Woche klopft Stefanie Winter an die Tür des
       Jugendamts in Leipzig und stellt ihre Frage: „Wann klappt es endlich mit
       einem Kitaplatz für meinen Sohn?“ Der ist gerade ein Jahr alt geworden und
       sitzt dann brav auf dem Schoß seiner Mutter. Ihr aber sitzt die Zeit im
       Nacken.
       
       Im September läuft die Regelstudienzeit der
       Amerikanistik-Anglistik-Studentin aus. Stefanie Winter, 26, wird dann aber
       noch nicht fertig sein mit dem Bachelor, sie wird noch ein Jahr länger zur
       Uni gehen müssen. Hat sie geschlampt? Nicht alle Prüfungen bestanden? Nein,
       alles nicht. Sie muss lediglich ihren Sohn betreuen – zu Hause. Weil sie
       einfach keinen Kitaplatz findet.
       
       So wie Stefanie Winter geht es auch vielen anderen Eltern in der Republik.
       Nach vorsichtigen Schätzungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
       (DStGB) fehlen bundesweit noch rund 100.000 Kitaplätze für Kinder unter
       drei Jahren.
       
       Genaue Zahlen gibt es nicht, die will das Familienministerium von Kristina
       Schröder (CDU) erst im Frühsommer bekanntgeben. Ab August aber haben alle
       Kinder ab ihrem ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf eine Betreuung
       außerhalb ihres Elternhauses.
       
       ## Kein Platz weit und breit
       
       Stefanie Winter braucht den Kitaplatz dringend. Ihr Bafög läuft mit der
       Regelstudienzeit aus, das Ingenieursgehalt ihres Mannes reicht nicht, um
       die Familie zu ernähren. „Außerdem will ich mit meinem Studium
       fertigwerden“, sagt die junge Mutter. Sie hat alle 17 Kindertagesstätten in
       ihrem Einzugsgebiet und in der weiteren Umgebung abgegrast und alle freien
       Träger angerufen. Sie hat in der jüdischen Kita am anderen Ende der Stadt
       angeklopft, dort soll ein Platz frei sein, hörte sie.
       
       Aber Stefanie Winter erzieht ihren Sohn atheistisch und kommt für die
       jüdische Einrichtung daher von vornherein nicht in Frage. Sie schaut jeden
       Tag in ein Internetportal, über das Kitaplätze in der sächsischen Stadt
       vergeben werden. „Nichts“, sagt sie. Die Kitaleiterinnen, mit denen
       Stefanie Winter spricht, haben notorisch schlechte Laune. Sie sind es, die
       den drängelnden und frustrierten Eltern sagen müssen, dass ihre Häuser mehr
       als rappelvoll sind.
       
       ## Verzweifelte Eltern
       
       Stefanie Winter rechnet nicht damit, dass sie ihren Sohn ab Sommer in eine
       Krippe oder eine Kita bringen kann. Auch Tagesmütter und Väter sind in
       Leipzig begehrt – und gut beschäftigt. Was nun?
       
       Die junge Mutter könnte das tun, was laut einer aktuellen
       Forsa-Familienstudie die Hälfte aller Eltern ohne Kitaplatz tun würde:
       einen Platz einklagen. „Das bringt aber nichts, wenn es keine Angebote
       gibt“, sagt Thorsten Ruppel. Bei dem Fachanwalt für Familienrecht in
       Wetzlar melden sich seit einiger Zeit zahlreiche Eltern, die verzweifelt
       nach einer Betreuung suchen. Sie wollen, dass der Jurist sie in einer Klage
       gegen ihre Kommune vertritt, die die Kitaplätze bereitstellen muss. Doch
       Thorsten Ruppel muss sie vertrösten. „Solange es noch keinerlei Bescheide
       gibt, kann man nichts machen“, sagt er.
       
       Das wird ab August so weit sein. Dann könnten Eltern zum Beispiel der
       Kommune ihren Verdienstausfall in Rechnung stellen. Sie könnten aber auch
       die Kosten für eine private Tagesmutter einklagen (siehe unten). 
       
       „Theoretisch ist das alles möglich“, sagt Thorsten Ruppel: „Aber praktisch
       haben Gerichte einen großen Auslegungsspielraum.“ Oder anders gesagt:
       Eltern werden es schwer haben, bei einer Klage auf einen Kitaplatz Recht zu
       bekommen.
       
       Bei Stefanie Winter sieht es besonders fragwürdig aus. Was könnte die
       Studentin einklagen? Bafög-Ausfall? Verlorene Jobchancen? „Wie soll ich das
       beweisen“, fragt sie.
       
       Der Städte- und Gemeindebund weiß das – und rechnet nicht mit einer „großen
       Klagewelle“. Auch Familienministerin Kristina Schröder glaubt nicht daran,
       dass sich massenweise Eltern an die Gerichte wenden. „Wir können aber nicht
       ausschließen, dass es in einigen Regionen schwierig wird“, sagt
       DStGB-Sprecherin Ursula Krickl.
       
       ## Angst vor Imageverlust
       
       Die Kommunen und Gemeinden haben kein Interesse daran, vor Gericht gezerrt
       zu werden. Sie scheuen den politischen Imageverlust und den finanziellen
       Schaden. Und beugen vor. „Bevor es zu Klagen kommt, wird versucht, mit den
       Eltern einvernehmliche Lösungen zu finden“, drückt es Ursula Krickl aus. So
       könnten Kitas „kurzfristig für ein paar Monate ein Kind mehr aufnehmen“,
       schlägt die Verbandssprecherin vor. Oder Eltern könnten in Kitas stunden-
       oder tageweise aushelfen: als ErzieherInnen, KöchInnen, Reinigungskräfte.
       
       Anwalt Thorsten Ruppel nennt solche Ideen „fantasiereich“. „Das wird meist
       mit einer Verringerung der Qualität der Tagesbetreuung einhergehen“, sagt
       er: „Das eigentliche Ziel, nämlich die kindliche Entwicklung zu fördern,
       wird ins Gegenteil umschlagen und eine qualitativ schlechtere
       Tagesbetreuung bedeuten.“
       
       In der Nacht, als Stefanie Winter ihr Kind geboren hatte, hat sie, kurz
       bevor die Wehen einsetzten, sich im Netz für einen Platz in der Uni-Kita
       angemeldet. Den hat sie bekommen. Für ein Semester. Mehr ist generell nicht
       drin in der Stadt mit vielen studierenden Müttern und Vätern.
       
       Stefanie Winter war trotzdem froh, den Platz ergattert zu haben. Im
       vergangenen Winter hat sie morgens ihren Sohn, der damals gerade einmal ein
       paar Monate alt war, im Uni-Kinderladen über der Mensa abgegeben. Dann ist
       sie in den Hörsaal marschiert. Damit ist jedoch vorerst Schluss.
       
       11 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
 (DIR) Simone Schmollack
       
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