# taz.de -- Thatcher-Gedenken in Großbritannien: Trauer als Zeitreise
       
       > Weniger die Politik der konservativen Expremierministerin Margaret
       > Thatcher steht im Mittelpunkt der Debatte nach ihrem Tod. Es geht um ihre
       > Person.
       
 (IMG) Bild: Gruseliges Gedenken: Demonstration am Samstag in London.
       
       BERLIN taz | Für die britische Rechte ist es ganz einfach: Margaret
       Thatcher war eine große Politikerin; sie hatte immer recht, und dazu war
       sie – anders als vermutet – ein wunderbarer Mensch. Deswegen stimmt das
       Weltbild, wenn am kommenden Mittwoch in der „Operation True Blue“ London
       stillsteht und die am vergangenen Montag mit 87 Jahren verstorbene
       Expremierministerin mit einem Staatsakt, der eigentlich keiner ist aber
       genauso ablaufen wird, zu Grabe getragen wird.
       
       Für Teile der radikalen britischen Linken ist es auch ganz einfach:
       Margaret Thatcher war der Inbegriff des Bösen; ihre Politik war von Übel,
       und dazu war sie noch ein schrecklicher Mensch ohne Menschlichkeit.
       Deswegen feiern manche Linke, vornehmlich Künstler und Lehrer, seit
       vergangenen Montag den Tod der Expremierministerin unter [1][Mottos wie
       „The Witch Is Dead“.] 
       
       Sie veranstalteten am Samstag am Londoner Trafalgar Square eine
       Anti-Thatcher-Kundgebung und werden sich möglicherweise auch am Mittwoch
       irgendeine Protestaktion ausdenken, von der sie sich insgeheim das brutale
       Vereiteln erhoffen, als Beweis für die repressive Natur des
       Thatcher-hörigen Staates.
       
       [2][Zwischen diesen beiden Extremen] pendelt die politische Debatte in
       Großbritannien – in diesen Tagen einer seltsamen Zeitreise. Man streitet
       über die 1980er Jahre, über Bergarbeiter oder die IRA. Im Rückblick
       erscheint das als aufregende Zeit, in der man anders als heute Farbe
       bekannte und Streit austrug. Die Bergarbeiter streikten nicht nur gegen die
       Schließung der Kohleindustrie; sie nahmen auch ein Jahr ohne Einkommen in
       Kauf, verarmt und rüder Polizeigewalt ausgesetzt.
       
       Die Thatcher-Regierung bekämpfte die IRA nicht nur politisch; ihre
       Mitglieder wurden auch immer wieder gezielt Opfer von Terroranschlägen.
       Auch Thatcher selbst entging einem Anschlag nur knapp. Diese Erfahrungen,
       die das eigene Leben komplett der politischen Haltung unterordnen, gibt es
       in Großbritannien heute nicht mehr. So mancher, der davon geprägt wurde,
       kramt in diesen Tagen seine damaligen Überzeugungen hervor wie alte
       Medaillen.
       
       ## „Eine Frau? Nicht nach meinem Begriff“
       
       Politisch bleibt das rückwärtsgewandt. Kein Lager zieht aus der Debatte um
       das Thatcher-Erbe Munition für die Gegenwart, wohl weil die Linke dann doch
       mehr Anerkennung für die von ihr übernommenen Thatcher-Reformen zeigen
       müsste, als sie es tut, und weil die Rechte auf einen unangenehmen Kontrast
       zwischen Leistung damals und Stagnation heute stoßen würde.
       
       Das zentrale Thema jetzt ist nicht Thatchers Politik und ihre Auswirkungen
       auf die Gegenwart, sondern ihre Person als Verkörperung einer verflossenen
       Ära. Als am Mittwoch beide Kammern des britischen Parlaments bis in den
       späten Abend hinein über Margaret Thatcher diskutierten, machte sich die
       konservative Bewunderung vor allem an persönlichen Erinnerungen fest,
       während ihre schärfsten Kritiker abstrakt redeten.
       
       Für Empörung sorgte im Unterhaus kein politischer, sondern ein persönlicher
       Angriff – durch eine Frau – auf Thatcher als Frau. Glenda Jackson, 76 Jahre
       alt, Labour-Abgeordnete und früher Filmschauspielerin, ließ die
       Parlamentsdebatte fast im Tumult untergehen, als sie über Thatcher sagte:
       „Die erste Premierministerin weiblichen Geschlechts – o.k.. Aber eine Frau?
       Nicht nach meinem Begriff.“
       
       Gewissermaßen war Jackson mit ihrer rhetorischen Ungeschminktheit Thatcher
       ähnlicher als die vielen Lobredner vor ihr. Auch, dass sie mit ihrem
       Ausbruch ihren eigenen Sohn und Labour-Politiker Dan Hodges grandios
       desavouierte, der noch am Mittwoch morgen in einem vielbeachteten Artikel
       Labour zu Respekt vor Thatcher aufgefordert hatte, passte dazu.
       
       Zugleich aber zollte der Altlinke Tony Benn, einst Thatchers unbeugsamstes
       Pendant auf der Linken, in einem Zeitungsartikel Thatchers Geradlinigkeit
       und Ehrlichkeit und ihrem eigenen immer wieder bekundeten Respekt für den
       politischen Gegner Tribut. Andere wenden sich scharf gegen jüngere Linke,
       die Thatcher nie gekannt haben, aber meinen, ihren Tod feiern zu müssen.
       Nicht wenige sagen, dass heute am ehesten diese Leute den Hass verkörpern,
       den sie selbst ihrer Lieblingsfeindin zuschreiben.
       
       14 Apr 2013
       
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