# taz.de -- Bundesparteitag der Grünen: Die Beinahe-Revolte
       
       > Huch, Schwarz-Grün! Wie ein Politikstudent aus Hessen fast den
       > Grünen-Parteitag aufgemischt hätte. Und Cem Özdemir das Äußerste
       > verhinderte.
       
 (IMG) Bild: Kam, sprach und siegte: Cem Özdemir am Freitag im Velodrom
       
       BERLIN taz | Henrik Neumanns Stimme zittert nur ein bisschen und in den
       ersten Sekunden. Dann redet er ruhig, fast gelassen bei seinem ersten
       großen Auftritt. Neumann, 25 Jahre, Politikstudent aus Mainz, blaues, eng
       geschnittenes Hemd, Jeans, erklärt jetzt mal den 800 Delegierten auf dem
       Berliner Grünen-Parteitag, wie man das macht mit der Eigenständigkeit.
       
       Im Frankfurter Stadtteil Ostend, wo die Grünen satte 36 Prozent einfahren,
       sagt also Neumann, da setze man voll auf Grün, auf Selbstbewusstsein. Und
       man agiere natürlich eigenständig – gegen die CDU, aber auch gegen die SPD.
       Das ist der Knackpunkt. Das Basismitglied Neumann ist der einzige Grüne,
       der sich traut, die viel zitierte Eigenständigkeit, die immer auch für
       Schwarz-Grün steht, öffentlich zu bewerben.
       
       „Lasst uns selbstbewusst sein“, sagt Neumann am Freitag ganz nah am
       Mikrophon, vor sich das weite Rund des Berliner Velodroms, in dem sonst
       Hallen-Radrennen oder Rockkonzerte stattfinden. Ihm reiche es. Im Wahlkampf
       gebe es keine Koalitionen, sagt er. „Alles andere wäre ein Zeichen der
       Schwäche!“ Und am Wahlabend, endet er, da könne man sich dann „freundlich
       in den Armen liegen. Meinetwegen auch mit Sigmar Gabriel.“
       
       Neumanns Antrag will gar nicht viel. Das böse Kürzel „CDU“, oder gar die
       Worte „Schwarz-Grün“ tauchen in dem Papier nicht auf. Es geht um eine
       Nuance: Die Delegierten mögen den Satz streichen, der dafür wirbt, „in
       diesem Bundestagswahlkampf für starke Grüne in einer Regierungskoalition
       mit der SPD“ zu kämpfen.
       
       Schließlich gehe es in den Absätzen kurz zuvor schon um eine rot-grüne
       Koalition, begründen die Antragsteller: „Die SPD ist nicht unsere
       Schwesterpartei.“ Neumann hat ihn eingebracht, unterschrieben haben seine
       Parteifreunde aus dem realpolitisch tickenden Ortsverband Frankfurt am
       Main. Und Bayerns Landeschef Dieter Janecek, der prominenteste
       Unterzeichner, der in der Vergangenheit immer mal wieder mit der
       schwarz-grünen Option geliebäugelt hatte.
       
       Es ist eine Minirevolte. Kein ernsthafter Versuch, die vom Bundesvorstand
       und den Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt
       präferierte Fokussierung auf die SPD zu kippen. Und doch, manchmal sind
       auch kleine Symbole groß. In der Partei wurde der Antrag intern heftig
       diskutiert, in der Presse als Schwarz-Grün-Signal interpretiert, und es ist
       der einzige, der überhaupt zur Koalitionsstrategie eingereicht wurde.
       
       Es ist das letzte Aufbegehren derjenigen in der Partei, die es leid sind,
       dass sich die Grünen schon vor der Wahl an die SPD ketten.
       
       Der Bundesvorstand weiß, dass von Neumann Gefahr ausgeht. Nicht
       auszudenken, wenn die Delegierten beschließen, die Sozialdemokraten zu
       streichen. Deshalb bietet der Vorstand das größte Kaliber auf, das er hat.
       Parteichef Cem Özdemir joggt ans Mikrophon.
       
       Özdemir erzählt heute noch gerne davon, wie er damals in der
       Pizza-Connection mit CDUlern Pasta verspeiste. Er machte sich früh Gedanken
       zur grünen Eigenständigkeit, und Schwarz-Grün spielte dabei immer eine
       Rolle. Und genau deshalb ist seine Gegenrede so wuchtig. Selbst er bekennt
       sich voll und ganz zum rot-grünen Wahlkampf.
       
       „Wir entscheiden nicht aufgrund von Ideologie“, donnert er. „Sondern ganz
       nüchtern wegen der Inhalte.“ Und da gebe es nun mal die größten
       Schnittmengen mit der SPD, deshalb sei nicht falsch, dies in den Leitantrag
       reinzuschreiben. „Die Bundesgeschäftsstelle ist nicht die rot-grüne
       Geschäftsstelle“, ruft er, und dann betont auch er, natürlich, die grüne
       Eigenständigkeit.
       
       Dann die Abstimmung. Es ist knapp, verdammt knapp. Rund 60 Prozent der
       Delegierten stimmen für den Vorstand, für die SPD in der Präambel. Rund 40
       Prozent stimmen für Neumann. „Das war der Frust über Peer Steinbrück und
       die Sozialdemokraten“, analysiert ein Grünen-Stratege wenig später im Flur.
       Mit Schwarz-Grün habe das Ergebnis nichts zu tun.
       
       Und Neumann? Freut sich. „Das war eine Überraschung, hätte ich in der
       Deutlichkeit nicht erwartet“, sagt er. „So ein knappes Ergebnis ist ein
       klares Signal an den Bundesvorstand.“
       
       27 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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