# taz.de -- Westbam über 30 Jahre als DJ: „Auch tolle Läden müssen sterben“
       
       > DJ Westbam über Drogen, Touristen in Berlin, die Lebenszyklen von Clubs,
       > die Vorteile digitaler Technik und das Verhältnis zum Publikum.
       
 (IMG) Bild: „Ich wollte nie der fucking Pressesprecher von Techno sein.“ – Maximilian Lenz.
       
       30 Jahre sind eine lange Zeit, gerade auf dem Dancefloor. 30 Jahre DJ, das
       muss man erst mal schaffen. Westbam hat es geschafft. Er war früh im
       Geschäft, und er war schon immer schnell. Er ist es geblieben: Der Mann
       sprudelt vor Energie, beim Sprechen überholt er mitunter die eigenen Sätze.
       Die einen meinen, er sei der wichtigste deutsche DJ aller Zeiten. Ein
       Selbstdarsteller, finden die anderen. Recht haben alle.
       
       taz: Vor Kurzem ging eine E-Mail herum: „Heute Abend ab 23 Uhr. Treffpunkt
       Tram M4 Hufelandstr. – ihr werdet abgeholt. Proud Bunker Rave mit Westbam,
       Woody, Schmitzkatze und Co.“ War’s eine gute Party? 
       
       Westbam: Es war toll. Ich fing erst um drei an, bis dahin hatte
       Schmitzkatze die Leute schon gut durch die Mangel gedreht.
       
       Da war es nicht mehr so leicht, die Stimmung hoch zu halten. 
       
       Ach, mit 30 Jahren DJ-Erfahrung ist man auch dafür gerüstet.
       
       Die Partygänger wussten nicht, wo sie landen würden. Sie? 
       
       Doch, schon. Ich wohne da auch um die Ecke und hatte mir das vorher mal
       angeguckt.
       
       Gibt es denn noch viele solcher halblegaler Orte? 
       
       Ja und nein. Natürlich gibt es heute vor allem viele Clubs, die aussehen,
       als seien sie nicht ganz legal, obwohl sie eigentlich gut gehende Betriebe
       mit allen Annehmlichkeiten sind. Aber neulich war ich auf einer Safari
       durch Neukölln, da waren tatsächlich Orte dabei, die nur halblegal waren.
       Um ehrlich zu sein, hatte ich bis dahin auch gedacht, der illegale Club sei
       in Berlin ausgestorben. Aber das in Neukölln erinnerte eher ans Nachtleben
       vor mehr als zwanzig Jahren, ans Ufo, ans frühe WMF oder ans Planet als an
       die heutigen Techno-Schlachtschiffe. Ich erkenne da einen Underground
       wieder, eine lustige Alternativ-Entertainment-Kultur, die anscheinend
       zeitlos ist.
       
       In solchen Läden legen Sie aber nicht mehr auf? 
       
       Für einen illegalen oder halblegalen Club bin ich, fürchte ich, schon etwas
       zu bekannt. Aber ich lege auch nicht in irgendwelchen geschniegelten Dissen
       auf …
       
       … in schicken Diskotheken. 
       
       Genau. Das habe ich noch nie gemacht, das hat noch nie zu der Musik
       gepasst, die ich spiele. Aber das Techno-Nachtleben besteht heute eben
       nicht mehr wie früher zu achtzig Prozent aus illegalen Veranstaltungen.
       Vielleicht noch zu zehn Prozent.
       
       Berlin hat sich verändert. 
       
       Ja, klar. Aber das ist ja auch das Schöne. Berlin ist eben kein
       weltabgewandtes, obskures, selbstvergessenes, bizarres Biotop mehr, das
       sich unbeleckt von Außeneinflüssen entwickeln kann. Heute steht Berlin im
       Fokus von Leuten aus London, Tel Aviv und Buenos Aires. Die kommen hierher,
       um ein Berlin zu finden, das zwar wie früher ist, aber auf einem
       touristisch viel höher entwickelten Niveau agieren muss.
       
       Das finden viele schrecklich. 
       
       Ich nicht. Mir persönlich ist zwar das, was da in Neukölln in Kellern und
       Abrisshäusern abgeht, näher und sympathischer. Aber wenn es nur das gäbe,
       wenn Berlin noch immer genauso wäre wie Anfang der Neunziger, wenn sich
       nichts entwickelt hätte, dann wäre das doch auch trostlos. Das ist doch ein
       Mehrwert, dass es das ganze Spektrum gibt.
       
       Die Frage, die sich viele stellen, ist aber: Wollen wir das, was sich da
       entwickelt hat? 
       
       Als ich jung war, gab es in Westberlin auch schon mal so ein Feindbild: der
       sogenannte Wessi, der gern in Klassenfahrtstärke die Nürnberger Straße
       hinunterirrte und den Dschungel suchte. Heute haben eben die Spanier diese
       Rolle übernommen, aber auf eine okaye Art. Es gibt zwar Läden, die zu
       achtzig Prozent mit Touristen voll sind, aber wir reden ja nicht von einem
       Ballermann-Tourismus. Und zweitens wird diesen Touristen zwar ein Berliner
       Mythos verkauft, den es nicht mehr gibt, aber dabei ist ein neuer Mythos
       geschaffen worden, den die Touristen selbst jede Nacht neu schreiben,
       während sie den alten suchen. Und wenn man ehrlich ist: Die sehen dabei
       auch noch besser aus als die Leute damals im Planet und können besser
       tanzen. Denn die kommen nicht nur aus Berlin-Mitte, sondern aus der ganzen
       Welt und sind handverlesen.
       
       Sie wollen partout nicht einstimmen in die Jammerei. 
       
       Auf keinen Fall. Wie der Engländer so schön sagt: It’s all good.
       
       Und das Clubsterben? 
       
       Ja, was ist damit? 1989 konnte man an einem Freitagabend ins Ufo auf der
       Großgörschenstraße gehen, dann gab es noch die Turbine Rosenheim und
       irgendwo anders eine kleine Party. Da waren dann vielleicht 150 Leute in
       Berlin unterwegs. Heute gibt es, behaupte ich jetzt mal, stattdessen 150
       Läden. Ich kann es nicht mehr hören: Alles geht immer den Bach runter, das
       Clubsterben, das Waldsterben, alles stirbt immer. Und die Wahrheit ist: Es
       stirbt auch immer mal was. Aber wenn für jeden Club, der stirbt, fünf neue
       aufmachen, ist doch alles in Ordnung. Das Clubsterben gehört doch
       mittlerweile zur Folklore wie andere Prophezeiungen, dass das Ende nah ist.
       
       Vermissen Sie denn gar keinen Club? 
       
       Natürlich kenne ich solche Verweile-doch-Du-bist-so-schön-Momente. Wenn man
       mich fragen würde: Der Planet an der Köpenicker im Jahr 1991, der war
       perfekt. Aber halt nur in meiner subjektiven Wahrnehmung. Wer weiß denn,
       wie sehr ich das alles verkläre? Das ist 22 Jahre her! Deswegen finde ich
       es auch nicht schade, dass es den Planet nicht mehr gibt. In meiner
       Erinnerung gibt es den Planet doch noch – und auch noch genau den von 1991.
       Auch tolle Läden müssen untergehen, auch Clubs haben ihre Zeit.
       
       Außer natürlich, man stellt eine Anlage für zehn Millionen rein, baut einen
       Bistrobereich mit Küche, fliegt die Möbel und den Dekorateur von der
       anderen Seite der Welt ein – dann muss die Disse natürlich zwanzig Jahre
       laufen, damit sich das auch rechnet. Aber ist das die bessere Welt? Berlin
       war doch immer eher: Ich miete mir eine Turnhalle und lege ein Brett über
       zwei Bierkästen, das ist dann die Theke.
       
       Berlin war lange Zeit auch die Love-Parade. Vermissen Sie die? 
       
       Natürlich. Das ist Irrsinn, ein trauriges Kapitel. Vor allem, weil sie zu
       retten gewesen wäre.
       
       Wie das? 
       
       Um mal was Provokantes zu sagen: Mit Typen wie Diepgen oder Landowsky an
       der Macht gäbe es die Love Parade heute noch in Berlin. Die waren viel
       offener. Deren Denke war: Ich verstehe nicht genau, was da abgeht, ich will
       mich auch nicht als Techno-Freund positionieren, aber ich habe das Gefühl,
       was hier passiert, ist zum Vorteil von Berlin.
       
       Der rot-grüne Senat dagegen hat gesagt: das ist doch keine Demonstration.
       Eine Demonstration ist, was wir ’68 gemacht haben. Außerdem wollt Ihr die
       Gewinne privatisieren und die Kosten sozialisieren. Mit dieser Haltung
       wurde die Love Parade zerstört, aber das war eine Milchmädchenrechnung. Man
       spart jetzt jedes Jahr vielleicht eine Million für die Müllbeseitigung,
       aber dafür gibt man 20 Millionen für Be-Berlin-Kampagnen aus.
       
       Ob Love Parade oder Berghain: Was macht eine gute Party aus? 
       
       Die zwei wichtigsten Sachen sind: Leute und Musik. Über die Reihenfolge
       kann man schon streiten. Ich bin als Teenie dahin gegangen, wo mir die
       Musik und die Energie am besten gefallen haben. Ich bin in Schwulenläden
       gegangen, obwohl ich nicht schwul bin. Das war nicht der beste Ort, um
       Mädchen kennen zu lernen, aber die Energie, die Stimmung waren am besten.
       Tolle Musik kann ich auch für mich allein hören, aber im Club entsteht ein
       Zusammenspiel zwischen der Musik und den Leuten. Das Kollektiv-Erlebnis
       lässt einen die Musik ganz anders, nämlich mit den Ohren der anderen hören,
       man spürt die Musik mit dem Körper der anderen.
       
       Ist das auch der Reiz am DJ-Sein? 
       
       Für mich ist es vor allem das Übersetzungsspiel zwischen Musik und
       Menschen.
       
       Es geht nicht um die Macht, die Massen steuern zu können? 
       
       Das ist eine vulgäre Auffassung: der DJ als Teacher, also als Lehrer. Fast
       so überflüssig wie der DJ als Dienstleister, der der Masse gibt, was sie
       angeblich will. Das war für mich nie die Frage. Ich war 13 Jahre in der
       Schule, ich möchte nicht mehr unterrichtet werden. Ich will aber auch nicht
       von einem Opportunisten gelangweilt werden. Die magischen Momente sind
       genau die, in denen zwischen dem Publikum und dem DJ eine neue Übereinkunft
       entsteht, ein neues Programm, von dem man nicht mehr sagen kann, ob es die
       Idee des DJ ist oder der Wunsch des Publikums. Das muss miteinander
       verschmelzen, dann wird es gut.
       
       Sind das so magische Momente, dass Ihnen dieser Beruf auch in 30 Jahren nie
       langweilig wird? 
       
       Picasso ist über 90 Jahre alt geworden und hat schon als Kind gemalt. Hat
       man den gefragt, warum ihm das Malen nicht langweilig geworden ist? In der
       Praxis gibt es doch keine Arbeit, die nicht mal zäh wird. Und natürlich
       geht auch mal ein Abend daneben. Das ist vor 30 Jahren passiert und
       passiert kommendes Wochenende vielleicht wieder.
       
       Wie geht so ein Abend daneben? 
       
       Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Die technischen Voraussetzungen
       stimmen nicht, es ist zu dunkel, um zu sehen, was man überhaupt macht, man
       wird unsicher, das Publikum reagiert seltsam, man wird noch unsicherer, die
       Leute rennen von der Tanzfläche, bevor man richtig angefangen hat, und dann
       fällt noch jemand besoffen in deine Platten …
       
       Was ist das Schwierigste? 
       
       Die richtige Balance zu finden. Es gibt Tracks, die laufen in einer Stadt
       super, in einer anderen gar nicht. Vorher kann man das kaum wissen. Man
       fragt sich immer wieder: Wie mutig kann ich sein mit der Musik – und wie
       vorsichtig muss ich sein? Mal bleibt man unter seinen Möglichkeiten, mal
       überzieht man. Es gibt Abende, da hat man vielleicht die geilste Musik
       gespielt, aber die Leute fanden es alle scheiße. Dann ist es für diesen
       Abend halt doch nicht die geilste Musik gewesen. Dieser Beruf ist eben
       keine exakte Wissenschaft.
       
       Wird sie denn in 30 Jahren wenigstens etwas exakter? 
       
       Nein. Schon weil man es immer mit neuen Nachtleben-Generationen zu tun hat.
       Deshalb bleiben auch die wenigsten DJs 30 Jahre im Geschäft. Deshalb und
       weil der technische Fortschritt rasant ist. Der Beruf hat sich in den
       vergangenen zehn Jahren vollkommen verändert.
       
       Weil man nicht mehr mit Platten auflegt? 
       
       Alles hat sich verändert durch die digitale Technik: Wie ich die Musik
       finde, wie ich sie speichere, wie ich sie ordne und wie ich sie abspiele.
       Diese Veränderungen sind fast alle positiv.
       
       Die neue Technik ist auch gut für den Rücken. 
       
       Auf jeden Fall. Endlich hat man nur noch Handgepäck und ist als erster raus
       aus dem Flieger. Und man muss sich nicht mehr die Hacken ablaufen nach
       Platten, die man unbedingt braucht. Ein Download tut’s jetzt auch, den ich
       auch noch problemlos bearbeiten kann.
       
       Einziger Nachteil: Man kann heute eigentlich nicht mehr mit Platten
       auflegen. Denn durch den Fortschritt wird auch Wissen verschüttet. In den
       meisten Clubs kriegt man zwar Turntables hingestellt, aber kaum jemand weiß
       noch, wie man mit analoger Technik richtig umgeht. Man kann sich ja leicht
       vorstellen, dass eine Nadel, die in einer Rille vibriert, in einem
       Ambiente, in dem Leute herumspringen, komplizierter auszusteuern ist als
       ein CD-Player.
       
       Man kann sich dem natürlich widersetzen, schon aus Trotz. Aber man kann
       sich auch fragen: Was ist mein Job? Und der besteht nicht darin,
       Vinyl-Platten durch die Welt zu schleppen, sondern Musik so
       zusammenzusetzen, dass Leute dazu tanzen wollen.
       
       Aber irgendwas muss Sie doch nerven nach 30 Jahren? 
       
       Was mich wirklich ankotzt, ist das Reisen. Das ist mit den Jahren auch
       immer schlimmer geworden. Gerade die Rückreisen: das Taxi vom Flughafen,
       dann im Fahrstuhl hoch in die Wohnung, die letzten Meter werden immer
       länger.
       
       Aber Sie fliegen sicher immer schön in der Business Class. 
       
       Ach, so toll ist das auch nicht. Da liege ich lieber im Obdachlosenasyl als
       in der First Class. Das klingt vielleicht arrogant, aber da liegt man auch
       nur zwischen furzenden, schnarchenden alten Säcken. Das wird immer so
       verklärt, weil man ein Glas Sekt bekommt, aber eigentlich ist es eine
       schreckliche, absurde Situation. Deswegen lege ich zwar immer noch fast
       jedes Wochenende auf, aber ich versuche die ganz langen Reisen zu
       vermeiden. Die Australier sind liebe Leute, ich würde auch gerne für die
       spielen, aber dahinzufliegen, das habe ich seit den Neunzigern nicht mehr
       gemacht. Das ist mir schlicht und einfach zu weit.
       
       Arme Australier. 
       
       Ja, aber ich habe es ja auch nicht leicht. Das lange Aufbleiben war früher
       auch schon mal einfacher für mich. Sie würden sich wundern, wie früh ich
       ins Bett gehe, wenn ich nicht auflege. Von meiner Natur her bin ich eher
       Frühaufsteher.
       
       Da helfen sicher ein paar Drogen, um wach zu bleiben. 
       
       Die Drogen-Frage. Muss das sein? Bloß weil man Techno-DJ ist, muss man
       ständig sagen, dass Drogen scheiße sind. Diese soziale Aufgabe lehne ich
       ab.
       
       Diesmal kommen Sie aber nicht drumrum, weil die erste Single aus Ihrem
       neuen Album ausgerechnet „You Need The Drugs“ heißt. Propagieren Sie mit
       der etwa den Drogenmissbrauch? 
       
       Natürlich nicht. Es ist aber auch kein Anti-Drogen-Song, wie meine
       Plattenfirma aufgrund eines Missverständnisses verkündet hat. Zur
       Klarstellung: Ich rate niemandem, mehr oder weniger Drogen zu nehmen. In
       dem Song, dessen Text gar nicht von mir ist, beschreibt der Sänger Richard
       Butler folgende Situation: An einem Sonntagmorgen haben ein Typ und eine
       Frau ihren ganzen Drogenvorrat aufgebraucht und jetzt heult sie ihm die
       Ohren voll, er soll sie zum Dealer fahren.
       
       Ich würde mal behaupten, der Herr Butler hat so eine oder eine ähnliche
       Szene schon mal erlebt, und auch mir ist die nicht ganz unbekannt. Wenn man
       30 Jahre im Nachtleben unterwegs ist, kennt man solche Situationen, solche
       Beziehungen, diese nervigen Gespräche. Diese elendigen Abtörnszenen mit
       Menschen auf zu viel Pillen, Alkohol und Koks. In dem Song wird eine, wie
       ich finde, authentische Szene dargestellt. Warum muss ich da eine
       Drogenwarnung vorher verschicken? Von Mario Puzo hat ja auch keiner
       verlangt, dass er erst einmal seine Haltung zur Mafia klar macht, bevor er
       „Der Pate“ geschrieben hat.
       
       Immerhin haben sie sich die Drogen-Frage diesmal selbst eingebrockt. 
       
       Das stimmt. Bislang musste ich immer ohne konkreten Anlass ein Statement zu
       Drogen abgeben. In jedem Interview, das ich in 30 Jahren gegeben habe. Dann
       habe ich gesagt: Es ist gar nicht so schlimm! Oder: Es ist alles noch viel
       schlimmer! Aber ich wollte nie der fucking Pressesprecher von Techno sein.
       Ich wollte überhaupt nie die Gallionsfigur von irgendwas sein.
       
       Das kann man sich manchmal nicht aussuchen. 
       
       Ja, aber es kotzt mich an. Ich fühle keine Verpflichtung, mich an irgendwas
       zu halten. Auch nicht an Realitäten, die ich vielleicht selber geschaffen
       habe.
       
       12 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Winkler
       
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