# taz.de -- Sinti-und-Roma-Gedenkstätte: Ort der Erinnerung entsorgt
       
       > In Wiesbaden lässt eine Schule eine Gedenkstätte für Sinti und Roma still
       > und heimlich abbauen. Nach Protesten wird behauptet, sie habe nie
       > existiert.
       
 (IMG) Bild: Mit elf Jahren von den Nazis deportiert: Maria Theresia Lehmann.
       
       KOSTHEIM taz | Sinto Alexander Meyer ist fassungslos: „Ich dachte,
       Gedenkstätten seien für die Ewigkeit.“ Doch nicht an der Krautgartenschule
       im Wiesbadener Stadtteil Kostheim. Dort ist eine Gedenkstätte entfernt
       worden, die an Meyers Mutter Maria Theresia Lehmann erinnerte.
       
       Lehmann lebte früher in Kostheim und wurde von den Nationalsozialisten
       deportiert. Bis Februar war die Gedenkstätte, die seit sieben Jahren
       existierte, einer von etwa hundert Orten, die das [1][Dokumentationszentrum
       der Sinti und Roma in Heidelberg] auf seiner Website vorstellt. Doch seit
       Kurzem ist der Eintrag gelöscht. Darum gebeten hat das Landesschulamt in
       Wiesbaden mit einem Schreiben vom 7. Februar 2013. Die Gedenkstätte gebe es
       nicht mehr.
       
       Es war eine kleine Glasvitrine mit Fotos von Maria und ihrer Familie, die
       in der Eingangshalle der Schule hing. Sie erzählte von Maria Theresias
       Schicksal. Sie wurde am 16. Mai 1940 mit elf Jahren von den Nazis aus
       Kostheim verschleppt. Morgens um halb drei stand die Polizei vor der Tür
       und holte sie, ihre Eltern, die vier Brüder und die Schwester ab.
       
       Wie alle Sinti-Familien aus der Region, fast einhundert Personen, wurde die
       Familie zunächst im Polizeigefängnis eingesperrt. Dort fotografierte man
       sie und stempelte ihnen eine Nummer auf den Arm. Am selben Vormittag noch
       brachte man die Familie nach Stuttgart in das Zuchthaus Hohenasperg zu
       „rassenbiologischen Untersuchungen“. Eine Woche später erfolgte der
       Abtransport in Lager nach Polen. Die Mai-Deportationen markierten den
       Beginn der systematischen Vernichtung der deutschen Sinti und Roma. Maria
       gehörte zu den wenigen, die überlebte.
       
       ## Nur nicht die Kinder belasten
       
       Die Gedenkstätte wurde nach langer Diskussion an der Schule eingerichtet.
       Damals gab es sogar den Vorschlag, die neu gebaute Schule nach Maria zu
       benennen. Doch Eltern und Lehrerkollegium entschieden mehrheitlich, man
       dürfe Kinder nicht mit dem grauenvollen Schicksal des Mädchens belasten.
       
       Die damalige Schulleiterin aber wollte zumindest das Schicksal von Maria
       nachzeichnen. Zwei Monate arbeiteten Schüler an einer Ausstellung. Sie
       dokumentierten den Weg der Sinti in die Vernichtungslager, suchten Fotos
       vom Leben der Familie Lehmann. „Im Unterricht wurde viel über die Gründe
       von Ausgrenzung und über persönliche Handlungsmöglichkeiten geredet“,
       erzählte die Schulleiterin damals der Presse.
       
       2006 wurde die Ausstellung feierlich mit besonderen Ehrengästen eingeweiht:
       Marias Kinder Anita Lehmann und Alexander Meyer und Neffe Johannes waren
       gekommen. Die Familie freute sich über die Ehrerbietung: „Wir wollen
       vergeben“, sagte Anita Lehmann damals. Es war eine bewegende Veranstaltung,
       erinnert sich auch Adam Strauß, Vorsitzender des hessischen Landesverbands
       der Sinti und Roma. Die Gedenkstätte in der Krautgartenschule sollte ein
       Ort des Erinnerns sein.
       
       ## Fußballpokale statt Fotos
       
       Das war vor sieben Jahren. Mittlerweile ist die alte Schulleiterin
       verstorben, viele neue Lehrer sind da. Und die Fotos und Dokumente sind
       verschwunden, im Schaukasten stehen Fußballpokale. Warum die Gedenkstätte
       abgebaut wurde, darüber will niemand sprechen. Auch nicht die neue
       Schulleiterin. Die Fotos sollen der Familie zurückgegeben worden sein,
       steht im Brief des Landesschulamts an das Dokumentationszentrum in
       Heidelberg.
       
       Die Kinder widersprechen. Sie hätten die Familienbilder nicht
       zurückerhalten. Und seien auch nicht informiert worden, dass es die
       Gedenkstätte nicht mehr gibt. „Wie kann man das einfach abräumen?“, fragt
       Alexander Meyer. Seine Schwester Anita spricht von „Respektlosigkeit“, gar
       von Lüge. Und fragt sich, was aus den Fotos wurde.
       
       Es waren nicht nur Kinderbilder von der Mutter, sondern auch alte
       Fotografien von der Großmutter dabei. Und ein Foto, das den Großvater
       Friedrich zeigte: Er war Musiker und gehörte zum Ensemble eines bekannten
       Varietés in Frankfurt. Anita hätte die Fotos gern von der Schule zurück.
       Dort kann man sich an nichts erinnern: „Eine Gedenkstätte hat an der
       Krautgartenschule nie existiert“, heißt es per E-Mail.
       
       15 May 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.sintiundroma.de/start.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marion Mück-Raab
       
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