# taz.de -- Biennale in Venedig: Projektionen aus Deutschland
       
       > Am 1. Juni eröffnet die Kunstbiennale in Venedig. Ein Besuch im Deutschen
       > Pavillon – nach dem Tausch mit den französischen Nachbarn.
       
 (IMG) Bild: Aus dem deutschen Pavillon: Santu Mofokeng „Buddhist Retreat near Pietermaritzburg Kwazulu Natal“, 2003 (Ausschnitt).
       
       VENEDIG taz | Der deutsch-französische Pavillontausch ist ein Gewinn. Für
       beide Seiten. Im französischen Haus konnte die Kommissarin Susanne
       Gaensheimer für vier ganz unterschiedlich positionierte Künstler einen
       eleganten Rundgang einrichten, wie er in der deutschen Architektur
       undenkbar erscheint. Anri Sala wiederum, der französische Repräsentant,
       fand für seine überaus pathosgeladene Videoinstallation der Dekonstruktion
       eines Musikstücks von Ravel in der nicht minder pathetischen Architektur
       des deutschen Pavillons den entsprechenden Rahmen.
       
       Die völkerverständigende Begründung des Tauschs mit Bezug auf 50 Jahre
       Élysée-Vertrag, die jedes kunstimmanente Argument vermissen ließ, war als
       wohlfeile Symbolpolitik viel kritisiert worden. Die Ideengeber können von
       Glück reden, dass dieser Aspekt nun angesichts des ausstellungstechnischen
       Gewinns verblasst. Fürs Publikum öffnet die 55. Kunst-Biennale in Venedig
       am 1. Juni.
       
       Auch Gaensheimers transnationale Auswahl stieß auf wenig Verständnis. Dass
       Ai Weiwei, China, Dayanita Singh, Indien, Santu Mofokeng, Südafrika, und
       Romuald Karmakar, Deutschland, allerdings mit französischem Pass, das
       deutsche Kunstgeschehen repräsentieren, begründete die Kommissarin mit
       deren intensiven Arbeitsbeziehungen mit dem deutschen Kunstbetrieb, was die
       Internationalität der Kulturproduktion in Deutschland widerspiegele.
       
       ## 886 Holzhocker
       
       Doch was ist damit schon gesagt? Ai Weiweis wie Dayanita Singhs oder Santu
       Mofukengs künstlerische Arbeiten beziehen sich auf ihr Herkunftsland. Dass
       sie alle ausgereifte, anspruchsvolle und komplexe Arbeiten zeigen,
       resultiert in einer noblen, sehenswerten Schau.
       
       Dayanita Singh und Santu Mofukeng flankieren nun in der geometrischen
       Kreuzform des französischen Pavillonbaus rechts und links die zentrale
       Installation „Bang“ aus 886 dreibeinigen Holzhockern, die Ai Weiwei in
       langwieriger Suche aus ganz China zusammengetragen hat. Im Ausland sind sie
       als Antiquitäten begehrt, im Inland durch Surrogate aus Metall und Plastik
       ersetzt. In Venedig fügen sie sich zu einer raumfüllenden, aber luftigen
       Barrikade, einem skulpturalen Verteidigungswall gegen den Ausverkauf des
       individuellen Familienerbes wie der kollektiv geteilten Tradition.
       
       An „Bang“ sind Dayanita Singhs Fotografien vom bestürzenden Durcheinander
       vermeintlich wohl geordneter Aktenablagen in den Behördenarchiven von
       Neu-Delhi ebenso anschlussfähig wie Santu Mofukengs vieldeutig mit Licht
       und Schatten argumentierende Schwarz-Weiß-Aufnahmen von den Geheimtreffen
       schwarzer religiöser Gemeinschaften in freier Natur.
       
       ## Traumatisierte, spirituelle Landschaft
       
       Sprechen die ästhetisch wundersamen plastischen Aktenberge vom
       katastrophalen Alltag der indischen Bürokratie, erinnern Mofukengs
       Aufnahmen eine durch Apartheidpolitik und Geschäftemacherei traumatisierte,
       spirituelle Landschaft. Das Apartheidregime ging unter, doch die
       Geschäftemacherei bleibt. Jetzt wird das Land durch die Ausbeutung von
       Rohstoffen entweiht, wie Mofukengs neue Bilder zeigen.
       
       Den Joker im Räumlein-wechsle-dich-Spiel hat Romuald Karmakar gezogen. Im
       Rücken von Ai Weiweis „Bang“ situiert, hat er den deutschen Pavillon fest
       im Blick. Die Projektion des „8. Mai“, der Dokumentation einer NPD-Demo auf
       dem Berliner Alexanderplatz zum 60. Jahrestag des Kriegsendes, und der
       „Hamburger Lektionen“, Manfred Zapatkas Lesung zweier Predigten aus der
       Al-Quds-Moschee in Hamburg, die die Attentäter des 11. September besuchten,
       trennt die Leerstelle des Raumeingangs, in der das gegenüberliegende
       Germania Portal sichtbar wird.
       
       Perfekt präsentiert, im vollen Tageslicht der Kunst, mit Lautsprechern
       bestückt, durch die der Ton nur vor der Projektion hörbar wird, sprechen
       diese beiden Filme endlich von der Internationalität der Kulturproduktion
       made in Germany.
       
       Der Aufmarsch der Neonazis, so zeigt es Karmakar, mobilisierte ein
       internationales Netzwerk, so wie in den Ausführungen des mordlüsternen
       Imams Deutschland integraler Teil der weltweiten kulturellen
       Herausforderung des Westens an seine Glaubensbrüder ist. Hier, im
       unerbittlich genauen Blick Karmakars auf Deutschland, findet sich die von
       Gaensheimer beschworene globale Horizonterweiterung deutscher
       Befindlichkeit. Ohne die anderen Positionen zu verwerfen: Gaensheimer hätte
       ihm den Pavillon ganz geben müssen..
       
       31 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kunst
 (DIR) Biennale
 (DIR) Venedig
 (DIR) Reiseland China
 (DIR) Kunst
 (DIR) Kunst
 (DIR) Kunst
 (DIR) Architektur
 (DIR) Venedig
 (DIR) Martin-Gropius-Bau
 (DIR) Deutsche Bank
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Besuch bei Ai Weiwei in China: Jemand, der stark sein will
       
       Auf einer Reise trifft unsere Autorin fast zufällig den Künstler Ai Weiwei.
       Er plant seine erste Einzelausstellung in China seit 22 Jahren.
       
 (DIR) Fotograf Bert Stern gestorben: Monroe und Modern Art
       
       Bert Stern, der letzte Fotograf von Marilyn Monroe, ist im Alter von 83
       Jahren gestorben. Stern prägte maßgeblich die Entwicklung der
       Werbefotografie zur Kunstform.
       
 (DIR) Bundeskunsthalle auf neuen Wegen?: Herr der blauen Hörner
       
       Der Niederländer Rein Wolfs steuert seit April das Bonner Kulturflaggschiff
       „Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland“.
       
 (DIR) Die Malerin Hilma af Klint: Experiment der Moderne
       
       Reich an Blüten und Blasen und doch auf dem Weg zur Abstraktion: Das Werk
       der schwedischen Malerin Hilma af Klint (1862-1944) ist in Berlins
       Nationalgalerie zu sehen.
       
 (DIR) Soziale Architektur: Urbane Akupunktur
       
       Die Ausstellung „Think global, build social!“ im Deutschen Architektur
       Museum in Frankfurt zeigt Ethik und Ästhetik im baulichen Einklang
       
 (DIR) 55. Biennale von Venedig: Eine große Materialschlacht
       
       Schick und intelligent ausgedacht, doch oftmals konzeptionell sehr trostlos
       ausgeführt: Ein Rundgang über die 55. Biennale von Venedig.
       
 (DIR) Kapoor-Austellung in Berlin: Von Darmzotten fasziniert
       
       Im Martin Gropius Bau in Berlin eröffnete am Samstag die große
       Einzelausstellung von Anish Kapoor, dem Superstar der New British Sculpture
       Bewegung.
       
 (DIR) KunstHalle der Deutschen Bank: Große Versprechen
       
       Mit der ersten europäischen Soloschau von Imran Qureshi, ihrem Künstler des
       Jahres 2013, eröffnet die Deutsche Bank ihre KunstHalle in Berlin.
       
 (DIR) Biennale Venedig: Hippe Gastarbeiter
       
       Passt die Weltsprache Kunst in nationale Käfige? Auf diese Frage hat
       Kuratorin Susanne Gaensheimer eine unmissverständliche Antwort gegeben.
       
 (DIR) 54. Kunstbiennale von Venedig: Turnen für die Business-Class
       
       Es gibt sie, die Kunst, die ohne Knalleffekte auskommt und um die Würde des
       Menschen ringt. In Venedig aber macht das Laute und Offensichtliche eher
       das Spiel als das Subtile.
       
 (DIR) Regisseur Karmakar: "Der islamistische Terror war längst da"
       
       Wie hört sich eine Hasspredigt an? Rationaler, als viele denken. In seinem
       Film "Hamburger Lektionen" zeigt Romuald Karmakar, mit welchen Utopien ein
       islamistischer Extremist Terror rechtfertigt