# taz.de -- Hype um Big Data: Metafehler Mensch
       
       > Prism! Big Data! Politik, Geheimdienste und Wirtschaft spähen unsere
       > Daten aus. Das unberechenbare Verhalten des Menschen steht dem entgegen.
       
 (IMG) Bild: Daten kommen, Daten gehen, und so mancher sammelt eifrig.
       
       Von je einem Ende der Welt flogen sie aufeinander zu und trafen sich in der
       Mitte. Zeus‘ Adler bestimmten das neue Zentrum der Welt. So entstand dem
       Mythos zufolge auch die wichtigste Kultstätte der hellenistischen Welt: das
       Orakel von Delphi.
       
       Enden des Internets sind heute, [1][de:official&client=firefox-a:von ein
       paar Spaßseiten] abgesehen, nicht bekannt. Auch eine Mitte fehlt. Und doch,
       so will es der moderne Mythos, sind die Algorithmen eines Datengottes
       aufgestiegen und haben sich im Zentrum des Netzes getroffen. Es soll alle
       Eigenschaften besitzen, um die wichtigste Kultstätte der digitalen und
       nicht-digitalen Welt der näheren Zukunft zu werden: [2][das Orakel von Big
       Data.] 
       
       Krankheitsdiagnosen, Kindererziehung, sich selbst steuernde Autos,
       Logistikplanung, Verbrechensbekämpfung, Linguistik und Kreditwesen,
       Psychologie und Steuererhebung – wenn man sich den vielen neuen Berichten,
       Analysen und Büchern zum Thema ausliefert, gibt es nur wenig, was Big Data
       bald angeblich nicht vorhersagen kann. Big Data bedeutet: all jene
       verfügbaren Daten maschinell zu verarbeiten, die bisher wegen ihrer
       schieren Menge überwiegend unbearbeitet blieben.
       
       “Unternehmen, Regierungen und auch Individuen werden alles, was möglich
       ist, erfassen, messen und optimieren“, betonen Viktor Mayer-Schönberger und
       Kenneth Cukier [3][im Magazin Technology Review] und in ihrem Buch „Big
       Data: A Revolution That Will Transform How We Live, Work, and Think“. Damit
       bringen sie auf den Punkt, was Unternehmen begeistert und Datenschützer
       ängstigt. Angst? Ja, erstmal zu Recht: Messen. Erfassen. Optimieren. Alles.
       Big Data. Wie das klingt. Da erodiert das Private schon beim Zuhören.
       Schlagworte ermorden die Freiheit. Gemessen und für manipuliert befunden.
       Big Brother is optimizing you.
       
       Aber wird der Mensch, den sich Programmierer, Datenanalytiker und
       Hardwareentwickler oft als Dümmsten Anzunehmenden User (DAU) vorstellen,
       das einfach so über sich ergehen lassen? Viele DAU zwangen zuletzt
       Microsoft, wieder einen Startbutton ins neue Betriebssystem einzufügen.
       Nicht etwa, weil man ihn braucht. Sondern weil er immer schon da war.
       
       Lange galt Big Data als Zukunftsvision. Doch die Aktualität liefert
       schneller: Der US-Geheimdienst NSA hat Daten aus der gesamten vernetzten
       Welt gefischt. Britische Suchanfragen, deutscher E-Mail-Verkehr, US-Chats,
       finnische Internettelefonie – alles ist in eine gigantische Rasterfahndung
       namens „Prism“ der US-Terrorabwehr eingeflossen.
       
       ## Big Data und „Prism“
       
       Der Geheimdienst sagt, es seien nur Metadaten gesammelt worden. Barack
       Obama betont, niemand höre Telefonate direkt ab. Die
       US-Bürgerrechtsorganisation EFF schlägt den Bogen zu Big Data und
       [4][spottet]: „Sie wissen, dass du die Suizidpräventionshilfe von der
       Golden Gate Bridge aus angerufen hast, aber sie wissen nicht, was
       gesprochen wurde.“ Metadaten sagen manchmal genügend aus.
       
       Das Magazin Slate [5][stellt die richtige Frage.] Wenn die NSA beim
       Auslesen von Facebook-Seiten auch die Freunde einer Zielperson und die
       Freunde der Freunde einbezieht, um Personenprofile und Verbindungen zu
       erfassen, dann sind statt einer schnell 226.000 Personen zu untersuchen.
       226.000 Personen sind aber nicht einfach 226.000 Datensätze, es sind im
       schlimmsten Fall 226.000 potenzielle DAU.
       
       Und sonst? Einer der mächtigsten Geheimdienste der Welt übt sich in Big
       Data. Das Ganze fliegt auf, weil eine einzelne Person nicht mehr mitmachen
       will. Hier wird deutlich, warum sich Big-Data-Analytiker vor dem
       menschlichen Faktor fürchten: Der Mensch als Summe seiner
       Unberechenbarkeit, Launen, Unzuverlässigkeit und Widerspenstigkeit.
       Freundlicher gesagt: Willkommen seist du, Mensch, mit all deinen Stärken
       und Schwächen, deinen Eitelkeiten, deinem Misstrauen und deiner radikalen
       Ichbezogenheit. Aber auch mit deiner Leidenschaft, viele Daten im Netz zu
       hinterlassen.
       
       ## Meine Daten, deine Daten
       
       Wir legen Profile auf Facebook, Twitter und Google+ an, posten
       Statusmeldung um Statusmeldung, suchen mit Google, Yahoo und Bing, kaufen
       ein bei Ebay und Amazon, machen Online-Banking, speichern unsere Daten in
       der Cloud, während mit den Eltern geskypt und mit den Kindern gechattet
       wird.
       
       Sind wir selber schuld, wenn nun all diese Daten auf uns zurückfallen?
       Mayer-Schönberger und Cukier [6][winken ab: falsche Frage.] Die richtige
       laute: Wie können Daten helfen, die Welt zu verstehen? Wie nützlich sei
       doch Google und sein Umgang mit Daten. Lange bevor die Grippe ausbricht,
       gibt es schon die [7]["Google-Flu-Trends“].
       
       Auch Chris Anderson, ehemaliger Chefredaktion des Magazins Wired, [8][sieht
       sich Google und Big Data an. Er fragt:] „Was kann die Menschheit von Google
       lernen?“ Das Netz sei angewandte Mathematik, eine Mischung aus Forschung
       und Ingenieurswissen, die Genentschlüsselung des Menschen wird hier zur
       ersten großen Leistung von Big Data. Wir müssten, so Anderson weiter, auch
       nicht alles messen, erfassen, optimieren – schließlich gelte der Satz des
       Statistikers George Box: „Alle Modelle sind falsch, aber einige sind
       nützlich.“ Google-Manager Peter Norvig springt ihm bei und ändert Box‘
       Zitat: „Alle Modelle sind falsch, aber ohne sie wird man kaum noch Erfolg
       haben“.
       
       Was also kann denn der Mensch von Google lernen? Das Big-Data-Prinzip
       heißt: Korrelation ersetzt Kausalität. In welcher Beziehung X zu Y steht,
       hat Vorrang vor den Gründen, warum X so ist, wie er ist. Wichtiger als die
       Wissenschaft vom Leben, die Biologie, ist Bio-Engeneering. Wer braucht ein
       Studium Generale, wenn es Informatik und Datenverarbeitung doch auch tun?
       Da lacht sie, die dekontextualisierte, entsozialisierte, unsemantische und
       an Logik nicht interessierte Welt der reinen Datenanlyse.
       
       ## Lob des Menschen und seiner Schwächen
       
       Wir kennen Big Data schon länger als es diesen Begriff überhaupt gibt. Wir
       Deutschen kennen ihn vom Zensus 2011, nach dem plötzlich 1,5 Millionen
       Bürger fehlten, vom Berliner Großflughafen, der nicht fertig werden will,
       von Stuttgart 21. Wir Weltbürger verfolgen einen Drohnenkrieg, der trotz
       Milliarden Dollar und immer neuer Technologie in den Bergen Afghanistans
       nur selten Erfolg hat.
       
       Genüsslich [9][breiten Mayer-Schönberger und Cukier aus,] wie der
       Zahlenfetischist Robert McNamara auf solider Datengrundlage den
       Vietnamkrieg verlor. Realistische Beurteilungen, sagte der damalige
       US-Verteidigungsminister, seien nur auf der Grundlage verlässlicher
       Statistiken möglich. Die Datenmengen standen der US-Armee zur Verfügung, es
       gewann der Vietcong. „Wir lagen falsch, furchtbar falsch“, schrieb McNamara
       später in seinen Memoiren.
       
       Dana Boyd, [10][Social-Media-Forscherin, meint:]“In unserer Ära sind Daten
       billig, aber Sinn daraus zu ziehen ist es nicht“. Nur weil große Mengen an
       Daten verfügbar seien, müssten sie noch lange nicht viel wert sein. Zu
       viele Daten, fehlerhafte Daten, sinnlose Daten, zu wenige Daten – schön ist
       die Vorstellung, wie ein US-Geheimdienst versucht mit einer digitalen
       Übersetzungshilfe die Kommentare im taz.de-Forum zu verstehen.
       
       Menschen machen im Netz Fehler um Fehler. Für Maschinen, die mit Maschinen
       kommunizieren sollen, um fehlerfrei Metadaten zu messen, zu erfassen und zu
       optimieren, ist der Mensch ein Metafehler. Das ist gut für uns und schlecht
       für Big Data. Beim Orakel von Delphi brauchte es noch ein Edikt des
       Kaisers, um der Wahrsagerei ein Ende zu bereiten. Beim Orakel von Big Data
       sollte menschliches Alltagsverhalten reichen. Der Rest ist guter
       Datenschutz.
       
       18 Jun 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.google.de/search?q=Ende+des+Internets&ie=utf-8&oe=utf-8&aq=t&rls=org.mozilla
 (DIR) [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Big_Data
 (DIR) [3] http://www.technologyreview.com/news/514591/the-dictatorship-of-data/
 (DIR) [4] http://www.eff.org/deeplinks/2013/06/why-metadata-matters
 (DIR) [5] http://www.slate.com/articles/technology/technology/2013/06/prism_two_hops_nsa_agents_are_trained_to_target_friends_of_friends_how_many.html
 (DIR) [6] http://www.wired.com/wiredenterprise/2013/03/big-data/
 (DIR) [7] http://www.google.org/flutrends/
 (DIR) [8] http://www.wired.com/science/discoveries/magazine/16-07/pb_theory
 (DIR) [9] http://www.technologyreview.com/news/514591/the-dictatorship-of-data/
 (DIR) [10] http://www.danah.org/papers/talks/2010/WWW2010.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maik Söhler
       
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