# taz.de -- Politologe über Bratwurstessen: „Man sollte kraftvoll zubeißen“
       
       > Mit Würde eine Wurst essen – kaum etwas ist schwieriger. Warum es
       > Politiker trotzdem nicht lassen können, erläutert der Experte Constantin
       > Alexander.
       
 (IMG) Bild: Politiker im Wahlkampf: Volksnähe durch die Bratwurst.
       
       taz: Herr Alexander, Sie sammeln Bilder von Politikern, die Bratwürste
       essen. Wie kam es denn bitte dazu? 
       
       Constantin Alexander: Bei meiner Arbeit als Journalist ist mir aufgefallen,
       dass [1][es bestimmte Politikerfotos immer wieder gibt.] Das ist gerade bei
       durchchoreografierten Terminen so, etwa bei Volksfesten oder
       Wahlkampfveranstaltungen: Der Politiker, der eine Maß Bier in der Hand
       hält, der Politiker, der irgendwas in die Kamera hält, der ein Lamm
       streichelt, ein Stück Käse isst.
       
       Ich habe mich gefragt, welche Pose man am häufigsten findet, und deswegen
       Archive von Nachrichten- und Fotoagenturen durchsucht. Dabei sind mir zwei
       Sachen aufgefallen. Erstens: Es gibt von nahezu jedem deutschen
       Volksparteipolitiker ein Bild, wie er in eine Bratwurst beißt. Und
       zweitens: Bratwürste sind unmöglich würdevoll zu essen.
       
       Warum? 
       
       Die Dinger sind heiß, sie sind fettig, man sieht nicht elegant dabei aus.
       Und dann kann so eine Bratwurst ja auch noch als phallisches Symbol
       interpretiert werden. Wenn du zu sehr reinbeißt, gibt es Männer, die sich
       bedroht fühlen. Aber wenn du es zu zärtlich machst, ist das auch schon
       wieder zu sexuell aufgeladen. Es ist also sehr, sehr schwierig, es
       professionell zu machen.
       
       Und warum machen sich dann alle deutschen Politiker mit Bratwürsten zum
       Kasper? 
       
       Wenn du auf einer öffentlichen Veranstaltung bist und irgendetwas ablehnst
       – oder dein Assistent lässt es nicht zu dir durch –,dann kriegen die Leute
       vor Ort das mit. Hängen bleibt: Da kommt ein wichtiger Politiker und will
       uns repräsentieren, lehnt aber das Essen, das wir selber essen, ab. Man
       kann vielleicht noch argumentieren, die Wurst könnte vergiftet sein oder so
       was – aber zieh das mal durch. Und außerdem will der Politiker ja Volksnähe
       demonstrieren.
       
       Wie viel Symbol steckt denn in der Wurst? 
       
       Enorm viel, denn Lebensmittel in der Kultur- und Kunstdarstellung stehen
       nie für sich. Früher haben Könige, reiche Bürger und Kirchenobere sich sehr
       gern so darstellen lassen, dass ihr Reichtum deutlich wurde, etwa mit einem
       Fasan. Heute aber, wo wir in Deutschland Demokratie haben, ist es sehr
       schwierig geworden, sich mit gewissen Luxusgegenständen ablichten zu
       lassen.
       
       Es gibt ja die Geschichte, wie Sahra Wagenknecht in Straßburg Hummer
       gegessen hat, und davon gab es ein Foto, und dann hat sie sofort dafür
       gesorgt, dass dieses Foto einfach nicht erscheint.
       
       Hat das funktioniert? 
       
       Ja, das Foto wurde gelöscht. Für jemanden von der Linken in Deutschland ist
       Hummer, genau wie Kaviar oder Champagner, sehr luxuriös konnotiert. Heute
       müssen Politiker aber über Essen Volkstümlichkeit simulieren. Ein Barack
       Obama hat deshalb im US-Wahlkampf in nahezu jede Art von Fastfood
       mindestens einmal gebissen: Hot Dogs, Pizza, Burger, Barbecue.
       
       Von Mitt Romney hingegen gibt es keine Bilder, wie er in einen Taco beißt,
       denn der symbolisiert für die Republikanerwähler die Einwanderer aus
       Mexiko, die „Illegalen“. Das ist eine politische Bedeutung, da geht es gar
       nicht darum, ob etwas lecker ist oder nicht.
       
       Und die deutschen Politiker müssen in die Bratwurst beißen. Gibt es denn
       keine Alternative für sie? 
       
       Es gibt natürlich regionale Spezialitäten. Fischbrötchen im Norden,
       Leberkäse und Weißwurst in Bayern, dann die Nürnberger, die Frankfurter, in
       Berlin und im Ruhrgebiet die Currywurst. Aber die Bratwurst gibt es
       überall, in jedem größeren Bahnhof findest du eine Bude. Und dann ist da
       natürlich noch der Döner …
       
       Ist das nicht so etwas wie der Taco der Deutschen? 
       
       Exakt. Von Claudia Roth, Renate Künast und vielen Grünenpolitikern gibt es
       halt dieses klassische Symbolbild: multikulturell, offen, tolerant, „neues
       Deutschland“. Ob sie es wirklich dann auch essen, weiß ich nicht, denn oft
       stehen sie nur am Dönerspieß. Denn ein Döner ist genauso unmöglich zu
       essen: Der fällt auseinander, ist eine Maulsperre und überhaupt.
       
       An der Wurst führt also kein Weg vorbei. Was aber ist denn nun die beste
       Art, eine Bratwurst zu essen? 
       
       Souverän. Es gibt schlicht keine würdevolle Art. Man sollte vermeiden, zu
       gierig zu wirken. Ganz schlimm ist es, die Augen zuzumachen beim Kauen. Man
       sollte kraftvoll zubeißen, aber nicht zu doll – denn sobald man das im Mund
       hat und ihn wieder aufmachen müsste, um Kälte reinzulassen, ist es zu spät.
       Man sollte ohnehin immer etwas warten, bis die Wurst abgedampft hat.
       
       Ein Problem ist, dass die Bratwurst zu heiß ist? 
       
       Ja. Aber es wird eben auch erwartet, dass man sofort reinbeißt.
       
       Dann ist da die bereits angesprochene Sache mit den Zähnen … 
       
       … zeigt man sie, wirkt es wie aggressives Zubeißen. Zeigt man sie nicht,
       wie laszives Lutschen.
       
       Uli Hoeneß zeigt auf einem Foto nur seinen Unterkiefer und macht dabei
       einen sehr guten Eindruck. Eine Empfehlung? 
       
       Das hängt natürlich auch davon ab, was für ein Gesicht man hat. Hoeneß
       macht das auf dem Bild sehr gut, aber er ist ja auch ein Profi. Außerdem
       hat er eine Nürnberger gegessen, das ist einfacher.
       
       Warum? 
       
       Die ist ein bisschen kleiner, das macht sie mundlicher. Und man kann sie
       besser durch Ausatmen ankühlen. Das gilt auch für die Currywurst: Die
       Stücke sind nicht so heiß, weil sie kleiner sind und mehr Außenfläche
       haben.
       
       Das Wichtigste ist also das Wurstformat? 
       
       Das Wichtigste ist die Körperhaltung. Also nicht zu sehr nach vorne
       gebeugt, nicht zu sehr den Kiefer zeigen, sondern die Wurst zum Mund
       führen.
       
       Die Wurst muss zum Mund, nicht der Mund zur Wurst? 
       
       Genau.
       
       Und wer ist der Meister des Bratwurstessens? 
       
       Gerhard Schröder. Es wirkt am natürlichsten bei ihm, und man hat das
       Gefühl: Der hat Bock drauf, der kennt sich damit aus, und der hat das auch
       schon vorher gemacht, bevor er ein gewichtiger Politiker geworden ist. Noch
       heute gibt es ja in allen öffentlichen Hannoveraner Kantinen auch immer
       noch die Kanzlerplatte, das ist Currywurst/Pommes. Gleichzeitig kursierte
       in der Berliner dpa-Redaktion das Gerücht, dass Schröder 1998 im
       Bundestagswahlkampf einen Bratwurst-Coach hatte.
       
       Hat die Bratwurst die Wahlen 1998 und 2002 mitentschieden? 
       
       Ich würde sagen: Die Fähigkeit eine Bratwurst zu essen, zeigt, wirklich zu
       verstehen, wie die Mehrheit des deutschen Volkes tickt. Das ist so, wie in
       manchem Wirtschaftskreisen zu wissen, wie man eine Zigarre raucht: Und seit
       der der Finanzkrise gibt es immer weniger Bilder von Politikern, die
       Zigarre rauchen.
       
       20 Jun 2013
       
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