# taz.de -- Spielfilm aus Ungarn: In der Hitze des Tages
       
       > „Just the Wind“ von Bence Fliegauf begleitet eine Roma-Familie durch
       > einen Sommertag. Sie ist in ständiger Furcht vor rassistischer Gewalt.
       
 (IMG) Bild: Anna (Gyöngyi Lendvai) versucht so etwas wie Normalität aufrechtzuerhalten, obwohl die Bedrohung allgegenwärtig ist.
       
       „Es trifft immer die Ärmsten der Armen an den äußersten Rändern der Dörfer,
       dort, wo es nur noch wenige Meter bis zum Wald sind.“ Dieser Satz eines
       Vertreters ungarischer Roma, der 2009 nach einem Mord in Tatárszentgyörgy
       geäußert wurde, könnte gut auch für Bence Fliegaufs Film „Just the Wind“
       gelten, eine fiktionale Erzählung, die sich aber durch ein Schriftinsert zu
       Beginn auf die konkreten Vorfälle in Ungarn vor einigen Jahren bezieht. Der
       Übergang zwischen Siedlung und Natur, Institutionen und Schutzlosigkeit ist
       für Fliegaufs Erzählung konstitutiv.
       
       An einer Stelle sehen wir den Jungen Rio, wie er eine Straße entlanggeht,
       auf der langsam ein dunkel lackiertes Auto fährt. Weder ist auszumachen,
       wer am Steuer sitzt, noch, was der Fahrer auf diesem abgelegenen Feldweg
       will. Rio duckt sich weg, denn er hat gute Gründe für die Befürchtung, dass
       hier jemand das Gelände für ein Verbrechen erkundet.
       
       In Ungarn werden Roma getötet – dieser Umstand, dieses Bedrohungsszenario
       bildet in „Just the Wind“ den Hintergrund für die Erzählung eines konkreten
       Sommertages, durch den hindurch wir die Mitglieder einer Familie begleiten,
       vom Aufwachen am Morgen bis zum Schlafengehen am Abend.
       
       ## Festung im Wald
       
       Der Großvater, die Mutter Mari, die Tochter Anna, der Sohn Rio. Rio sollte
       eigentlich in der Schule sein, doch er traut der Sache nicht und baut sich
       lieber tief im Wald eine Art Festung, wo er alles vorbereitet hat für den
       Notfall, dass die Familie untertauchen muss. Als ein junger Mann aus dem
       Dorf hinter sein Geheimnis kommt, bietet er ihm Kaffee an, die Bohnen zum
       Lutschen. Gespannt hört Rio zu, als die Rede auf die Bürgerwehr kommt, die
       die Roma gebildet haben, um sich gegen eine Gefahr zu schützen, gegen die
       die Polizei keinen Schutz bieten kann oder will.
       
       Seine Schwester Anna versucht den ganzen Tag hindurch, so etwas wie
       Normalität aufrechtzuerhalten. Sie geht zur Schule, sie kümmert sich um ein
       kleines Mädchen, das aus einer Familie stammt, deren Mitglieder sich
       anscheinend aufgegeben haben. Die Mutter ist schon tagsüber betrunken, und
       so ist es Anna, die das Mädchen zu einem Teich führt, um es zu waschen.
       
       Es ist eine Szene, die zugleich poetisch und banal ist, in einer für den
       ganzen Film typischen Verbindung zwischen einer neorealistischen
       Erzählweise (Dinge hinter sich bringen, Stationen abschreiten, Aufgaben
       lösen) und einer Ästhetik der Intensivierung, die ganz nahe an den Figuren
       dran ist, an ihrer Haut, ihrem Schweiß, ihrem unsicheren Blick.
       
       Die Hitze des Tages wird in „Just the Wind“ so gut wie möglich in die
       Textur der Bilder aufgenommen, sie sind vollgesogen mit Atmosphäre, wobei
       eben die Grenzen verschwimmen: Die Unsicherheit der Lebensverhältnisse
       wirkt sich ebenso auf die Grundstimmung aus wie das gleißende Wetter, das
       alle Aufgaben noch schwieriger macht.
       
       ## Eine beklemmende Geschichte
       
       Dazu kommt, dass Fliegauf die lokalen Verhältnisse immer nur in Ansätzen
       erkennbar werden lässt: Wer hier wessen Nachbar ist, wie weit die Wege in
       den nächsten größeren Ort sind, wohin genau die Mutter mit dem Bus zur
       Arbeit fährt, das alles muss man aus Details erschließen, und auch der
       soziale Zusammenhalt in dem Dorf oder die Ausgrenzung der Roma durch die
       ungarischen Mitbürger werden niemals im Sinne eines gesellschaftlichen
       Befunds erkennbar, sondern bleiben strikt an die konkrete Erzählung
       gebunden. „Just the Wind“ ist ein Film mit einem bewusst spezifischen
       Horizont, eine in jeder Hinsicht beklemmende Geschichte, die sich gerade
       deswegen verallgemeinern und übertragen lässt.
       
       Wahrscheinlich wäre Bence Fliegauf besser beraten gewesen, wenn er seine
       Erzählung fünf Minuten vor dem nunmehrigen Ende aufhören hätte lassen. Er
       geht einen Schritt zu weit, beinahe so, als hätte er der Evokation von
       Gefahr und Hass, die ihm den ganzen Film hindurch gut gelungen ist, nicht
       ausreichend getraut. Das Verhältnis zwischen konkreten Vorfällen und
       filmischer Rekonstruktion gerät dadurch ein wenig aus dem Lot. Dabei
       überzeugt „Just the Wind“ doch gerade dadurch, dass es nicht im
       kriminalistischen Sinn um ein rassistisches Verbrechen geht, sondern um
       eine Stimmung, aus der heraus ein solches sich ereignen kann.
       
       Vor wenigen Wochen ging eine Meldung durch die Presse, dass die ungarische
       Justiz mit ihrem Verfahren gegen vier Männer, die 2008 und 2009 mutmaßlich
       sechs Roma getötet haben, nicht vorankommt. Sie sitzen immer noch in
       Untersuchungshaft, ob es zu einem Prozess kommt, ist unklar. „Just the
       Wind“ führt eine überzeugende Nebenklage in einem Verfahren, das weit über
       Belange des Juridischen hinausgeht.
       
       „Just the Wind“. Regie: Bence Fliegauf. Mit Lakos Sárkány, Katalin Toldi u.
       a. Ungarn/Deutschland/Frankreich 2012, 98 Min.
       
       18 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Rebhandl
       
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