# taz.de -- Finale Bayreuth: Die Dönerdämmerung
       
       > Frank Castorfs letzter Teil des Rings: Er möchte gerne die Wall Street
       > abfackeln. Aber er lässt sie dann doch stehen. Das Publikum rast.
       
 (IMG) Bild: Drei Nornen wandern durch das Dickicht der Zitate im Vorspiel der Götterdämmerung.
       
       Am Ende kam Frank Castorf dann doch vor den Vorhang. Die
       Maschinengewehrsalven, mit denen Siegfried am Montag Fafner, den
       Drogenhändler vom Alex, niedergemäht hatte, waren harmlose Knallerbsen
       verglichen mit dem Lärm der Empörung nach der „Götterdämmerung“.
       
       Vor „Siegfried“ hatte die Festspielleitung versichert, dass nach den ihr
       vorliegenden Schallmessungen kein körperlicher Schaden zu befürchten sei.
       Jetzt aber steigerte sich die Festspielgemeinde in dem stickigen, schlecht
       belüfteten Saal in eine Orgie des Schreiens und Pfeifens hinein, die sehr
       wohl körperliche Schäden befürchten ließ.
       
       Und es nahm kein Ende. Stoisch blieb Castorf stehen, den Kopf geneigt, eine
       Hand am Kinn, funkelnde Brille. Ein Standbild des lesenden Arbeiters im
       Weinberg des Geistes, regungslos und ungerührt die ja tatsächlich
       erstaunliche Szene gutbürgerlicher Empörung betrachtend. Schon möglich,
       dass sie demnächst in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz aufgeführt
       wird, und dann von Schauspielern, mit denen Castorf nun mal besser arbeiten
       kann als mit Leuten, die immer nur ihre Noten im Kopf haben, statt sich
       hineinzuschmeißen in das Radikaltheater, in dem er seine Wut über die Welt
       hinauszuschreien pflegt.
       
       ## Ein Sympathisant der Wütenden
       
       Die Wut der Wagnerianer muss ihm prinzipiell sympathisch gewesen sein, und
       ohnehin hatten es Berliner mit diesem neuen Bayreuther „Ring des
       Nibelungen“ etwas leichter als andere. Für sie war es einfach die
       Kombination der Volksbühne mit der Komischen Oper. Natürlich konnte daraus
       nichts für die goldenen Annalen des Festspielhauses werden, das übrigens
       typisch berlinerisch wegen gefährlicher Baumängel eingerüstet ist. Was da
       zusammenkommt, ist vielmehr das garantiert katastrophale Chaos auf der
       Basis eines durch nichts zu erschütternden, bodenständigen Handwerks.
       
       Oben durfte sich Castorf austoben, weil unten Kirill Petrenko
       zusammenhielt, was in seinen monomanischen Obsessionen gar nicht
       zusammenzubringen ist. Petrenko begann seine Laufbahn an der ziemlich
       zerschlissenen Komischen Oper in Berlin und hinterließ dort ein Orchester,
       das noch heute mit dem absurdesten Blödsinn auf der Bühne fertig wird. So
       auch in Bayreuth, und das leicht zu enttäuschende Stammpublikum feierte ihn
       dafür auch am Ende mit einhelligem Applaus.
       
       Ob er damit zu den großen Wagner-Dirigenten aufgestiegen ist, muss dennoch
       bezweifelt werden. Ausgerechnet die „Götterdämmerung“, der musikalisch
       reifste und reichste Teil des Rings, zerfiel ihm in lauter pedantisch
       korrekte Einzelteile, die sich nie zu weiträumigen Spannungsbögen
       zusammenfügten.
       
       ## Der Schauplatz als Deutungsangebot
       
       Berliner Hausmannskost also, und kein großer Wurf der Welterklärung. Aber
       zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen hat Wagner etwas, das seinem Werk
       viel gerechter wird als all die gläubigen Nachbetungen seiner Mythen.
       Castorf lässt vier Stücke spielen, die lose an dem sehr dünnen Faden des
       historisch-materialistischen Märchens vom Ölkrieg hängen.
       
       In Wirklichkeit haben sie damit so wenig zu tun wie Wagners Texte mit der
       Nibelungensage. Es sind Spielvorlagen für Typen aus einer geschlossenen
       Subkultur. Sie reden (und singen) in Wagners Stabreimen daher wie in einem
       szenetypischen Idiolekt. Castorf will daran überhaupt nichts
       interpretieren. Er versucht nur, semantisch dekodierbare Schauplätze zu
       erfinden, in denen diese allesamt ziemlich irren Figuren heute agieren
       könnten.
       
       Für die „Götterdämmerung“ steht die New Yorker Börse von Christo verpackt
       auf der Bühne. Dazu die Buna-Werke mit „Plaste und Elaste aus Schkopau“,
       eine Straße in Harlem, ein Wohnwagen, ein Goggomobil, ein Laden für
       Voodoo-Zauber. Fehlt was? Das Wichtigste: die Döner-Bude, die Hagen, der
       schlimme Sohn des Alberich, aufgemacht hat.
       
       ## Symbole und Zitate
       
       Das ist eine wahre Streubombe von Symbolen und Zitaten, die dann doch nicht
       richtig zündet. Zwar vergießt Brünnhilde einen ganzen Kanister Benzin vor
       der Börse, aber sie lässt kein Streichholz fallen. Sie geht bloß nochmal
       zurück zur Döner-Bude, schenkt den Ring den Rheintöchtern, die vorher den
       Kellner aus dem „Golden Motel“ des Anfangs totgefahren haben. Ende,
       Vorhang.
       
       Die Explosion des Publikums danach war das eigentliche Finale. Es wäre ganz
       falsch, darin nur die Ablehnung einer Regie zu sehen, die in der Tat sehr
       oft nicht überzeugt hat. Castorf hat entweder die Sängerinnen und Sänger
       überfordert, die nicht so intensiv Theater spielen dürfen, wie er das
       verlangt. Oder er hat sie schlicht im Stich gelassen. Dann standen sie halt
       herum und sangen Wagner. Nicht immer so überwältigend gut wie Catherine
       Foster als Brünnhilde, aber auch nicht immer so schlecht wie Lance Ryan als
       Siegfried.
       
       ## Modern in der Konzeption
       
       All diese offensichtlichen Mängel können jedoch die elementare Wucht dieses
       Aufschreis nicht erklären, in der sehr wohl auch Zustimmung steckte. Es war
       die geradezu physische Reaktion auf die Anspannung dieser vier langen
       Abende, in der Wagners Genie zu seiner Überlebensgröße heranwuchs. Er war
       ja kein wirklich großer Musiker, und als Textdichter eine Katastrophe. Aber
       aus beidem entstand eine Form der multimedialen Performance, die noch immer
       überaus modern ist – nicht im Klang oder im Text, aber in ihrer Konzeption.
       
       Sie ist in diesem Jahr in Bayreuth Gestalt geworden, nicht als
       abgeschlossenes Werk, sondern als skandalöses Fragment. Und das Bayreuther
       Publikum hat mitgespielt in einer Art und Weise, die ihrerseits Bewunderung
       verdient. Noch nie habe ich in einer Opernpause Gespräche gehört, in der
       mit so viel Sachkunde Argumente ausgetauscht worden sind, auch Argumente
       für Frank Castorf.
       
       2 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Niklaus Hablützel
       
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