# taz.de -- Debatte Ecuadors Umweltpolitik: Erdöl oder Leben
       
       > Die Initiative Ecuadors, den Regenwald im Yasuní-Nationalpark zu retten,
       > war revolutionär. Spießer wie Entwicklungsminister Niebel haben sie
       > zerstört.
       
 (IMG) Bild: Kinder spielen neben Pipelines: So wie hier im Orellana Gebiet, könnte es bald im Yasuni Nationalpark aussehen.
       
       Die Entscheidung unseres Präsidenten, die Initiative Yasuní-ITT aufzugeben,
       ist sehr traurig. Das Projekt wollte verhindern, dass Erdöl im
       Amazonasgebiet gefördert wird. Für die Kompensation des ökonomischen
       Schadens dieser Umweltmaßnahme allerdings wollte man die internationale
       Gemeinschaft zur Kasse bitten.
       
       Die Initiative ist gescheitert, und Ecuador und die Welt haben eine
       revolutionäre Chance, die CO2-Emissionen zu reduzieren, verspielt.
       Durchgesetzt hat sich Kleinkrämermentalität, die Petrodollars zählt. Von
       vorausdenkenden Staatsmännern weit und breit keine Spur.
       
       Rafael Correa versucht seine Niederlage damit zu rechtfertigen, dass „die
       Welt uns hängen gelassen hat“. Ohne Zweifel trifft die internationale
       Gemeinschaft ein erkleckliches Maß an Schuld. Und doch ist das nur ein Teil
       der Geschichte. Gehen wir also der Reihe nach vor.
       
       Die Initiative Yasuní-ITT erhielt massiven Rückenwind, nachdem der Deutsche
       Bundestag am 5. Juni 2008 beschloss, sie zu unterstützen. Die Regierung
       Merkel allerdings dachte offenbar gar nicht daran, diese von der Mehrheit
       der Parlamentarier gefasste Entscheidung umzusetzen.
       
       In sehr bescheidenem Rahmen finanzierte sie nur einige Konzeptstudien zur
       Initiative mit und gewährte später einige Millionen Euro für
       Umweltprojekte. Aber der entscheidende Beitrag zum Gelingen der Initiative,
       der auch andere Geberländer hätte überzeugen können, blieb aus, obwohl der
       Deutsche Bundestag dafür votiert hatte.
       
       ## Niebels kolonialer Blick auf die Welt
       
       Der Grund für ihre Zurückhaltung heißt Dirk Niebel. Der deutsche
       Entwicklungsminister ist bekanntlich nicht nur Lobbyist der Industrie, der
       FDPler zeichnet sich auch durch eine enorme Spießigkeit aus. Und nicht nur
       das. Er ist ein Mensch mit einem strikt kolonialen Blick auf die Welt.
       Impulse aus dem Süden? Damit kann er nicht umgehen, das stört sein
       Weltbild.
       
       Statt in der Initiative Yasuní-ITT einen zentralen Beitrag zur Reduzierung
       der CO2-Emissionen zu sehen, die die Welt so dringend braucht, glaubte er,
       dass, wenn Ecuador das Erdöl von Yasuní-ITT nicht fördert, eben nur
       anderswo nach Erdöl gebohrt würde.
       
       Niebel versteht nicht, dass sich die globalen CO2-Emissionen nur dann um
       die Hälfte reduzieren lassen, wenn große Mengen an Erdöl, Erdgas und Kohle
       zu unburnable fuels werden. Das heißt zu Energieträgern, die nicht genutzt
       werden können. Wir können die fossilen Energieträger nicht einfach weiter
       in der gewohnten Geschwindigkeit abbauen und verbrennen. Das hat sogar der
       des alternativen Denkens unverdächtige Economist am 4. Mai dieses Jahres
       erkannt.
       
       Und wo genau sollte man die Finger von der Erdölförderung lassen? Genau, in
       Yasuní. Und darüber hinaus auch im Nigerdelta, vor den norwegischen
       Lofoteninseln, Lanzarote und Madidi in Bolivien, genauso wie in San Andrés
       y Providencia in Kolumbien. In Nigeria, Ecuador oder Bolivien übrigens auch
       deshalb, weil hier Menschen unmittelbar bedroht sind. Und generell, weil
       diese Orte einen hohen Wert haben, auch wenn ein Spießer sie nicht
       wertschätzen kann: Biodiversität und landschaftliche Schönheit.
       
       In Frankreich und anderen europäischen Ländern lehnt man aus solchen
       Gründen das Fracking ab. In Indien verzichtet man in Niyambiri Hill in
       Odisha auf den Bauxitabbau, weil dieser Hügel für die Ureinwohner ein
       Heiligtum ist wie der Berg Wirikuta in Mexiko für die dortigen Indigenen.
       Aber Dirk Niebel findet solche Argumente nicht nur nachrangig, er versteht
       sie gar nicht.
       
       Deshalb hat er auch nicht begreifen können, dass die Initivative Yasuní-ITT
       Treibhausgasemissionen reduzieren will, indem sie die bisherige Logik der
       Klimaschutzpolitik über den Haufen wirft. Denn Umweltschutz mit den
       Methoden des Marktes zu betreiben, etwa durch den Kohlenstoffhandel oder
       das REDD-Programm zum Walderhalt, bedeutet, deren negative Folgen für
       indigene Gemeinschaften zu ignorieren.
       
       Solche fiktiven Märkte zu fördern heißt nichts anderes, als Verantwortung
       zu monetarisieren. Der Erhalt des Regenwaldes wird zur Ware, man
       kommerzialisiert und privatisiert die Luft, die Wälder und die Erde.
       
       An die Marktlogik geknüpfte Projekte geben keine Antworten auf die
       wirklichen Gründe des Klimawandels. Und sie verhindern auch die massive
       Ausbeutung von Bodenschätzen für den Weltmarkt nicht. Im Gegenteil, sie
       geben sogar große Anreiz für Gemeinden, die Ausbeutung von Bodenschätzen
       zuzulassen, die sie ansonsten ablehnen würden. Diese aber ist nicht nur für
       die Unterentwicklung verantwortlich, sondern auch für große Teile der
       weltweiten Umweltkrise.
       
       Es ist ein Akt merkantiler Blindheit gegenüber der Dringlichkeit einer
       Wende hin zu einer Post-Erdöl-Zivilisation mit dem Ziel, die Atmosphäre von
       Kohlenstoff zu befreien.
       
       Niebel hat sich in seinem [1][Debattentext] für die taz damals eindeutig
       festgelegt: Er werde kein Projekt unterstützen, das als Modell für weitere
       Forderungen nach präventiven Umweltprojekten dienen könnte. Wenigstens an
       diesem Punkt hatte er offenbar verstanden, dass es bei Yasuní-ITT nicht
       einfach darum ging, Geld einzusammeln, sondern darum, einen tief greifenden
       Veränderungsprozess anzustoßen.
       
       ## Rafael Correa warnte und drohte
       
       Aber auch Ecuadors Präsident Rafael Correa hat die Welt um eine bislang
       einmalige Chance gebracht. Schon im Jahr 2000 hatten wir ein
       Erdölmoratorium im Zentrum und im Süden des ecuadorianischen
       Amazonasgebietes vorgeschlagen. Das fand 2006 Eingang in das Wahl- und dann
       Regierungsprogramm des Bündnisses País, als dessen Kandidat Rafael Correa
       zum Präsidenten gewählt wurde. Kurz zuvor, 2005, hatten die Organisationen
       Oilwatch und Acción Ecológica im Groben das ausgearbeitet, was später die
       Initiative Yasuní-ITT werden sollte.
       
       Als Correa sich dann als Präsident die Initiative auf die Fahnen schrieb,
       war das ein Durchbruch. Auf einmal konnte man den Bestrebungen, das Öl im
       Block ITT (Ishpingo, Tampococha, Titutini) zu fördern, kraftvolle Argumente
       entgegensetzen. Das Schlimme aber war, dass der Präsident nie aufhörte,
       Drohungen zu formulieren, etwa beim großen Gipfeltreffen in Cancún 2010.
       Wenn die internationalen Beiträge nicht in ausreichender Menge fließen
       würden, so sagte er immer wieder, werden man mit den Bohrungen beginnen.
       
       Das hatte den Geschmack von Erpressung, und es gab potenziellen
       Unterstützern keinerlei Sicherheit. Dazu kamen die aggressiven Ausfälle des
       Präsidenten gegen jede Art von Kritik oder Veränderungsvorschlägen.
       
       Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass während der gesamten Laufzeit der
       Initiative ständig Informationen durchsickerten, dass im Nachbarblock 31
       nach Öl gebohrt wurde – was nur rentabel ist, wenn auch in ITT gefördert
       wird. Daher kamen immer mehr Zweifel daran auf, wie überzeugt die Regierung
       wirklich von ihrem eigenen Plan war, das Öl nicht zu fördern. Auch die
       ecuadorianische Regierung unterschätzte die Bedeutung der Initiative, auch
       ihr fehlte eine klare Strategie.
       
       Im Ergebnis erklärte der Präsident die Initiative für beendet, begründete
       das mit dem wenigen eingegangenen Geld und wirft damit die Rechte der
       Umwelt, wie sie in der Verfassung von 2008 festgeschrieben sind, über Bord.
       Es stimmt nicht, dass „die Initiative ihrer Zeit voraus war und nicht
       verstanden wurde“, wie Correa behauptet. In Wirklichkeit ist er selbst es,
       der diesen Vorschlag der ecuadorianischen Gesellschaft nicht verstanden
       hat.
       
       Jetzt steht die Initiative wieder dort, wo sie begonnen hat: ganz am
       Anfang. Vorgeschlagen ist ein Referendum, damit die Bevölkerung über die
       Zukunft Yasunís entscheiden kann. Die Optionen sind klar: Erdöl oder Leben.
       
       Ein kleines Land wie Ecuador hat einen revolutionären Vorschlag zur Rettung
       der Natur gemacht. Die Regierungen der Welt, einschließlich der
       ecuadorianischen, haben das nicht verstanden und ließen das Projekt
       scheitern. Jetzt sind wieder die Bevölkerungen gefragt, auch die
       ecuadorianische, um einen Neuanfang zu wagen.
       
       24 Aug 2013
       
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