# taz.de -- Kriegsfotografie und journalistische Ethik: Im Angesicht des Todes
       
       > Nie war Fotojournalismus in Krisen- und Kriegsgebieten so einfach wie
       > heute. Aber ist es richtig, die grausamen Bilder der Opfer zu zeigen?
       
 (IMG) Bild: Bilder als Argumente: Demonstration mit dem Foto von getöteten Kindern am Freitag in Amman
       
       BERLIN taz | Sie sehen aus, als würden sie schlafen: Etwa 20 kleine Kinder
       liegen auf weißen Fliesen, die Augen geschlossen. Nur die zum Teil an die
       Wand gepressten Gesichter und die seltsame Körperhaltung mancher verrät:
       Die Kinder schlafen nicht. Sie sind tot.
       
       Gerade wegen der Abwesenheit jeglicher Gewaltspuren gehört dieses Foto, das
       die syrische Opposition am Mittwoch verbreitete, zu den beklemmendsten aus
       Syrien in jüngster Zeit. Als eines von vielen Beweisstücken soll es
       Chemiewaffenangriffe durch Regierungstruppen belegen. Der chemische Tod
       hinterlässt wenige Spuren, es gibt kein Blut. Man muss hinschauen und
       begreift allmählich. Und dieses Allmähliche macht den Horror erst recht
       nachdrücklich. Wobei zum Zeitpunkt des Fotografierens das Ereignis vorbei
       ist. Der Fotograf arbeitet in Ruhe.
       
       Eine Woche vorher wurden in Kairo Hunderte Demonstranten von Ägyptens Armee
       massakriert. Der Fotojournalist Mosa’ab Elshamy hielt in Hunderten Bildern
       die Zerstörung des islamistischen Protestcamps in Rabaa al-Adawiya und die
       über 200 Toten, aufgehäuft in der nahen Moschee, fest. Elshamys
       Bilderstrecke ist ein unmittelbares Zeugnis eines sich entfaltenden
       Schreckens. Während er auf den Auslöser drückt, werden um ihn herum
       Menschen erschossen. Viele Bilder sind schwer zu ertragen, aber sie sind
       wertvolle Dokumente.
       
       ## Schöne Bilder können den Krieg verherrlichen
       
       Es gibt allerdings kaum Medien, die solche Fotos veröffentlichen würden,
       obwohl, anders als bei den C-Waffen-Fotos aus Syrien hier keine Zweifel an
       der Quellenlage möglich sind. Entweder sie sind zu grauenhaft – oder sie
       wirken romantisch. Eines der berühmtesten Syrien-Kriegsfotos zeigt eine
       Gruppe von Rebellen in Aleppo just in dem Augenblick, als in ihrer Mitte
       eine Panzergranate einschlägt und sie in Flammen aufgehen. Es ist ein
       wunderschönes Bild. Gerade deshalb kann es kriegsverherrlichend wirken.
       
       Fotografen in einer solchen Situation können sich ihre Motive nicht
       aussuchen. „Man war da, aber nicht wirklich“, erklärte Elshamy jetzt in
       einem Interview der Washington Post. „Man sieht sich selbst in keinem der
       Bilder, die man macht. Man ist fast unsichtbar, denn man muss sich
       schützen, darf sich nicht sehen lassen. Aber am Ende hat man jeden
       Augenblick miterlebt … Mir wurde klar, dass wichtige Ereignisse manchmal
       nur wenige Sekunden dauern. Als Fotograf muss man ständig draufhalten, wir
       nennen es burst mode. Ich habe komplette Sequenzen: Manchmal fängt es damit
       an, dass da jemand steht, aber im sechsten oder siebten Bild hat er eine
       Kugel im Kopf, und es hat alles weniger als eine Sekunde gedauert. Die
       Folgen dieses Augenblicks sind sehr wichtig, und immer öfter geht das
       verloren. Darauf versuche ich mich zu konzentrieren. Ich versuche, so
       wenige Menschen wie möglich zu zeigen: einen Mann mit seinem getöteten
       Freund; eine Mutter, die ihre Tochter betrauert. Wenn eine Person eine
       andere tötet, ist das ein sehr persönlicher Akt.“
       
       Ist es respektlos, solche Bilder zu zeigen? Oder ist es respektlos, sie zu
       verheimlichen? Als Kongos Armee im Juli Stellungen von Rebellen
       bombardierte und dabei Zivilisten traf, veröffentlichten die M23-Rebellen
       Fotos, bei denen sich selbst dem zynischsten Betrachter der Magen umdreht:
       zerfetzte Kinder, deren blutige Eingeweide in den grauen Sand quellen.
       Prompt sagten Gegner der M23, dies beweise die Unmenschlichkeit der
       Rebellen, weil sie die Toten nicht respektierten. Als ob das Foto
       respektloser sei als der Mord.
       
       In lateinamerikanischen Ländern wie Mexiko und Venezuela gibt es wenig
       Skrupel, brutalstmögliche Nahaufnahmen von Mordopfern in den Massenmedien
       zu verbreiten. Dabei geht es meist jedoch nicht um politische Konflikte,
       sondern um die organisierte Kriminalität, deren Bekämpfung weithin
       gutgeheißen wird. Sensationsgeilheit vermischt sich hier mit einem
       gesellschaftlichen Konsens.
       
       ## Es ist schwerer geworden, Massenmorde zu leugnen
       
       Der professionelle Fotojournalismus ist inzwischen durch das Aufkommen
       sogenannter Bürgerjournalisten, die auf sozialen Netzwerken
       veröffentlichen, in die Defensive gedrängt worden. Das ist eigentlich ein
       enormer Fortschritt. Augenzeugen bekommen endlich ein Forum. Es ist viel
       schwerer, Massenmorde zu leugnen, wenn jeder Bilder ins Netz stellen kann.
       
       Nur fällt die explizite Parteinahme, die solchen Veröffentlichungen
       innewohnt, auch auf den vermeintlich neutralen Journalismus zurück. Nach
       jedem neuen Massakerbild aus Syrien behaupten manche, das Foto von den
       Toten sei gestellt. Man trennt nicht mehr zwischen parteilichen und
       neutralen Medien. Fotografen und Journalisten kennen dieses Problem aus
       jeder Kriegssituation, von Bosnien bis Ruanda, von Algerien bis
       Afghanistan. Kaum einem Berichterstatter wird noch geglaubt, dass er ohne
       politische Agenda unterwegs ist.
       
       Die Verbreitung von Fotos zur Dokumentation von Verbrechen ist immer auch
       ein politischer Akt. Doch Fotos zu unterdrücken, weil man sie für
       Kriegspropaganda hält, ist Propagandakrieg.
       
       Viele Kriegsfotografen zahlen für ihre Arbeit mit dem Leben. Viele werden
       mit dem Erlebten nie fertig. „Um dich herum sind Ärzte, Soldaten, Leute,
       die etwas tun, und man selbst macht einfach Fotos. Das kann sehr wehtun,
       wenn man daran denkt“, schilderte das einst im Guardian der Australier Adam
       Ferguson, der für seine Kriegsbilder aus Afghanistan zahlreiche Preise
       gewonnen hat. Diese Preise sind mit am schlimmsten, sagte er. „Die Leute
       gratulieren dir, und man feiert die Tragödie, die ich festgehalten habe.“
       
       Manche gehen daran zugrunde. Eines der berühmtesten Elendsbilder der Welt
       zeigt ein verhungerndes Kleinkind im Südsudan, das sich im Sand krümmt,
       während hinter ihm schon ein Geier wartet. Der Südafrikaner Kevin Carter
       bekam dafür 1994 den Pulitzerpreis.
       
       Aber er erntete auch Kritik: Er sei nicht besser als der Geier, hieß es.
       Drei Monate nach der Preisverleihung brachte er sich um. Reporter fanden
       später heraus, dass das Kind am Rande eines Notaufnahmelagers saß und seine
       Familie gerade zu essen holte. Es blieb am Leben.
       
       25 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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