# taz.de -- Kommentar Deutsche Syrienpolitik: Nichtstun? Oder lieber nichts tun?
       
       > Die nicht stattfindende Chemiewaffendiskussion im Bundestagswahlkampf
       > zeigt, wie zynisch die deutsche Politik Verantwortung ausblendet.
       
 (IMG) Bild: Kanzlermaschine (links) auf dem Rückflug vom G-20-Gipfel
       
       Am vergangenen Freitag verweigerte Deutschland beim G-20-Gipfel in St.
       Petersburg seine Unterschrift unter eine Erklärung, die den Einsatz von
       Chemiewaffen in Syrien verurteilte, Assad verantwortlich machte und
       forderte, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. So etwas zwei Wochen vor
       der Bundestagswahl kann nur eines bedeuten: Die Bundesregierung hält es für
       wahlkampftaktisch geboten, den Einsatz geächteter Massenvernichtungswaffen
       gegen Zivilisten möglichst nicht zu kommentieren.
       
       Das ist Deutschland im Jahre 2013: Alle im Bundestag vertretenen Parteien
       sind gegen einen Militärschlag in Syrien. Und Politik und Medien fördern
       mehrheitlich den Eindruck, es sei gar nicht erwiesen, dass am 21. August
       überhaupt Chemiewaffen in Syrien zum Einsatz kamen.
       
       Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Mit Waffensystemen, über die nur
       Syriens Regierungsarmee verfügt, wurde aus Regierungsgebiet auf
       Rebellengebiet gefeuert. Unzählige Menschen starben in den nächsten
       Stunden, viele Todesfälle wurden im Bild festgehalten mit eindeutigen
       Symptomen. Die syrische Regierung dementierte erst jeden Einsatz und ließ
       das Zielgebiet großflächig bombardieren, bevor sie schließlich drei
       UN-Inspektoren hineinließ, denen auf Betreiben Russlands zuvor die Befugnis
       zur Täterermittlung aus dem Mandat gestrichen worden war. Der Einsatz
       entspricht dem klassischen Imponierreflex von Gewaltherrschern: Je stärker
       man ist, desto mehr Stärke zeigt man.
       
       Aber in Deutschland werden alle vorliegenden Schilderungen als „nicht
       überprüfbar“ angezweifelt. Dokumentarische Beweise werden der
       Öffentlichkeit vorenthalten oder höchstens in harmlosen, unkenntlich
       gemachten Ausschnitten gezeigt. „Respekt vor den Opfern“ nennt man das –
       eine zutiefst zynische und bedenkliche Haltung in einem Land, das einst die
       industrielle Massenvergasung erfand und in dem danach das verordnete
       Betrachten von Fotos von KZ-Opfern zur Entnazifizierung gehörte.
       
       Es ist ja nicht so, als ob Syrien mit Deutschland nichts zu tun hätte.
       Syriens herrschende Baath-Partei entstand einst nach NS-Vorbild.
       Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Sicherheit des Nachbarlandes Israel
       zur „Staatsräson“ erklärt. Saudi-Arabien ist einer der wichtigsten Abnehmer
       deutscher Waffen und zugleich einer der wichtigsten Waffenlieferanten
       syrischer Rebellen. Die Türkei mit Millionen Staatsbürgern in Deutschland
       ist direkt vom Syrienkonflikt betroffen. Russland ist Assads engster
       Freund, und zugleich ist Berlin Moskaus wichtigster Partner in Europa.
       
       Aber in Deutschland ist es heutzutage salonfähig, die Abwesenheit von Moral
       in der Politik für eine Tugend zu halten. „Besonnenheit“ nennt man das.
       Vermutlich hielt sich Angela Merkel für besonnen, als sie in St. Petersburg
       ihre Unterschrift verweigerte. Einen Tag später unterschrieb die
       Bundesregierung doch – unter Verweis auf die EU. An inhaltlichen Bedenken
       kann es nicht gelegen haben.
       
       Wen soll man wählen, wenn man sich damit nicht abfindet? CDU/CSU und FDP,
       die sich 2011 dem Schutz der Libyer verweigerten und die 2013 zu Syrien
       mahnen, man müsse „abwarten“? Die SPD, deren letzter Kanzler Putin als
       „lupenreinen Demokraten“ lobte und deren Spitzenkandidat jetzt zugibt, ihm
       falle zu einer Lösung in Syrien nichts ein? Die Linken, die sich schützend
       vor alle US-Feinde werfen und Völkerrecht mit Vetorecht verwechseln? Die
       Grünen, die ihre Vordenker des humanitären Interventionismus in die Wüste
       geschickt haben und sich von „Nie wieder Auschwitz“ auf „Veggieday“
       zurückziehen?
       
       Die Deutschen haben die Wahl.
       
       10 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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