# taz.de -- „Goldene Zitronen“ über neues Album: Erst die Musik, dann der Text
       
       > Die Goldenen Zitronen wuseln mit ihren Texten auf vielen kleinen
       > Baustellen. Ein Streitgespräch über böse Investoren, Mittelstands-Warhols
       > und Punk-Gesten.
       
 (IMG) Bild: Die Goldenen Zitronen mit pappigem Enno Palluca.
       
       sonntaz: Ihr neues Album heißt „Who’s bad“. Wer ist böse? 
       
       Schorsch Kamerun: Wir lassen die Frage offen. Vielleicht ist sie
       selbstironisch gemeint. Außerdem ist sie eine Referenz an Michael Jacksons
       „Bad“.
       
       Ted Gaier: Was denken Sie, wer die Bösen sind?
       
       Im Englischen kann „bad“ auch „geil“ bedeuten. Sie halten es also in der
       Schwebe. 
       
       Kamerun: Ist das Geile vielleicht das Böse?
       
       Gaier: Sind wir selbst das Böse?
       
       Mense Reents: Weil wir so geil sind?
       
       Gaier: Oder, weil wir böse Moralisten sind?
       
       Am Ende Ihres Albums singt die Wiener Musikerin Gustav: „Wer hier dabei
       ist, kann nicht nur dafür sein.“ Für was? 
       
       Gaier: Man könnte meinen, dass dies Bekenntnis erfordert von unseren
       Hörern. Wenn Sie uns gut finden …
       
       Kamerun: Ich dachte dabei eher an den US-Künstler Chris Korda und seine
       „Church of Euthanasia“. In dem Sinne, dass man für das jeweilige
       Windmachen, egal wie es ausfällt, gar nicht sein kann.
       
       Ihre Texte sind voller Aufzählungen. Es beginnt im Auftaktsong
       „Scheinwerfer und Lautsprecher“, der von Botschaften, Transportern und
       Slogans handelt. 
       
       Kamerun: Der Erzähler spaziert durch etwas hindurch. Die Aufzählung ist im
       Brinkmann’schen Sinne und prasselt nur so auf ihn ein. Auch der Sound
       prasselt nur so auf ihn ein. Es geht darum, ob man es schafft, dagegen
       anzugehen, die Message umzudrehen.
       
       In Ihrem Song „Unter der Fuchtel“ zählen Sie neurotische Störungen auf.
       
       Gaier: Die habe ich dem psychologischen Lexikon meines Vaters entnommen.
       
       Ihre Sprache fühlt sich an, wie saurer Regen. Was haben Sie an Sprache
       auszusetzen? 
       
       Gaier: Was fahren Sie denn gerade für einen Film?
       
       Ich spreche hier von Ihren Texten. 
       
       Kamerun: Wir haben große Freude an der Sprache. Es gibt sie, damit man all
       die Dinge benennen kann.
       
       Sie arbeiten ihre unangenehmen Seiten geradezu lustvoll heraus. 
       
       Kamerun: Es ist doch wundervoll, was Sprache alles kann. Man weiß seit
       Walter Benjamin, dass Sprache letzten Endes auch unangenehm und ungenau
       ist. Saurer Regen beschreibt das ganz gut.
       
       „Der Recherche-Shaker“ aus Ihrem Song „Ich verblühe“. Begriffe wie dieser
       riechen nach kapitalistischen Lösungsorientierungen. Ich nehme an,
       absichtlich. 
       
       Kamerun: Wir sind Nutznießer der Vielseitigkeit und Komplexität von
       Sprache. Das macht uns aus.
       
       Aber machen Sie es sich im Todesstreifen der Marketingsprache nicht zu
       bequem? Und wo bleiben Ihre Befindlichkeiten? 
       
       Gaier: „Unter der Fuchtel“ hat mit eigener Befindlichkeit zu tun. Das muss
       man psychoanalytisch lesen.
       
       Ihr Album „Lenin“ implizierte schon im Titel ein großes Projekt. „Who’s
       Bad“ wuselt dagegen auf vielen kleinen Baustellen. Hier der böse Investor,
       da ein „mittelständischer Warhol“. 
       
       Gaier: Der mittelständische Warhol aus dem Song „Ich verblühe“ könnte in
       uns selbst drinstecken.
       
       Kamerun: Der Investor ist dagegen wirklich ein Bösewicht.
       
       Ihr Song „Echohäuser“ beschreibt Vorkommnisse um umkämpfte Wohnblocks auf
       Sankt Pauli.
       
       Gaier: Da spricht auch schon wieder eine adornitische Skepsis aus dieser
       Bemerkung.
       
       Jetzt schmeicheln Sie mir. 
       
       Gaier: Diese neue kritische Linke, für die ist alles verdächtig, was
       identitär ist.
       
       Ihre Parteilichkeit kommt in dem Song etwas platt rüber.
       
       Kamerun: In den vier Jahren, in denen ich in München gewohnt habe,
       beschlich mich konstant das Gefühl, dass ich an nichts aktiv teilnehme, was
       passierte. Wobei es dort ja auch Proteste gegen Gentrifizierung gibt. In
       Hamburg kämpft man noch selbst. Und das impliziert dann auch solche Songs
       und das in ihnen zum Ausdruck gebrachte Recht auf Teilhabe. Ob Essohäuser
       oder Pudel-Club, wir werden hier nicht nachlassen und diese auch nicht
       hergeben.
       
       Gaier: Im Falle der Essohäuser geht es um alte Kiezianer, die dort wohnen
       bleiben sollen. Ich arbeite dort in einer Bürgerinitiative. Da gibt es den
       kanakischen Sozialarbeiter, der nicht versteht, warum seine Kollegen immer
       von „MieterInnen“ reden. Da wohnen auch pensionierte Seefahrer. Das ist
       kein linkes Ghetto. Man setzt sich da mit vielen Widersprüchen auseinander.
       Ich kämpfe nicht für mich, sondern für meine Nachbarn, egal wie dick die
       Brieftasche ist. Die Idee war, wie beim „Rauchhaus-Song“ der Scherben,
       einen realen Kampf zum Anlass zu nehmen, um einen Song zu schreiben, der
       für andere Kämpfe Mut macht. In Süddeutschland beruft man sich noch heute
       als Hausbesetzer auf den „Rauchhaus-Song“, ohne genau zu wissen, warum. Es
       geht eher um den Spirit.
       
       Beschreiben Sie bitte das Idealbild der Stadt, in der Sie leben wollen? 
       
       Reents: Sie ist auf alle Fälle heterogen.
       
       Gaier: Urbanität ist verdichtete Unterschiedlichkeit. Wir müssen dafür
       Sorge tragen, dies zu erhalten. Ein Kiez hat hohe Fluktuation. Es heißt ja,
       wir wollen etwas erhalten, was sich schon längst verändert hat. Aber es
       geht darum, ob Veränderung okay ist. Sankt Pauli war nie für Investoren
       interessant, sondern für Kleinkriminelle und Menschen mit einem Verständnis
       für Subkultur, etwa die Betreiber des Musikclubs Molotov. Wenn ein Investor
       ganze Wohnblocks plattmacht, droht Times-Squareisierung. Kreative und
       Prolls machen den Stadtteil lebenswert, nicht die jungen Kleinfamilien. Für
       eine lebenswerte Stadt müssen alle Bewohner befragt werden, was ihre
       Bedürfnisse sind. Wohnraum ist keine Ware.
       
       Warum zählen Sie in dem Song „Europa“ dann Industriegebiete und
       Fußgängerzonen auf? Sehnsucht nach gestern? 
       
       Gaier: New-Wave-Romantik muss erlaubt sein, so wie bei „Zurück zum Beton“
       von S.Y.P.H.
       
       Auch der Wumms in dem Song „Der Investor“ ist an diese Romantik angelehnt. 
       
       Gaier: Kann es sein, dass Sie uns eine gewisse Überlegenheitsgeste
       unterstellen, die Sie in der Musik wähnen?
       
       Nein, so höre ich Musik gar nicht. Sie machen es Ihren Hörern diesmal aber
       schwer, Musik und Texte in eins zu setzen. Für „Unter der Fuchtel“ haben
       Sie ein nervöses Lennie-Tristano-Piano als Begleitung gewählt, das
       funktioniert. 
       
       Gaier: Das sind eher Piano-Cluster.
       
       Reents: Wer ist Lennie Tristano?
       
       Gaier: Ach, das ist so ein Latinjazzer.
       
       Nein, es ist einer der Begründer des Freejazz. 
       
       Kamerun: Wir machen immer zuerst Musik. Und dann bauen wir sie mit Texten
       aus.
       
       Die Neurosen sind also eine Entsprechung des Piano-Clusters? 
       
       Kamerun: Manchmal habe ich die Aufgabe, das vorherrschende Gefühl zu
       unterstützen oder zu konterkarieren. Das Ganze noch weiter zu treiben.
       „Unter der Fuchtel“ empfinde ich als sehr konstruiert. Manchmal wirken Ted
       Gaiers Parts auch wie angeklebt.
       
       Gaier: Wir sind zwei Bands: Eine instrumentale Krautrockversion und eine
       textlastige Version mit einem sehr speziellen Sänger, der sehr speziell
       singt. Es ist ein ewiger Kampf, die Balance zu halten.
       
       Auf dem Waschzettel behauptet Jochen Distelmeyer, Goldene Zitronen seien
       eine Schnittmenge aus „Can, DAF und RAF“. 
       
       Gaier: Das hat uns Diedrich Diederichsen vorgeworfen, dass wir mit dem
       größtmöglichen Radikalen als Lösung kokettieren würden. Wobei, es stimmt ja
       nicht. An Can ist aber was dran.
       
       Can studierten bei Stockhausen, Sie kommen aus dem Punk. Eine Szene, deren
       Gewalttätigkeit Sie im Song „Rittergefühle“ thematisieren. 
       
       Gaier: Punk ist eine Imitation von Krieg, hat Joe Strummer gesagt. Auch wir
       haben gerne mit den Symbolen von Militarismus gearbeitet, um die Hippies zu
       ärgern. Bei vielen Leuten ist eine Haltung daraus geworden. Punker sagen zu
       den Schlaffis im Geiste: Hast du überhaupt gedient?
       
       Kamerun: Ich kann das Stück nicht gutheißen, ohne auch mich selbst dabei
       mitzudenken. Das ist ganz wichtig. Diese Ritterlichkeit liegt auch im
       eigenen Versuch.
       
       In den Achtzigern trugen Sie Fußballschuhe. Das Gegenteil von
       Punk-Klischee. 
       
       Gaier: Und Damenplastikblusen mit Schlafanzughosen. Es war ein Reflex, dass
       die Maskerade mit Nietengürteln und Lederjacken nicht mehr hinhaute.
       
       Kamerun: „Rittergefühle“ geht um Verbandelungen, die sich weiter im
       Geschäft halten. Das ist ein Elend. Sich dem überlegen zu fühlen aber auch.
       
       Damals gehörten Sie nicht zum gegenkulturellen Establishment. Und heute? 
       
       Kamerun: Ich kenne das Gefühl gar nicht, dass ich meinen Platz gefunden
       habe. Ich habe immer das Gefühl, dass ich neu anfangen sollte. Ausruhen
       funktioniert bei mir nicht.
       
       15 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
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