# taz.de -- Rückkauf des Privatisierten: Das große Wir-Gefühl
       
       > Am 22. 9. entscheiden die HamburgerInnen auch über den Rückkauf der
       > Energienetze: Damit erreicht der Trend zur Rekommunalisierung einen neuen
       > Höhepunkt.
       
 (IMG) Bild: "Wahlsiegerbesieger": im Juni 2011 sagt die frisch gegründete Initiative dem neu gewählten Hamburger SPD-Senat den Kampf an
       
       Was ist denn nun richtig? Soll Hamburg seine Energienetze von den Konzernen
       zurückkaufen, wie es die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ fordert?
       Oder genügt eine Minderheitsbeteiligung, wie sie der SPD-Senat eilends
       erworben hat, um der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen?
       
       Dass diese Frage so schwer zu beantworten ist, liegt auch daran, dass in
       diesem Streit keiner mit offenen Karten spielen kann.
       
       Die Initiative argumentiert, wenn Hamburg die Netze besäße, könnte es die
       Energiewende effektiver forcieren, die Fernwärme billiger machen – und
       nicht zuletzt sei der Rückkauf für die Stadt ein gutes Geschäft. In der Tat
       sind fast alle Rekommunalisierungen Erfolgsgeschichten. Die Energiewende
       dagegen ließe sich mit Investitionen in die Erzeugung effektiver
       voranbringen als mit dem Eigentum an den Netzen. Nur bei der Fernwärme
       handelt es sich um regionale Monopole. Wer das Netz besitzt, kann
       entscheiden, welche Wärme eingespeist wird – und die Preise diktieren. Vor
       allem hier winken deshalb enorme Gewinne, aus denen man die Kaufkredite
       bedienen könnte – oder die Preise senken.
       
       Die Aussicht auf ein bisschen ökologischere oder billigere Fernwärme soll
       also Tausende Hamburger zu einer Bewegung motiviert haben, deren Ziele 58
       Prozent der Bevölkerung gutheißen, wie eine Studie der Universität Hamburg
       im Juni ergab? Nein. Unterschwellig geht es um etwas ganz anderes. Der
       Volksentscheid ist ein Referendum über den Vattenfall-Konzern. Die
       Netzrückkauf-Aktivisten wollen die Schweden aus der Stadt jagen. Das
       versuchen viele von ihnen schon seit Jahren mit Kampagnen wie „Vattenfall
       Tschüss sagen“ – mit mäßigem Erfolg. Die Netze gelten nun als Schlüssel zum
       Erfolg: Niemand hat es bisher beweisen können, aber viele vermuten, dass
       Vattenfall die Anschlussdaten seiner Netzgesellschaft missbraucht, um
       Stromkunden zu gewinnen. Ohne sie würde der Stromversorger sich wesentlich
       schwerer tun, Ersatz für die Stromwechsler zu finden, die man ihm mühselig
       abspenstig gemacht hat.
       
       Woher der Hass gegen Vattenfall? Der Sündenfall des schwedischen
       Staatskonzerns ist, dass er beim Kauf der Hamburgischen Electricitäts-Werke
       von der Stadt auch Atomkraftwerke miterworben hat. Schlimmer hat das
       Unternehmen alles noch gemacht, als es die Zeichen der Energiewende so
       gründlich verkannt hat, dass es in Hamburg-Moorburg einen
       Kohlekraft-Dinosaurier baut. Dass Vattenfall längst auch bei der
       Offshore-Windenergie ein großer Player ist, interessiert in Hamburg
       niemanden.
       
       Der Strommulti ist nicht der einzige prominente Gegner der
       Netzrückkauf-Aktivisten: Ihre Kampagne richtet sich auch gegen die
       Hamburger SPD. Sie bekommt nicht nur die Quittung dafür, dass sie sich
       einst dem Zeitgeist ergeben und ihre Stadtwerke verscherbelt hat. In dieser
       Frage lässt sich auch Unmut mobilisieren über den demokratischen
       Absolutismus, mit dem Olaf Scholz knallhart durchregiert. Ein Sieg in der
       Netzfrage wäre auch ein Sieg gegen die Obrigkeit an sich. Wir da unten
       gegen die da oben. Unser Netz, gegen deren Willen zurückgeholt.
       
       Zumal die SPD ihr Schicksal eng an das von Vattenfall geknüpft hat: Scholz
       hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er einen kompletten Netzrückkauf
       für Irrsinn hält. Und seit Hamburg ein Viertel der Netze erworben hat,
       lässt Vattenfall keine Gelegenheit aus, sich als „starker Partner der
       Stadt“ in Szene zu setzen.
       
       Dabei kann auch die SPD nicht offen argumentieren: Ihr offizielles
       Argument, ein Rückkauf sei zu teuer, ist nicht überzeugend – den Krediten
       stünden ja Werte gegenüber, im Haushalt würde der Kauf gar nicht auftauchen
       und die Refinanzierung über Durchleitungsgebühren scheint plausibel.
       
       Aber mit einem Netzrückkauf würde die in dieser Frage intern durchaus
       zerstrittene SPD einräumen, dass ihr in den 90er-Jahren
       ursozialdemokratische Werte wie jener der öffentlichen Daseinsvorsorge
       abhanden gekommen sind. Aktuell fürchtet sie, dass Vattenfall sich ganz aus
       Hamburg zurückziehen und seinen Besitz an unberechenbare Investoren
       verkaufen könnte. Und nicht zuletzt macht sich der Senat Sorgen um den
       Investitionsstandort, wenn sich weltweit herumspricht, dass das Volk in der
       Hamburger Industriepolitik mitmischt. Alles Argumente, die, öffentlich
       ausgesprochen, den Eifer der Rekommunalisierungs-Fans noch befeuern würden.
       
       Lässt man alle Schein- und Hilfsargumente beiseite, reduziert sich die
       Frage Rückkauf oder nicht auf einen ideologischen Kern: Soll (und kann) der
       Staat Unternehmer sein oder nicht? Man könnte sagen: Wo, wenn nicht mit
       einem Monopol mit garantierten Renditen auf einem extrem regulierten
       Sektor? Die SPD kann schwerlich ordnungspolitisch mit der reinen Marktlehre
       argumentieren – wegen ihrer Tradition nicht. Und schon gar nicht, nachdem
       sie vor wenigen Jahren weitere Anteile an der Hapag-Lloyd-Reederei gekauft
       hat – in einer extrem volatilen Branche und mitten in der größten
       Schifffahrtskrise der letzten Jahrzehnte. Vielleicht können die Gewinne aus
       den Netzen ja irgendwann die Verluste der Reederei decken.
       
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       14 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Kahlcke
       
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