# taz.de -- Die Wahrheit: Die Seele Adolf Hitlers
       
       > Moderne Esoterik: Wie der Heiler Colin Tipping die Weltgeschichte
       > umschreibt.
       
 (IMG) Bild: Im Angebot: Hakenkreuz.
       
       Colin Tipping ist ein liebenswürdiger Mann. Im amerikanischen Atlanta hat
       er ein „ganzheitliches Heilzentrum für Krebskranke“ gegründet. Er arbeitet
       als Hypnotherapeut und schreibt Bücher, die uns dabei helfen sollen, die
       Opferrolle zu verlassen und allen Menschen zu vergeben, von denen wir
       glauben, dass sie uns etwas Böses angetan hätten.
       
       Im Jahr 2012 erschien im Bielefelder Verlag J. Kamphausen die zwölfte
       Auflage der deutschen Übersetzung seines Hauptwerks: „Ich vergebe. Der
       radikale Abschied vom Opferdasein“. Darin spricht Tipping die Empfehlung
       aus, die Schuld für Schicksalsschläge, Kümmernisse und Blamagen nicht mehr
       in der Außenwelt zu suchen, sondern die volle Verantwortung für das eigene
       Leben zu übernehmen und auch feindselige Akte als notwendige Belehrung
       willkommen zu heißen und dankbar dafür zu sein.
       
       Dahinter steht der esoterische Grundgedanke, dass nichts zufällig geschehe.
       Jedem Menschen widerfahre genau das, was er zu seinem Wachstum brauche, und
       wenn er dabei sterbe, könne er im nächsten Leben Nutzen aus dieser
       Erfahrung ziehen.
       
       An und für sich wäre es ja zu begrüßen, wenn diese Heilslehre zu einer
       drastischen Verringerung des Selbstmitleids, der Griesgrämigkeit und des
       Rachedurstes führte. Bornierte Übelnehmer, die andere für ihr
       selbstverschuldetes Unglück verantwortlich machen, gibt es schon mehr als
       genug.
       
       Heilen möchte Tipping aber nicht nur Individuen. Er will ganze Völker
       missionieren. „Wie bei allen Missionen“, schreibt er, „sieht es jedoch auch
       hier nicht nach einer Chance zur Heilung aus. Es erscheint vielmehr als
       Krieg, Hungersnot oder Naturkatastrophe. Doch wenn wir uns für die
       Möglichkeit öffnen, dass eine ganze Gruppe die Chance zur Heilung hat und
       alles vom göttlichen Geist für das Wohl der beteiligten Seelen arrangiert
       wurde, beginnen wir die Dinge anders zu sehen.“ Nämlich beispielsweise so:
       „Stellen Sie sich vor, dass die Seele, die Prinzessin Diana war, genau auf
       diese Weise zu sterben wählte, wie sie es tat, um das Herz-Chakra Englands
       zu öffnen.“
       
       ## Die Prinzessin zur Tode gehetzt
       
       Schade nur, dass die Engländer nach der Öffnung ihres Herz-Chakras durch
       den Opfertod der Prinzessin immer noch millionenfach die Drecksblätter des
       Verlegers Murdoch kauften, dessen Paparazzi die Prinzessin zu Tode gehetzt
       hatten. Als Geschichtsklitterer holt Tipping aber noch weiter aus: „Nehmen
       Sie an, die Seele, die inkarnierte, um Adolf Hitler zu werden, kam mit der
       Mission, das Opferbewusstsein des jüdischen Volkes und den
       Überlegenheitskomplex der Deutschen zu heilen.“
       
       Weshalb sollte man das annehmen? Wenn die in Hitler inkarnierte Seele
       herabgekommen wäre, um den Überlegenheitskomplex der Deutschen zu heilen,
       hätte sie es auch gescheiter anstellen können als durch die Errichtung
       einer Diktatur und die Entfesselung eines Weltkriegs mit dem Ziel, ein
       Großdeutsches Reich als Weltmacht zu etablieren. Unter Esoterikern mag das
       strittig sein, doch es ist belanglos, wie Spökenkieker die Zeitgeschichte
       interpretieren.
       
       Zum öffentlichen Skandal reift diese Sache erst dadurch heran, dass Colin
       Tipping die Judenvernichtung als eine psychotherapeutisch gebotene
       Heilmaßnahme deutet – als eine „Mission“, die Adolf Hitlers Seele
       ausgeführt habe, um die Juden von ihrem „Opferbewusstsein“ zu kurieren.
       
       Nach Tipping wäre es jetzt an der Zeit, dass sich die Juden bei den Nazis
       für die in Auschwitz erwiesenen Dienste bedankten. Denn auch dort wurde ja
       sicherlich alles vom göttlichen Geist für das Wohl der beteiligten Seelen
       arrangiert, von der Selektion an der Rampe bis zur Fledderung der Leichen
       in der Gaskammer und der Verteilung des Raubguts unter den Mördern.
       
       Adolf Hitler als gute Seele und die Vernichtungslager als Heilanstalten für
       das jüdische Volk: Kann es einen noch obszöneren Gedanken geben? Und schämt
       man sich in Tippings deutschem Verlag für überhaupt nichts mehr?
       
       17 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gerhard Henschel
       
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