# taz.de -- Ein Festival von Breitbildfilmen: Sandale und Saufgelage
       
       > Filmgeschichte, durch den Filter der Technik wahrgenommen: Das gab es
       > beim Todd-AO-Festival in Karlsruhe, das 70mm-Kopien vorführte.
       
 (IMG) Bild: Extrabreit: Im Karlsruher Schuburg-Kino läuft „Lord Jim“ (1965), ein Abenteuerfilm von Richard Brooks.
       
       Als das Todd-AO-Festival im Karlsruher Kino Schauburg vor neun Jahren zum
       ersten Mal stattfand, befand sich die Digitalisierung des Kinos noch in
       ihrer Frühphase: Zwar war elektronische Technik in fast allen
       Arbeitsschritten der Filmproduktion schon weit verbreitet, in den Kinos
       selbst wurde jedoch fast durchweg noch analog, von Filmrollen projiziert.
       
       Diesen Herbst haben die großen Kinoketten ihre analogen Projektoren
       endgültig stillgelegt, erstmals gehen fast alle regulären Kinovorführungen
       von Festplatte oder Disc vonstatten; unter diesen Voraussetzungen gewinnt
       das Liebhaberfestival, das sich dem klassischen Zelluloidfilm – und dann
       auch noch einer besonders eindrucksvollen Spielart des Zelluloidfilms –
       verschrieben hat, einen ganz eigenen Reiz, schon, weil viele Filmkopien,
       die in Karlsruhe vorgeführt werden, bei dieser Gelegenheit zum letzten Mal
       überhaupt einen Projektor durchlaufen dürften.
       
       Das Kriterium, nach dem das Festival sein (überschaubares, angenehm locker
       über drei Tage verteiltes) Programm auswählt, ist tatsächlich ein rein
       technisches: In Karlsruhe werden nur Filme gezeigt, die historisch von
       70mm-Kopien, einer von den Fünfzigern bis in die Achtzigerjahre
       verbreiteten Breitbildtechnik, aufgeführt wurden.
       
       ## Unübertroffen im Detailreichtum
       
       Nicht alle, aber die meisten dieser Filme wurden auch auf 70mm gedreht – in
       einem Verfahren, das bis heute nicht übertroffen wurde, was Detailreichtum,
       Schärfe und Farbstärke angeht (zumindest in der Theorie – die meisten
       Kopien sind inzwischen ausgeblichen), weder von analogen noch von digitalen
       Techniken. Und das in dem technisch ausgezeichnet ausgestatteten Kinosaal
       in Karlsruhe besonders brillant zur Geltung kommt.
       
       Wie die 70mm-Projektoren selbst ist das Festival erst einmal (fast)
       indifferent gegenüber der ästhetischen und thematischen Eigenheiten der
       Filme, die auf ihm projiziert werden. Man mag das für bloße Willkür halten,
       in gewisser Weise hat aber gerade diese partielle Blindheit einen eigenen
       Reiz:
       
       Wo Filmgeschichte andernorts über einzelne Regisseure, wichtige
       Nationalkinematografien, Genres, Strömungen und so weiter vorgeordnet und
       meist unreflektierten kulturellen Hierarchisierungen unterworfen wird,
       steht in Karlsruhe ein anerkannter Klassiker wie Stanley Kubricks in 70mm
       gleich noch einmal deutlich wuchtigere Sandalenfilm „Spartacus“ neben einer
       Obskurität wie „Du bist min“, einem komplett vergessenen
       singulär-megalomanischen Dokumentar-Prestigefilm aus der DDR, der mit
       einigem Pathos die Vorzüge des kleineren der beiden deutschen Staaten
       entlang der Biografie einer Deutschlehrerin nacherzählt.
       
       Als Film nur bedingt erträglich, als ideologiehistorisches Dokument
       einzigartig. Solche Konfrontationen finden sich im Programm nicht, weil
       jemand sie besonders interessant gefunden hätte, sondern einfach nur, weil
       von beiden Filmen im selben Jahr 70mm-Kopien auffindbar waren.
       
       ## Mit infernalischer Konsequenz
       
       Die Filmgeschichte einmal komplett durch den Filter der Technik
       wahrzunehmen, verschafft einem überraschende Begegnungen, denen man sich
       ansonsten eher nicht aussetzen würde: Andrew L. Stones „The Great Waltz“,
       ein aufwändig produziertes und reichlich zähes Johann-Strauß-Biopic, wollte
       1972, in der Hochphase von New Hollywood, einerseits zurecht kaum einer
       sehen.
       
       Andererseits kann man heute mit dem in Details ziemlich bizarren Film, der
       auf ein Saufgelage in einem Weinkeller zuläuft, bei dem der „Zwang zur
       Lebensfreude“, den der Voice-Over-Sprecher eingangs fordert, in
       infernalischer Konsequenz durchexerziert wird, durchaus seinen Spaß haben –
       was man da sieht, ist das klassische Hollywoodkino in seinen allerletzten
       Zuckungen, den Gnadenschuss regelrecht herbeisehnend.
       
       Glücklicherweise lassen sich die meisten Filme des Programms auf
       unkompliziertere Art und Weise genießen. Ein Höhepunkt des diesjährigen
       Festivals war „Goya – oder Der arge Weg der Erkenntnis“ von Konrad Wolf,
       eine weitere Produktion aus der DDR, wo in den 1960er-Jahren eine eigene
       70mm-Technik entwickelt wurde – das weltweit erst dritte System nach dem
       amerikanischen und dem sowjetrussischen.
       
       ## Ein Auftragsmaler am spanischen Hof
       
       „Goya“ ist weit entfernt von der ausstattungsintensiven Schwerfälligkeit,
       die man bei einem solchen Projekt erwarten könnte. Wolfs Film bricht seine
       von Anfang an lose Dramaturgie immer weiter auf, irgendwann landet man gar
       in einem delirierenden Acid-Western. Statt die lineare Genese eines Genies
       nachzuzeichnen, löst „Goya“ die Biografie des spanischen Künstlers in
       kurzen, dynamischen Szenen auf, die sich nie zu einem kohärenten
       Psychogramm zusammensetzen; ganz im Gegenteil: Zu Beginn, als Auftragsmaler
       am spanischen Hof, scheint die Hauptfigur saturiert und mit sich selbst
       glücklich.
       
       Die Störungen kommen von außen, von der Welt; zum genuinen Künstlersubjekt,
       zu einem Maler, der mit den Konventionen der Repräsentationskunst seiner
       Zeit bricht, kann Goya nur werden, indem er die sichere Rückzugsposition
       einer mit sich selbst identischen Subjektivität aufgibt. Am Ende steht das
       Porträt einer in ihrem Innern schizophrenen Gesellschaft, das in den
       grandios scharfen 70mm-Bildern umso exaltierter schillert.
       
       26 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lukas Foerster
       
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