# taz.de -- Film Festival Hong Kong: Eine hübsche und mutige Queen
       
       > Beim Internationalen Film Festival ist der Niedergang der Filmindustrie
       > in Hongkong zu spüren. Im Programm steckt trotzdem cinephiler
       > Enthusiasmus.
       
 (IMG) Bild: Teppichgeflüster: der Hauptdarsteller des Films „Ip Man: The Final Fight“ Anthony Wong und seine Kollegin Zhou Chu Chu in Hongkong.
       
       In seinem erstaunlichen Grußwort schreibt Li Cheuk-to, der künstlerische
       Leiter des [1][Hong Kong International Film Festival], mit Blick auf die
       fortschreitende Kommerzialisierung und den technischen Wandel, der sich
       weitgehend an der großen Leinwand vorbei vollzieht: „After paradise lost,
       one can always emulate Sisyphus“. Der Eröffnungsfilm des diesjährigen
       Festivals passt auf seine Weise gut zu diesem Satz.
       
       [2][Herman Yau], der Regisseur von [3][„Ip Man: The Final Fight]“, ist als
       unterschätzter Vielfilmer und Fixpunkt der einheimischen Filmindustrie
       einer jener Sisyphusse, die das finanziell angeschlagene Hongkong-Kino
       weiter am Laufen halten.
       
       Sein neues Werk geht von derselben realen Biografie – vom Leben eines
       legendären Kampfkunstlehrers – aus wie [4][Wong Kar-Wais „The
       Grandmaster“]. Zu dessen geschichtsvergessenem Pomp bilden Yaus
       kleinformatig angelegte Zeitbilder einen willkommenen Kontrast.
       
       „Ip Man: The Final Fight“ ist eine Rückschau auf das Hongkong der 1950er
       und 1960er Jahre; in Detailerinnerungen an selbst gedrehte Zigaretten und
       alte Popsongs durchaus nostalgisch, im Ganzen jedoch getragen von einer
       sehr nüchternen Melancholie: Der alte Kampfkunstlehrer Ip Man bekommt zwar
       noch die Gelegenheit zum knochenbrecherisch inszenierten letzten Auftritt,
       aber um viel mehr als um die eigene Ehre geht es da nicht mehr.
       
       Sein eigenes, privates Paradies hat er längst verloren und in der großen
       Geschichte, die um ihn herum eine ganze Stadt transformiert, ist er sowieso
       nur Zaungast.
       
       ## Bruder Bruce Lee
       
       Ip Man war einst aus dem von Bürgerkrieg und bald auch von Hungersnöten
       gezeichneten China nach Hongkong ausgewandert, wo er die Anfänge eines
       beispiellosen Wirtschaftsbooms miterleben konnte. Sein Schüler Bruce Lee
       wurde zum größten Star der gleichfalls aufstrebenden lokalen Filmindustrie.
       
       Heute verlagert sich die Filmszene, wie so vieles andere, wieder nach
       Peking, ins nun seinerseits boomende Mainland-China. Das kommerzielle
       Filmschaffen Hongkongs hat es selbst in der eigenen Stadt zunehmend
       schwerer gegen die chinesischen Blockbuster und vor allem gegen die
       Hollywood-Konkurrenz. Und ein der Filmkunst verpflichtetes Festival
       befindet sich noch deutlich weiter an der Peripherie des urbanen Alltags.
       
       Vom Festivalhype, der hierzulande nicht nur die Berlinale zu immer neuen
       Besucherrekorden treibt, ist in Hongkong wenig zu spüren. Statt wie am
       Potsdamer Platz den öffentlichen Raum mit großer Geste in Beschlag zu
       nehmen, quartiert sich das HKIFF zwei Wochen lang als gerade mal noch
       geduldeter Gast in Multifunktionsgebäude und kleine Nebensäle einiger
       Multiplexe ein(zu denen man nur gelangt, nachdem man gefühlte 100
       Einkaufszentren durchquert hat); und auch diese Säle bekommt es selten
       gefüllt.
       
       Anlass für cinephilen Enthusiasmus gibt es dabei eigentlich genug
       angesichts eines Programms, das von einem scheuklappenfreien
       Kinoverständnis zeugt. Vor allem gelingt es wohl weltweit keinem zweiten
       Festival, das asiatische, insbesondere das ostasiatische Filmschaffen in
       einer vergleichbaren Breite, von sperrigen, experimentellen
       No-Budget-Produktionen bis zu den südkoreanischen und japanischen
       Blockbustern der Saison, abzubilden.
       
       ## Zwischen Performance Art und Internetpornografie
       
       Da steht dann neben [5][Takeshi Kitanos] souveräner Gangsterfilmvariation
       [6][„Outrage Beyond“] schon einmal ein krudes, im besten Sinne
       durchgeknalltes Ding wie [7][Sherad Anthony Sanchez’ „Jungle Love“]: ein
       philippinisches Digitalexperiment irgendwo zwischen Performance Art und
       Internetpornografie, eine Reise in den Urwald, bei der alle Beteiligten die
       Kontrolle über sich und ihre erogenen Zonen verlieren.
       
       Auch die größte Entdeckung in der Young Cinema Competition, der offiziellen
       Wettbewerbssektion, erkundet furchtlos ungeheure Gefühle: Yang Tian-yis
       „Longing for the Rain“ porträtiert eine Frau aus der gehobenen
       Mittelschicht, die eine Affäre mit einem Geist beginnt. Der Film schämt
       sich nicht für seine trashige Prämisse, sondern nimmt sie zum Anlass,
       gemeinsam mit seiner Hauptfigur die vorgezeichneten Pfade zu verlassen und
       einen unvoreingenommenen Blick auf die Welt zu werfen.
       
       Auch die historischen Programme waren dazu geeignet, das unbarmherzige
       Wirklichkeitsprinzip herauszufordern. Die größte Retrospektive war dem
       Studio Golden Harvest gewidmet, das in den 1970er und 1980er Jahren mit
       Hilfe von Stars wie Bruce Lee oder Jackie Chan das kommerzielle Kino
       Hongkongs revolutionierte.
       
       ## Lazenby, schräge Vogel
       
       Neben deren klassischen Prügelfilmen finden sich in der Retrospektive auch
       schrägere Vögel: Den ganz normalen Wahnsinn der 1970er Jahre bekommt man
       zum Beispiel in „A Queen’s Ransom“ serviert, einer deliranten
       internationalen Koproduktion, in der ein Spezialkommando Queen Elisabeth
       II. während eines Hongkong-Besuchs beschützen muss.
       
       Und zwar vor einer Truppe derangierter Terroristen, die von dem deplatziert
       wirkenden früheren Bond-Darsteller [8][George Lazenby] angeführt werden
       und, wie sich am Ende herausstellt, der englischen Königin genauso treu
       ergeben sind wie die ehrbaren Bürger der damaligen Kronkolonie: „Natürlich
       wollten wir sie nicht wirklich töten. Wir lieben die Queen, sie ist hübsch
       und mutig!“
       
       3 Apr 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.hkiff.org.hk/eng/main.html
 (DIR) [2] http://www.hermanyau.com/ehome.htm
 (DIR) [3] http://www.hkiff.org.hk/eng/film/detail/37216-ip-man-the-final-fight.html
 (DIR) [4] http://www.myvideo.de/webstars/watch/8971517/The_Grandmaster_trailer_2013_Wong_Kar_Wai_Berlinale_2013
 (DIR) [5] http://de.wikipedia.org/wiki/Takeshi_Kitano
 (DIR) [6] http://videos.arte.tv/de/videos/outrage-beyond-von-takeshi-kitano--6908588.html
 (DIR) [7] http://vimeo.com/52137826
 (DIR) [8] http://www.youtube.com/watch?v=Ri60oYZQmmg
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lukas Foerster
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Filmgeschichte
       
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