# taz.de -- Kunst im Netz: Auf den Rechnern der 90er
       
       > Verunglückte Partybilder bleiben ewig erhalten. Kunst im Netz dagegen
       > wird schnell vergessen. RestauratorInnen wollen das ändern.
       
 (IMG) Bild: Tetris' ursprüngliche Version musste restauriert werden.
       
       Vier Wochen lang liefen im New Yorker „New Museum“ im Rahmen des Projekts
       „XFR STN“ [1][die Rechner heiß], um die flüchtige Gegenwart
       zeitgenössischer Medienkunst festzuhalten. Gekommen sind Künstler mit
       Disketten, Zip-Laufwerken, externen Festplatten. Die Arbeiten auf den
       mitunter steinzeitlich anmutenden Datenträgern wurden restauriert und ins
       Internet eingespeist. Dafür benutzten die digitalen Restauratoren des
       Museums Technologien, wie sie auch Forensiker gebrauchen: unter anderem
       Software, die beim Kopieren keine Spuren hinterlässt, das Original nicht
       beschädigt.
       
       Es ist paradox. Jedes Bonmot wird getweetet, jeder Fauxpas beim Feiern
       wandert in Facebooks Universalarchiv. Zeitgenössische Medienkunst, die mit
       Computern arbeitet, fällt dagegen leicht dem Vergessen anheim. Unter
       anderem deshalb, weil ständige Neuerungen, zum Beispiel bei Hardware und
       Browsertechnologie, die Halbwertszeiten digitaler Medienkunst stark
       einschränken.
       
       Deshalb gibt es jetzt Restaurierungsprojekte. Das New Yorker „Museum of
       Modern Art“ betreibt eine ähnliche Abteilung wie das „New Museum“. Sie
       erstand im letzten Jahr die ursprünglichen Versionen von Spieleklassikern
       wie „[2][Pac-Man]“ und „[3][Tetris]“.
       
       Und neulich restaurierte das ebenfalls in New York ansässige „Whitney
       Museum“ eines der ersten Netzkunstwerke der Welt, „The World’s First
       Collaborative Sentence“ aus den Jahren 1994 bis 2000, eine Art kollaborativ
       verfasstes, surreales, aus nur einem einzigen Satz bestehendes Wiki, das
       der Künstler Douglas Davies damals initiierte.
       
       Es ist [4][auf der Webseite des Museums in der originalen], klobigen Optik
       zu bewundern. „Lange taten sich die klassischen Kunstinstitutionen eher
       schwer mit digitaler Kunst“, erklärt Restauratorin Lisa Adang, momentan
       Fellow bei „Rhizome“, einer Organisation für zeitgenössische digitale
       Medienkunst, am „New Museum“. Es sei kompliziert, die
       wettbewerbsorientierte und elitäre Museumskultur mit dem offenen Begriff
       des Eigentums in Einklang zu bringen, den die meiste Netzkunst vertrete.
       Kunst bezieht ihren Wert für gewöhnlich aus Exklusivität und
       Einzigartigkeit. Das Internet aber ist ein Kopierapparat.
       
       ## Kunstvolk und Computer
       
       Kaum ein Museum oder ein Sammler möchte teures Geld in die Restaurierung
       eines Kunstwerks investieren und dieses dann im Web für alle zugänglich
       wiederfinden. Ein weiteres Problem sei es, kunsthistorisches Verständnis
       mit technischem Know-how in Einklang zu bringen. „Computerleute
       interessieren sich nun mal selten für Kunst und das Kunstvolk eher selten
       für Computer“, sagt Adang.
       
       Eingehende Kenntnis der Technik sei notwendig, um zeitspezifische Bezüge
       eines digitalen Kunstwerks zu verstehen und zu restaurieren. Als Beispiel
       nennt sie ein Computerspiel der Netzkunst-[5][Gruppe JODI], das sie selbst
       jüngst restaurierte. Um das Spiel auf heutigen Rechnern zum Laufen zu
       bringen, verwendete sie Software, die alte Hardware auf neuen Rechnern
       simuliert. „Der Emulator, den ich benutzte, stammt aus der
       Gaming-Community“, erklärt sie.
       
       Während es aber Computerspielern zumeist darum gehe, alte Spiele auf dem
       neuesten Stand der Technik zu spielen, simuliere ihre Software die
       Geschwindigkeit eines Rechners aus den Neunzigern. Das gemächliche Tempo
       sei ein wichtiger Bestandteil des Kunstwerks. Bedenkenloses Updaten laufe
       Gefahr, in wohlgemeinte Zerstörung auszuarten.
       
       Schwierig ist die Einbeziehung von Netzkunst in die Museumskultur auch, da
       Netzkunst einen eher anarchistischen Habitus pflegte. In ihrem Manifest aus
       dem Jahr 1999 beschrieben die beiden Paten der „net.art“, Natalie Bookchin
       und Alexei Shulgin, ihre Arbeitsweise mit dem Begriff der T.A.Z., der
       „temporären autonomen Zone“. Kunst im Internet zu machen galt damals als
       politische Aussage, als Kritik an den elitären Strukturen des Kunstsystems.
       
       ## Direkter Kontakt
       
       „0 % Kompromiss“ forderten Bookchin und Shulgin in den für die Kunst damals
       neuen Gefilden. Es ging um den direkten Kontakt mit Kunstinteressierten
       ohne dazwischen geschaltete Galeristen, Sammler, Museumsdirektoren. Adang
       findet es daher „wichtig, dass digitale, für das Internet konzipierte Kunst
       im Netz bleibt und nicht in Offline-Speichern verschwindet.“ Netzkunst
       erhalte ihre „Aura“ nicht aus ihrer Exklusivität, sondern aus dem offenen
       Teilen, Kopieren und Transformieren, das das Netz ermögliche.
       
       Die Restaurierung von Netzkunst und digitaler Kunst könnte heute eine
       wichtige gesellschaftliche Rolle spielen. So meint
       „[6][Rhizome]“-Direktorin Heather Corcoran: „Gerade in unserer sich schnell
       entwickelnden Gegenwart ist es notwendig, sich mit der Geschichte
       auseinanderzusetzen.
       
       Wo alles einfach nur als neu wahrgenommen wird, kann es keine wirkliche
       Entwicklung geben.“ Diese Sätze geben auch Antwort auf die Frage, ob die
       Zeiten von digitaler Kunst und Netzkunst bereits wieder vorbei sind, was
       immer mal diskutiert wird: Sie können erst dann vorbei sein, wenn wir mehr
       darüber wissen, was das eigentlich war.
       
       30 Sep 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.newmuseum.org/exhibitions/view/xfr-stn
 (DIR) [2] /!69470/
 (DIR) [3] /!47205/
 (DIR) [4] http://artport.whitney.org/collection/davis/Sentence/sentence1.html
 (DIR) [5] http://www.jodi.org
 (DIR) [6] http://rhizome.org/artbase/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Thumfart
       
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