# taz.de -- Kommentar Folter in Videospielen: Die alltägliche Dosis Schmerz
       
       > Folterszenen in dem Konsolenspiel „Grand Theft Auto“ sind umstritten.
       > Dabei fördern Videospiele als Kunstwerke die Reflektion der Realität.
       
 (IMG) Bild: Virtuelles Abbild der Realität: Szenenbild aus GTA V.
       
       Folter ist anstrengend. Der Widerstand, wenn dem Gefangenen ein Zahn nach
       dem anderen gezogen wird. Die Schreie, wenn der Strom einer Autobatterie
       durch seinen Körper jagt. Zertrümmern der Kniescheiben mit einem
       Schraubenschlüssel.
       
       Im Computerspiel „Grand Theft Auto V“ spielt man einen Psychopathen,
       Trevor. Und der muss für den Geheimdienst FIB einen Mann foltern, weil der
       die Identität eines Terroristen kennen soll.
       
       Ohne diese Information geht das Spiel nicht weiter. Also zieht man dem
       Opfer die Zähne. Indem man den rechten Stick des Controllers im Kreis
       dreht, immer und immer wieder.
       
       Mit dem linken Stick schüttet man dem Mann Wasser über sein mit einem Tuch
       bedecktes Gesicht. Waterboarding. Am Rand des Bildschirms steht in feiner
       weißer Schrift die Anweisung für die nächste Tortur: „Drücke R2 um den
       Schraubenschlüssel zu schwingen.“
       
       In Foren und auf YouTube diskutieren SpielerInnen über die Brutalität des
       Spiels und über Selbstekel. Viele wollen nicht mehr weitermachen. Dabei
       sind viele Spiele brutal, aber sie sind es normalerweise beiläufiger. In
       Egoshootern mähen die SpielerInnen reihenweise Gegner um, ohne sich damit
       irgendwie beschäftigen zu müssen.
       
       ## Es geht nicht um Brutalität oder Moral
       
       Aber man sollte sich nicht täuschen: Bei der Diskussion um die Folterszenen
       geht es nicht so sehr um Brutalität, weniger auch um Moral. Millionen
       Menschen haben in dieser Woche das Finale von „Breaking Bad“ gesehen, einer
       Serie, die sich ebenfalls um eine Verbrecherkarriere dreht.
       
       Und wie die Protagonisten von GTA hilft Hauptfigur Walter White seinem
       Aufstieg vom unterbezahlten Chemielehrer zum Drogenkönig nach, indem er
       andere ableben lässt. Ohne dass jemand dabei den Zeigefinger hebt und
       erklärt, wie böse das alles ist.
       
       Das Fernsehen nutzt in „Breaking Bad“ schlicht seine Mittel: erzählen,
       zeigen, emotionalisieren. Abstiegsängste der Mittelschicht, Drogenkrieg –
       was in Nachrichtensendungen abstrakt bleibt, entfaltet sich hier im Kopf
       der Zuschauer in all seiner Farbe. Es gibt ihnen eine Ahnung davon, was es
       hieße, zu begreifen. Es berührt.
       
       Ebenso wie das stete Balancieren zwischen Moral und Macht bei Birgitte
       Nyborg – Politikerin und Hauptfigur in der dänischen Serie „Borgen“, von
       der in dieser Woche die dritte und letzte Staffel anlief. Wie diese Frau
       sich immer weiter korrumpieren lässt, in kleinen Schritten, dabei stets
       hehre Ziele vor Augen, ist irre: Wen die Bundestagswahl kalt ließ, sollte
       sich „Borgen“ ansehen.
       
       Eine Haltung wird nicht vorgegeben. Wer möchte, kann „Borgen“ als
       Bestätigung all dessen sehen, was er schon immer Schlechtes von der Politik
       gedacht hat. Und „Breaking Bad“ lässt sich auch als Aufforderung lesen, ein
       mordbrennendes Arschloch zu sein. „Zeit Online“ hielt das nicht davon ab,
       der Serie als einem „der besten amerikanischen Fernseh-Epen“
       hinterherzuweinen, in welchem die „essentiellen Fragen des Lebens in einer
       kristallklaren Gnadenlosigkeit erörtert“ würden.
       
       ## Spieler werden zu Tätern
       
       Gnadenlos ist auch die Folterszene bei GTA – eine der seltenen
       Gelegenheiten, bei denen sich SpielerInnen mit dem Leiden eines virtuellen
       Gegenübers auseinandersetzen müssen. Anders als in „Breaking Bad“ können
       sie dem Täter aber nicht nur zuschauen. Sie werden der Täter. Muss das
       sein?
       
       Sollen Spiele nicht vor allem Spaß machen, die Flucht aus dem Alltag
       erlauben, schnelle Erfolge ermöglichen – also wenig mit dieser Welt zu tun
       haben? Oder sind sie auch Mittel, sich mit Realitäten auseinanderzusetzen,
       Dinge schärfer und unvermittelter zu sehen? Also Kunst?
       
       Spiele als Gattung sind beides, Zwitter, galten lange aber nur als
       pubertärer Zeitvertreib. Spieler, Medien und die Games-Industrie haben
       dafür gekämpft, dass Spiele nicht nur als Unterhaltung, sondern auch als
       Kunst anerkannt werden. Entsprechend veränderten sich auch die behandelten
       Stoffe und wie sie diskutiert werden.
       
       Die umstrittene Sequenz in GTA V bezieht sich auf eine der spannendsten und
       grausamsten Episoden der Realpolitik: Guantánamo. Wann war man als
       Unbeteiligter der Realität von fernen Folterlagern je näher?
       
       Jedes Kunstwerk entsteht erst im Zusammenspiel mit der BetrachterIn. Beim
       Computerspiel aber ist die Interaktion besonders intensiv, besonders
       körperlich. Der Spieler ist Gott und Sklave in einer Person – ohne ihn
       gehen die Geschichten nicht weiter, zugleich ist er ihnen unterworfen.
       
       Diese Geschichten fügen sich derzeit allerdings noch recht ungeschlacht
       zusammen. Das Unbekümmerte, Anarchische und der Wunsch, auch von
       Abgründigem zu erzählen, stehen in Computerspielen oft nebeneinander wie
       zwei Fremde an der Bushaltestelle. Das Holzschnittartige des sadistischen
       Trevor in GTA 5 entstammt einem Spiel, das ausschließlich Spaßmacher sein
       will. So etwas geht schief, wenn es plötzlich ernst wird. Bis zu der
       Meisterschaft, mit der das Fernsehen inzwischen den inneren Verfall eines
       Walter White zeichnet, ist es noch weit. So gesehen, ist die Folterszene
       bei GTA V erst der Anfang.
       
       6 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Schulz
       
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