# taz.de -- Buchpreis-Trägerin Terézia Mora: Ein Ereignis
       
       > In Ungarn geboren, schöpfen die Texte von Terézia Mora aus dieser
       > Herkunft. Sie gibt ihren Figuren durch Sprache allen Raum und erzählt
       > mitreißend.
       
 (IMG) Bild: Ihr „Ungeheuer“ ist eine Reise ins Unergründliche: Terézia Mora, Trägerin des Deutschen Buchpreises
       
       „Kleingläubig wie ich bin, habe ich nichts vorbereitet – wissend, dass
       alles, was für ein Buch sprechen kann auch gegen das Buch sprechen kann“,
       sagte Terézia Mora, als sie am Montagabend – etwas verloren, zumindest
       überrascht wirkend – ins Scheinwerferlicht geriet und den mit 25.000 Euro
       dotierten Deutschen Buchpreis für den besten Roman des Jahres entgegennahm.
       
       Die siebenköpfige Jury um den Vorsitzenden Helmut Böttiger hatte sich
       „einhellig“ für all das entschieden, was für dieses Buch spricht – seine
       ästhetische Konsequenz und Virtuosität. Besonders lobte die Jury das „hohe
       literarische Formbewusstsein“.
       
       „Das Ungeheuer“ wird auf zwei Ebenen erzählt, als Roadmovie eines
       Verlorenen und parallel dazu – mit einem schwarzen Strich auf jeder
       Buchseite von der Haupthandlung getrennt – als Krankheitsgeschichte einer
       an Depressionen leidenden Frau. In Moras preisgekröntem Roman reist ein
       trauernder Witwer namens Darius Kopp mit der Asche seiner Frau durch halb
       Osteuropa, auf der Suche nach deren Geschichte. Am Ende findet er sich
       schließlich selbst und wird vielleicht sogar ein „erwachsener Mensch“, wie
       die Autorin lakonisch kommentiert.
       
       Moras „Ungeheuer“ ist eine Reise ins Unergründliche, eine die Gräben
       zwischen zwei Menschen aufzeigende Geschichte, eine Totenfahrt und
       Wiedergeburt zugleich. Ein „tief bewegender und zeitdiagnostischer Roman“
       sei ihr da gelungen, heißt es in der Jury-Begründung. Die nun zu erwartende
       hohe Auflage und zahlreiche Auslandslizenzen machen die Auszeichnung zur
       einträglichsten hierzulande.
       
       ## Literarische Offenbarung
       
       Terézia Mora ist, auch wenn erst jetzt eine größere Öffentlichkeit auf ihr
       Werk aufmerksam wird, keine unbekannte Autorin. Vor 16 Jahren las sie beim
       Open Mike-Wettbewerb, und es gibt einige Zuhörer, die noch heute von diesem
       Auftritt berichten wie von einer literarischen Offenbarung: Als sie die
       Bühne betrat, habe sich im Raum etwas verändert, schrieb der Kritiker
       Volker Weidermann über diese Premiere. Die Zuhörer hätten sich
       aufgerichtet, so, wie man sich aufrichtet, wenn man aufmerksam sein und
       nichts verpassen möchte. Die Haltung des Textes schien auch etwas an der
       Haltung der Veranstaltungsbesucher zu verwandeln. Mora las „Durst“, eine
       Erzählung, die später in ihrem Debütband „Seltsame Materie“ erscheinen
       sollte. Es waren kurze, prägnante, wach- und also aufrüttelnde Sätze.
       
       Vielleicht wünschte man sich, dass es immer genau so ist, wenn eine neue
       Stimme ertönt: dass alle, die dabei sind, sofort wissen, dass es eine neue
       Stimme ist, ein eigenständiger Ton, ein Ereignis. Terézia Mora gewann –
       natürlich – den Open Mike-Wettbewerb. Sie gewann wenig später auch den
       Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt mit der Erzählung „Der Fall Ophelia“,
       der ebenfalls in ihrem ersten Erzählungsband „Seltsame Materie“ enthalten
       ist.
       
       „Seltsame Materie“ ist ein Buch, das noch vor der Zeitenwende des Jahres
       1990 spielt – in der Diktatur, im Ostblock. Aber Diktatur meint eben nicht
       nur die Anmaßungen und Bedrängungen eines totalitären Systems, sondern weit
       mehr. Die Tyrannei, die den Hintergrund dieser Geschichten und auch ihren
       Kern bildet, sei ein Geflecht mehrerer autoritärer Systeme, wie die Autorin
       einmal schrieb: bäuerliche Lebensweise gehört dazu, katholische
       Religionsausübung sowie die Zugehörigkeit zu einer ethnischen, sprachlichen
       Minderheit.
       
       ## Absurd und völlig normal
       
       Moras Erzählungen spielen in den Grenzbereichen dieser sich auflösenden
       Systeme, und sie spielen sich tatsächlich auch topographisch an einer
       Grenze ab (der zu Österreich), an der Grenze zu einer neuen Zeit und auch
       einer Grenze verschiedener Lebensalter. Sie habe in dieser Welt, die sie
       schildert, eines gelernt: dass diese Welt absurd und das völlig normal sei.
       
       Terézia Mora wurde 1971 in Sopron in Ungarn geboren. Ihre Familie gehörte
       der deutschsprachigen Minderheit an. Ihre ersten Texte schöpfen aus dieser
       Herkunft. 1990 ging sie nach Berlin und studierte dort Hungarologie und
       Theaterwissenschaften, wenig später Drehbuchschreiben an der Film- und
       Fernsehakademie. Immer wieder hat sie Bücher aus dem Ungarischen übersetzt,
       unter anderem Péter Esterházys Hauptwerk „Harmonia Caelestis“ oder István
       Örkénys „Minutennovellen“.
       
       Der große Durchbruch als Autorin gelang ihr 2004 mit dem Roman „Alle Tage“,
       für den sie mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Die
       Hauptfigur dieses Romans heißt Abel Nema, und dieser Abel Nema, so steht es
       in „Alle Tage“, sei „ein Mensch mit bemerkenswerten Talenten, zehn Jahre,
       zehn Sprachen, gelernt und gelehrt, und auch als Privatperson von einiger
       Wirkung“.
       
       Abel ist ein Held, wie er so skurril und unvergesslich in der Literatur nur
       selten auftaucht. Das Besondere an ihm: Richtig fassen lässt er sich nie,
       obwohl wir ihn auf jeder Seite besser kennenlernen. Er, der als 19-Jähriger
       aus einer Kleinstadt im Osten in eine westliche Metropole gelangt, muss
       diverse Kulturschocks erst einmal verdauen. Das tut er und tut er nicht. Er
       kommt an und bleibt doch fremd und zwischen allen Stühlen. Mora tariert
       diesen Schwebezustand mit ihrer Sprache aus: Sie spricht dabei auf ihre
       Weise mindestens so viele wie ihr Held. Sie wechselt zwischen verschiedenen
       Tonarten und Textsorten hin und her, zwischen genauen
       Wirklichkeitsbeschreibungen und ins Surreale spielenden Bildern, sie eignet
       sich verschiedene Stimmen an, verändert fortlaufend die Perspektive,
       manchmal von Buchseite zu Buchseite. „Alle Tage“ ist ein Panoptikum, ein
       ohrenbetäubend vielstimmiges Klangwerk, ein angenehm verwirrendes Gewusel
       von Geschichten und Menschen, die allesamt ihre Eigenheiten bewahren
       dürfen.
       
       ## Krise und Konfusion
       
       Einen ganz anderen Helden konnte man in Moras Roman „Der einzige Mann auf
       dem Kontinent“ (2009) kennenlernen. Es ist ein Buch über die ökonomische
       Krise und die Konfusion, die sie in den Protagonisten des Wirtschaftslebens
       anrichtet. Darius Kopp, dem wir in „Das Ungeheuer“ wieder begegnen, taucht
       hier das erste Mal auf, ein Mann ganz ohne bemerkenswerte Talente. Er hat
       nichts mit Abel Nema gemein, obwohl er sein Zeitgenosse ist und ebenfalls
       einem untergegangenen System entstammt. Was er allerdings doch mit ihm
       teilt: eine Autorin, die ihre Figuren, so unscheinbar sie auch sein mögen,
       zu lieben scheint und ihnen durch ihre Sprache allen Raum gibt.
       
       Über ihren Anti-Helden Darius Kopp sagte Terézia Mora vor vier Jahren im
       Interview, er wolle sich überhaupt keinen Überblick über seine durchaus
       bedrohliche Lage verschaffen. „Da müsste er ja anfangen zu leiden, und das
       ist ihm fremd. Im Grunde möchte er von Anfang bis zum Ende seines Lebens
       möglichst in Ruhe durchkommen.“ Dass man eben doch nicht in Ruhe
       durchkommen kann, muss Darius Kopp nun schmerzhaft am eigenen Leib und an
       der Seele erfahren.
       
       Der Roman „Das Ungeheuer“ ist eine „perspektivenreicher Nekrolog“, eine
       persönliche Leidensgeschichte, aber eben auch eine Reise in die Gegenwart
       eines vielschichtigen und teils fremden Europa. Terézia Mora, die in zwei
       Sprachen zu Hause ist, weiß um diese Fremdheit. Aber auch darum, sie mit
       allen gebotenen literarischen Mitteln zu überwinden. Die Jury des Deutschen
       Buchpreises hat einen höchst aktuellen, formal spannenden und erzählerisch
       mitreißenden Roman ausgezeichnet. Nun ist es an den Lesern, ihn zu
       entdecken.
       
       8 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Rüdenauer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Terézia Mora
 (DIR) Frankfurt
 (DIR) Literatur
 (DIR) Buchpreis
 (DIR) Deutscher Buchpreis
 (DIR) Literatur
 (DIR) Ingeborg-Bachmann-Preis
 (DIR) Buchpreis
 (DIR) Sibylle Lewitscharoff
 (DIR) ZDF
 (DIR) Brasilien
 (DIR) Terézia Mora
 (DIR) Terézia Mora
 (DIR) Brasilien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Porträt der Kieler Autorin Juliana Kálnay: Virtuosin der poetischen Schwebe
       
       Die Kieler Autorin Juliana Kálnay unterminiert in ihrem Debütroman „Eine
       kurze Chronik des allmählichen Verschwindens“ ständig die Realität und
       konstruiert eine neue – surreal logische – Welt. Im richtigen Leben agiert
       sie weit bodenständiger
       
 (DIR) Bachmann-Preis 2014, der 2. Tag: Esoterikkitsch und rennende Kühe
       
       Noch bis Sonntag konkurrieren Schriftsteller in Klagenfurt um den
       diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis. Die Jury spart nicht mit Kritik.
       
 (DIR) Shortlist Preis der Leipziger Buchmesse: Weltkrieg bleibt außen vor
       
       Zum 10. Jubiläum des Preises der Leipziger Buchmesse wartet die
       siebenköpfige Jury unter Hubert Winkels Vorsitz mit Überraschungen auf.
       
 (DIR) Auszeichnung für Autoren: Lewitscharoff erhält Büchner-Preis
       
       Etliche Preise hat Sibylle Lewitscharoff schon erhalten, nun noch der
       Büchner-Preis. Die Ausgezeichnete selbst sieht sich als „kleine, tapfere
       Schriftstellerin im Literatur-Kanon.“
       
 (DIR) ZDF-Fernsehmacher über Aspekte-Preis: „Es geht um einen neuen Blick“
       
       Daniel Fiedler, Chef der ZDF-Redaktion Berlin Kultur über den
       aspekte-Literaturpreis, kulturelle Debatten im Fernsehen und überraschende
       Jurysitzungen.
       
 (DIR) Kolumne Buchmessern (2): Ein Hauch von UNO-Vollversammlung
       
       Hochs und Tiefs: Brasiliens Vizepräsident Michel Temer erntet Buhrufe. Der
       scheidende Außenminister Guido Westerwelle verbrüdert sich.
       
 (DIR) Deutsche Literatur der Gegenwart: Improvisationen über Liebe und Tod
       
       Wir sehen Symbole, wo Willkür und kosmischer Zufall herrschen: „Die Ordnung
       der Sterne über Como“, der Debütroman von Monika Zeiner.
       
 (DIR) Kolumne Buchmessern: Im Guerillakampf mit sich selbst
       
       Sonnenaufgang in Frankfurt: Zum Auftakt der Buchmesse wurde der deutsche
       Buchpreis verliehen. Siegerin Terézia Mora ist froh, nicht verhungert zu
       sein.
       
 (DIR) Deutscher Buchpreis für Terézia Mora: „Tief bewegend und zeitdiagnostisch“
       
       „Das Ungeheuer“ ist der beste deutschsprachige Roman des Jahres. Die Jury
       würdigt die Autorin Terézia Mora, die den Preis im im zweiten Anlauf
       gewinnt.
       
 (DIR) Buchmessen-Gastland Brasilien: Ein Zauber, nicht ohne Widerspruch
       
       Nicht nur schön, sondern auch extrem gewalttätig. Ein Streifzug durch die
       Geschichte, Theorie und Literatur des faszinierenden Landes Brasilien.
       
 (DIR) Friedenspreis des Buchhandels: Mit der Kraft des Wassers
       
       Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels wurde in diesem Jahr an den
       chinesischen Schriftsteller Liao Yiwu verliehen. Er fand starke Worte.
       
 (DIR) Frankfurter Buchmesse: Ort für Inhalte und zum Quatschen
       
       Die fbm 12 war die letzte Übergangsmesse. Es geht weg vom reinen
       Papierbuch, hin zum komplizierteren Nebeneinander verschiedener Angebote.