# taz.de -- Tierquälerei auf dem Ökohof: „Bio“-Kontrolleure schauen weg
       
       > Private Inspektoren von Biobetrieben versagen immer wieder. Jetzt will
       > das Land Niedersachsen sie teilweise entmachten.
       
 (IMG) Bild: Ist das noch artgerechte Haltung?
       
       BERLIN taz | Es waren üble Bilder: sterbende Legehennen, kranke Tiere fast
       ohne Federn, ein hochgradig abgemagertes Huhn, das sich mit den Flügeln
       abstützen muss, um aufrecht zu stehen. Und das in einem Biostall – von
       Deutschlands größtem Öko-Eiervermarkter Wiesengold. Viele Kunden waren
       schockiert von diesen Aufnahmen der Organisation Die Tierfreunde/Ariwa, die
       das ARD-Fernsehen Ende 2012 zeigte. Aus der konventionellen
       Massentierhaltung sind solche Zustände bekannt.
       
       Aber bei Bio? Sind Ökoprodukte nicht auch deshalb deutlich teurer, weil sie
       für besseren Tierschutz stehen? Heißt es nicht immer, dass Ökobetriebe im
       Schnitt viel häufiger kontrolliert würden? Das werden sie. Aber manche
       Biokontrolleure schauen nicht so genau hin. Das zeigt ein
       Untersuchungsbericht des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz
       und Lebensmittelsicherheit (Laves). Die Behörde kritisiert in dem Papier,
       dass „die Wirksamkeit der Kontrollen seitens der Kontrollstelle nicht
       gegeben war“.
       
       Der Fall hat grundsätzliche Bedeutung, da derzeit darüber diskutiert wird,
       wegen der immer wiederkehrenden Betrugsfälle in der Biobranche die
       Kontrollen zu verstaatlichen. Bisher sind die Kontrollstellen private
       Unternehmen, die vom Staat beauftragt werden. Es ist nicht das erste Mal,
       dass die Ökokontrolleure Umstände, die für das Tierwohl relevant sind,
       übersehen. So waren in den Skandal um überbelegte Legehennenställe von
       Anfang des Jahres auch viele Biounternehmen verwickelt, ohne dass die
       Ökokontrolleure das verhindert hätten. Da dürfte den privaten Kontrolleuren
       der Bericht des Laves aus dem Wiesengold-Stall nicht gerade zupasskommen.
       
       Denn er belegt, dass Mitarbeiter der Kontrollstelle Institut für
       Marktökologie (IMO) den Betrieb im niedersächsischen Dorf Dimhausen zwar
       binnen einem Jahr neunmal überprüften, nachdem die in den Skandalvideos zu
       sehenden Legehennen eingestallt worden waren. Mehrmals sogar unangekündigt.
       Doch das Laves schreibt weiter: „In keinem der von der IMO GmbH
       angefertigten Protokolle und Auswertungsschreiben erfolgt ein Hinweis auf
       die Besichtigung und den Zustand des Tierbestands.“ Offenbar haben die
       Kontrolleure sich die Tiere nie genauer angeschaut.
       
       ## Stromschläge für Legehennen
       
       ## 
       
       Einmal haben sie eindeutig dokumentiert, dass sie zumindest im Stall waren.
       Dabei fiel den Kontrolleuren laut Laves aber nicht die Elektrodrahtanlage
       auf, die die Hennen davon abhalten kann, Eier auf den Boden statt in die
       dafür vorgesehenen Nester zu legen. Legehennen dürfen nach einer Verordnung
       zum Tierschutz an „keiner Stelle des Aufenthaltsbereichs“ mit Strom
       traktiert werden.
       
       Das IMO wollte sich „wegen des laufenden Verfahrens“ dazu nicht äußern. Der
       niedersächsische Agrarminister Christian Meyer (Grüne) will wegen der
       Missstände die privaten Kontrollstellen zumindest teilweise entmachten.
       „Niedersachsen schlägt vor, das Ökolandbaugesetz so zu ändern, dass statt
       der Biokontrollstellen die Länder Öko-Geflügelbestände mit mehr als 6.000
       Tieren für eine befristete Zeit kontrollieren können“, sagte der
       Grünen-Politiker der taz. Der Vorschlag befinde sich auf Bund-Länder-Ebene
       in der Diskussion. Das Projekt könnte, so befürchten private
       Ökokontrolleure, trotz gegenteiliger Beteuerungen Meyers der erste Schritt
       zu einer kompletten Verstaatlichung sein.
       
       Die Biobranche lehnt all das ab. „Wir sehen nicht, wo die Vorteile liegen
       sollen“, sagt der Vizegeschäftsführer des Bunds Ökologische
       Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Peter Röhrig. Meyers Ministerium dürfte ihn
       nicht überzeugen: Auch auf Nachfrage der taz konnte es nicht erklären,
       warum die staatliche Kontrolle besser sein soll.
       
       Da ist die Tierrechtsorganisation Peta schon weiter, deren Rechercheure
       immer wieder Missstände auch in Ökoställen öffentlich gemacht haben. „IMO
       und alle anderen Zertifizierer werden von den Betrieben, die sie
       kontrollieren sollen, beauftragt und auch bezahlt“, sagt
       Peta-Agrarwissenschaftler Edmund Haferbeck. „Das ist ein Unding.“ Wenn der
       Staat kontrollieren würde, dann würden die Kontrolleure nicht mehr Mängel
       in einem Betrieb durchgehen lassen, um den Kunden nicht zu verlieren.
       
       ## Zulassungsentzug geprüft
       
       Jochen Neuendorff, Geschäftsführer der Göttinger Kontrollstelle GfRS und
       der wichtigste Vordenker der privaten Inspektoren, antwortet auf solche
       Kritik: „Eine Ökokontrollstelle setzt ihre Existenz aufs Spiel, wenn sie
       nicht richtig prüft. Die Reputation kann rasch dahin sein.“ Das zeige ja
       auch der Fall IMO, gegen das jetzt die Staatsanwaltschaft ermittelt und ein
       Verfahren zum Entzug der Zulassung in Deutschland läuft.
       
       Allerdings bleiben Zweifel: IMO hat Peta zufolge schon seit Jahren schlecht
       gearbeitet. „Die Justiz hat erst nach massivem Druck von
       Tierrechtsorganisationen Ermittlungen aufgenommen“, berichtet Haferbeck.
       Und das laufende Verfahren zum Entzug der Zulassung hat bisher laut der
       zuständigen Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft kein Ergebnis
       gebracht.
       
       Der Bioverband BÖLW befürchtet sogar, dass die Kontrolle in staatlicher
       Hand noch schlechter würde. Schließlich leiden gerade die auch für den
       Tierschutz zuständigen Lebensmittelkontrollbehörden unter chronischer
       Personalknappheit. Tatsächlich hat selbst der Bundesrechnungshof der
       amtlichen Kontrolle „systemimmanente Schwächen“ attestiert. Die immer
       wiederkehrenden Skandale um Tierquälerei in der konventionellen
       Massentierhaltung werden von den Behörden jedenfalls nicht verhindert.
       
       Das liegt einerseits daran, dass die lokalen Ämter oft Hemmungen haben,
       gegen einen großen Arbeitgeber in ihrem Landkreis vorzugehen. Andererseits
       haben die Veterinärämter aber auch zu wenig Personal. Der Chef des
       Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, Martin Müller, berichtet, in
       manchen Bundesländern sei ein Inspekteur für 1.000 Betriebe zuständig.
       
       ## Schwerpunkt Tierwohl
       
       „Den 2.400 amtlichen Lebensmittelkontrolleuren stehen 500 Biokontrolleure
       der privaten Kontrollstellen gegenüber, obwohl Bio nur 3 Prozent des
       gesamtem Lebensmittelmarkts ausmacht“, sagt Ökoinspekteur Neuendorff. „Es
       wird nicht so sein, dass die Länder 500 Beamte für Biokontrollen neu
       einstellen.“ Und: „Unsere Beschäftigten arbeiten schlichtweg
       wirtschaftlicher als die in einer Behörde.“ Statt Verstaatlichung fordert
       Neuendorff bessere Vorgaben für die Kontrollstellen, was diese wie prüfen
       sollen. „Die Behörden müssen endlich anordnen, dass Tierwohl zu einem
       Schwerpunkt der Ökokontrollstelle wird, damit die Leute wirklich auf die
       Tiere gucken.“
       
       Außerdem müssten die Ämter die Kontrollstellen wirkungsvoller überwachen.
       „Die Niedersachsen etwa machen das derzeit nach dem Gießkannenprinzip“,
       moniert Neuendorff. Die Beamten begleiteten 5 Prozent aller Inspektionen
       jeder Kontrollstelle. Stattdessen sollten die Behörden ihre knappen
       Ressourcen auf die Kontrollstellen konzentrieren, die besonders
       problematisch sind. „Das würde den Druck auf schlecht arbeitende
       Kontrollstellen drastisch erhöhen.“
       
       Unterstützung erhält die größtenteils zum grünen Milieu gehörende
       Biobranche ausgerechnet von der CSU. In Bayern funktioniere das
       Kontrollsystem „an sich“ gut, erklärt das Agrarministerium in München. Das
       „sollte nicht durch Einzelfallausnahmen“ wie die völlige Staatskontrolle
       für Großbetriebe „durchlöchert werden“. Denn solche Ausnahmen würden ja wie
       ein Präzedenzfall wirken und die „Kontrollautorität“ der privaten
       Inspekteure untergraben.
       
       9 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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