# taz.de -- Die Wahrheit: Ruhig mal wieder still sein
       
       > Unverschlüsselte Abhörerlebnisse bei der täglichen U-Bahn-Fahrt: Leise
       > Bedenken, laute Selbstgespräche und lauschige Situationen.
       
 (IMG) Bild: Der morgendliche Herumschreier telefoniert mit dem größten Arschloch im Abteil, nämlich mit sich selbst!
       
       Die ganze Verschlüsselungsdebatte, die Frau Merkels Handy auslöste, kann
       eine große Gruppe von Menschen überhaupt nicht verstehen, das sind die
       notorischen U-Bahn-, Bus- und Bahn-Telefonierer. Denn diese telefonieren
       grundsätzlich ungeniert unverschlüsselt, denn sie wollen ja von allen
       gehört werden. Nur deshalb fahren sie U-Bahn und teilen ihren
       Gesprächspartnern und allen Mitreisenden mit: „Ich bin Paradestraße!“, „Ich
       bin jetzt Mehringdamm!“. „Sei Berlin!“ sagt fatalerweise die sinnfreie
       Berlin-Eigenwerbung, meinetwegen sei Berlin, aber schweig darüber!
       
       Was Wunder, wenn man sogar Sympathie mit den delinquenten Jugendlichen
       entwickelt, die Gleichaltrigen das Handy „abziehen“. Womöglich geht den
       fehlgeleiteten Dieben der Telefonier-Terror genauso auf den Sender wie
       unsereinem. Also, liebe Jugendliche, zieht Handys ab und zertretet sie
       hohnlachend, Beifall sei euch gewiss!
       
       Sogar morgens vor acht ist man vor den Telefonierjunkies nicht sicher. Das
       kann man leidvoll erfahren, wen man etwa schlaftrunken zu einem Arzttermin
       taumelt. Mit wem zum Teufel kann man um diese Zeit über was telefonieren?
       Sicherlich mit niemandem, der bei Sinnen ist. Schnell wird der alte
       Verdacht Gewissheit: Der morgendliche Herumschreier telefoniert mit dem
       größten Arschloch im Abteil, nämlich mit sich selbst!
       
       Man kann sich sicher sein, dass einige Störenfriede noch nicht einmal ein
       Handy benutzen und mit der Hand am Ohr ein Telefon vortäuschen und andere
       frech in eine nicht vorhandene Freisprechanlage sprechen. Und das alles
       nur, um anderen das Zeitungslesen zu vermiesen und um sich in den
       Vordergrund zu spielen.
       
       Dabei ist ja nichts gegen das gute alte Selbstgespräch zu sagen, solange es
       diskret geführt wird und solange man sich wirklich etwas zu sagen hat. Eine
       seltsam schöne Spielart des Selbstgesprächs war das „Beiseite“-Gesprochene
       auf der Bühne, wobei die Schauspieler dem Publikum hinter der Hand ihre
       geheimsten Gedanken zuflüsterten. So ein stilles „Beiseite“ wünschte ich
       mir mal in der U-Bahn, aber heutzutage wird ja in der Bahn und auf der
       Bühne lieber gebrüllt.
       
       Zur schleichenden Entwertung des ernst zu nehmenden Selbstgesprächs trug
       kürzlich auch der Bundesgerichtshof bei, der den unschönen Begriff des
       „Beweisverwertungsverbots bei Selbstgesprächen“ prägte. Ein Mörder hatte im
       Selbstgespräch gestanden, seine Frau beiseite geschafft zu haben. Das
       Gespräch war aufgezeichnet worden, durfte aber nicht als Beweis verwendet
       werden.
       
       „Die Gedanken sind frei“ meinte der BGH dazu und war so frei, auch das
       Selbstgespräch dazu zu zählen. Dabei ist dieses doch das ehrlichste
       Gespräch von allen, wer würde schon seinen besten Freund, sich selbst,
       belügen? So müsste ein Geständnis im Selbstgespräch doch als höchste Form
       des Geständnisses gelten, der König unter den Geständnissen.
       
       Doch den hohen Herren vom BGH ist so ein Denken vermutlich fremd und sie
       gehen eher von sich aus als von genervten U-Bahn-Benutzern, die es gewohnt
       sind, dass keiner mehr darüber nachdenkt, was er sagt. Die ehrenwerten
       Richter sitzen in ihren gepolsterten, ruhigen Dienstlimousinen und hoffen,
       dass ihr Chauffeur nichts von ihrem Gemurmel mitbekommen hat, wenn ihnen
       einmal ein Mordgeständnis rausgeschlüpft ist. Warum man von einem
       veritablen Mörder nicht verlangen kann, über seine Morde auch vor sich
       selbst die Klappe zu halten, ist schwer zu verstehen. Derweil wartet man
       nur noch auf das Selbstgespräch in der U-Bahn: „Ich bin Mörder, ich bin
       Paradestraße, ich bin Berlin!“
       
       5 Nov 2013
       
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