# taz.de -- Kundus nach Abzug der Bundeswehr: Deutschland stärkte die Warlords
       
       > Die Bundeswehr hat die Machtstrukturen im afghanischen Kundus falsch
       > eingeschätzt. Das ist das Fazit einer Studie des Afghanistan Analysts
       > Network.
       
 (IMG) Bild: Raus aus Kundus. Die Bilanz ist gemischt.
       
       BERLIN taz | Gut einen Monat nach Übergabe des deutschen Feldlagers Kundus
       an die afghanische Armee legt das unabhängige Afghanistan Analysts Network
       (AAN) an diesem Dienstag [1][die bisher umfassendste Bilanz] über den
       Bundeswehreinsatz in den nord-afghanischen Provinzen Kundus und Badachschan
       vor.
       
       Die der taz vorliegende Studie von Philipp Münch basiert auf Interviews vor
       Ort. Sie untersucht vor allem, wie sich die deutsche Militärintervention
       auf die Machtstrukturen vor Ort ausgewirkt hat. Das Fazit: „Im Unterschied
       zu Vertretern anderer Nationen haben die Deutschen nur selten versucht, die
       Machtstruktur aktiv zu beeinflussen.“
       
       Die Deutschen hätten sich in den Provinzen unter ihrem Militärkommando „an
       das legalistische Prinzip der Zusammenarbeit mit den offiziellen
       Machthabern gehalten und ansonsten versucht, neutral zu bleiben.“
       
       Hatte dieser vorsichtige deutsche Ansatz den Vorteil, keinen direkten
       Widerstand lokaler Machthaber zu provozieren, so nahm die Bevölkerung das
       Verhalten der zunächst begrüßten deutschen Soldaten laut der Studie mit der
       Zeit als bewusste Parteinahme für die nach dem Sturz der Taliban
       herrschenden Kommandeure wahr. Dieser Ansatz „zementierte die bestehende
       Machtverteilung“.
       
       ## Kommandeure waren Verbündete des Westens
       
       Die von Münch neutral als Kommandeure bezeichneten lokalen Machthaber sind
       entlang zweier rivalisierender Gruppen organisiert – und nichts anderes als
       Warlords. In den 1980er Jahren waren sie örtliche Anführer des bewaffneten
       Widerstands gegen die sowjetische Besatzung. In den 90er Jahren trugen sie
       ihre Rivalitäten blutig auf dem Rücken der Bevölkerung aus. Erst die
       Taliban, mit denen sie teilweise temporär paktierten, beschränkten ihre
       Macht.
       
       Doch nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 gewannen die Kommandeure wieder
       Einfluss, auch weil sie nach 9/11 Verbündete des Westens in dessen Kampf
       gegen die Taliban wurden. Sie konnten sich seitdem durch die Übernahme
       offizieller Ämter als Gouverneure, Polizei- oder Geheimdienstchefs auf
       Provinz- oder Distriktebene legitimieren. Das gab ihnen ein offizielles
       Gewaltmonopol, den Zugang zu staatlichen Pfründen und große
       Korruptionsmöglichkeiten. Der Drogenhandel und Geschäfte mit deutschen
       Militärs und Hilfsorganisationen boten weitere Bereicherungsmöglichkeiten.
       
       Die Studie zeigt, wie einzelne Warlords durch geschickte Kooperation mit
       den internationalen Militärs die eigenen Interessen und die eigene Klientel
       verteidigen konnten. Der Autor vermisst eine klare längerfristige Strategie
       – außer möglichst Konflikte und Opfer zu vermeiden. Münch sieht seit dem
       Sturz der Taliban die Paschtunen in ihrer nördlichen Hochburg Kundus in
       offiziellen Positionen unterrepräsentiert. Ab etwa 2005 wandte sich die
       enttäuschte Bevölkerung wieder verstärkt den Taliban zu. Laut Münch waren
       sich die Deutschen zu Beginn ihres Kundus-Einsatzes Ende 2003 der lokalen
       Machtkonstellationen und ihrer Vorgeschichte gar nicht bewusst.
       
       Immerhin sei es der Bundeswehr weitgehend gelungen, Machtkämpfe der
       rivalisierenden Warlords in friedliche Bahnen zu lenken. Um die Warlords
       gewogen zu halten, die der Bundeswehr das Leben hätten schwer machen
       können, boten die Deutschen ihnen kostenlose medizinische Versorgung. Auch
       profitierten die lokalen Machthaber von Aufträgen der Deutschen, etwa an
       von ihnen kontrollierte Baufirmen oder an ihre Wachdienste.
       
       ## Keine klaren Alternativen
       
       „Die Deutschen wurden bewacht von afghanischen Wachen mit unklaren
       Loyalitäten," schreibt Münch. Dabei seien die Deutschen zu einem gewissen
       Grad „Geiseln ihrer Gastgeber gewesen". Eine Ironie ist, dass ausgerechnet
       die Taliban den langjährigen Gouverneur von Kundus, Mohammad Omar, töteten.
       Den als äußerst korrupt und unzuverlässigen Machthaber hatte die Bundeswehr
       als einen der wenigen selbst lange vergeblich versucht loszuwerden. Doch
       hatte er in Kabul mehr Einfluss als die Deutschen.
       
       So ernüchternd die Ergebnisse der Studie sind, so zeigt sie aber auch, dass
       etwa das massivere Vorgehen des US-Militärs oder auch die sensiblere
       Einmischung der Niederländer in der Provinz Urusgan nicht unbedingt
       erfolgreicher waren als das Vorgehen der Deutschen.
       
       Es ist die Schwäche der Studie – oder besser gesagt der enormen Komplexität
       vor Ort geschuldet –, dass sie als Gesamtbilanz keine klaren
       Handlungsalternativen zeigt. Es bleibt der Eindruck, dass eine
       Militärintervention von außen nur sehr begrenzte Möglichkeiten hat, wenn
       sie lokale Kräfte stützen soll, die nicht entwaffnet sind.
       
       Und diese Möglichkeiten sind umso geringer, je weniger die
       Interventionsmacht mit den lokalen Verhältnissen vertraut ist.
       
       12 Nov 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.afghanistan-analysts.org/publication/local-afghan-power-structures-and-the-international-military-intervention
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Hansen
       
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