# taz.de -- Debatte Tarifeinheit und Streikrecht: Ohne Not und Voraussicht
       
       > Die Große Koalition will Berufsgewerkschaften entmachten. Die
       > DGB-Gewerkschaften haben auch dafür geworben. Was für ein Irrtum!
       
 (IMG) Bild: „Das Streikrecht zur Diskussion zu stellen, ist ein Irrtum“. Streik bei Amazon in Bad Hersfeld.
       
       Glaubt man den Wehklagen der Arbeitgeber, dann steht mit dem
       Koalitionsvertrag der Untergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland bevor.
       Dabei sollten sie sich freuen. Nach Jahren eifriger Lobbyarbeit durch die
       Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wollen CDU und
       SPD die Tarifeinheit, also den Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“,
       nun per Gesetz vorschreiben.
       
       2010 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Rechtsprechung verändert
       und den Grundsatz endgültig aufgegeben. Was die Richter ad acta legten,
       will die Politik zurückholen. Und greift damit in das Streikrecht ein.
       
       Die BDA konnte sich bei ihrer Kampagne anfangs auf prominente Verbündete
       stützen: 2010, kurz nach dem Urteil des BAG, zogen der Deutsche
       Gewerkschaftsbund (DGB) und die BDA die Forderung nach Tarifeinheit per
       Gesetz gemeinsam aus der Schublade. Die Idee: Berufsgewerkschaften wie der
       Marburger Bund (Ärzte), die GdL (Lokführer) oder Cockpit (Piloten) sollen
       entmachtet werden.
       
       Was die BDA will, ist klar: Streiks eindämmen, die aufgrund der
       Schlüsselstellung von Beschäftigten die wirtschaftlichen Abläufe
       empfindlich treffen können. Die Tarifeinheit verstehen die Arbeitgeber
       dabei recht eindimensional. Sie wird beschwört, wenn es darum geht,
       Berufsgewerkschaften auszubremsen, die höhere Lohnabschlüsse als die
       DGB-Organisationen durchsetzen. Und missachtet, wenn mit Hilfe
       arbeitgeberfreundlicher Gewerkschaften DGB-Tarife unterlaufen werden
       können.
       
       Den DGB indessen trieben machtpolitische Erwägungen an. Und die Angst, es
       könnten mit dem BAG-Urteil reihenweise neue Berufsgewerkschaften entstehen.
       Denn den Dachverband und seine Einzelorganisationen eint der vernünftige
       Anspruch, dass alle Beschäftigten eines Betriebs oder einer Branche
       gemeinsam für Verbesserungen streiten sollten. Das schließt ein, dass die
       Stärkeren nicht allein für sich herausholen, was möglich ist.
       
       Dieser Anspruch ist durch die Zersplitterung der Arbeitsverhältnisse immer
       schwieriger umzusetzen. Aber die DGB-Gewerkschaften sind schlecht beraten,
       deswegen nach dem Gesetzgeber zu rufen. Solidarität unter Belegschaften zu
       stiften, kann für sie nur eine politische Aufgabe sein. Wer hingegen
       legitime Konkurrenzgewerkschaften per Zwang und mithilfe der Politik aus
       dem Rennen werfen will, verliert an Ansehen und schafft sich viele Feinde.
       
       ## Das Vorhaben bedeutet, das Streikrecht einzuschränken
       
       Ein zweiter Grund: Gesetzliche Regelungen zur Tarifeinheit sind ohne
       Eingriffe in das Streikrecht nicht zu haben. Denn der kleineren
       Gewerkschaft im Betrieb muss die Möglichkeit entzogen werden, einen
       Tarifvertrag abzuschließen und dafür streiken zu können. Damit schränkt man
       grundgesetzlich verbriefte Rechte ein. Auch wenn mancher Fürsprecher der
       Tarifeinheit behauptet, Eingriffe wären ohne Kollateralschäden möglich.
       
       Auch aus diesem Grund rebellierte die Ver.di-Basis gegen den
       BDA-DGB-Vorstoß, den Ver.di und ihr Vorsitzender Frank Bsirske mit
       vorangetrieben hatten. 2011 entzog Ver.di dem Projekt nach längerer
       Diskussion schließlich die Unterstützung. Daraufhin ruderte auch der DGB
       offiziell zurück.
       
       Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass die Spitzen der meisten
       DGB-Gewerkschaften, darunter die IG Metall und die IG BCE, bis heute das
       Vorhaben gut finden. Obwohl man beteuert, Einschränkungen des Streikrechts
       lehne man ab. Das ist ein ziemlich lahmer Einwand und klingt danach, als
       hätte man die Folgen des Ganzen nicht ausreichend durchdacht oder
       durchdenken wollen. Die Frage ist zudem, ob man das Feld der
       Kräfteverhältnisse und die Entwicklungen in Deutschland und Europa richtig
       einschätzt.
       
       ## Es gibt keinen Handlungsdruck
       
       Mit dem Ruf nach Tarifeinheit haben die Gewerkschaften ohne Not geholfen,
       Eingriffe in das Streikrecht zu legitimieren und möglicherweise ein Gesetz
       anzustoßen, auf das sie am Ende nur noch wenig Einfluss nehmen. Und das, wo
       sich alle Schreckenszenarien nicht bewahrheitet haben: Auch drei Jahre nach
       dem BAG-Urteil hat sich keine einzige durchsetzungsfähige
       Berufsgewerkschaften neu gegründet, es gibt keinen Handlungsdruck. Der
       Istzustand verbessert sogar die Situation der Beschäftigten. Denn nach dem
       BAG-Urteil kann ein speziellerer Haustarifvertrag einen Flächentarifvertrag
       nicht mehr verdrängen. Genau das aber war in der Vergangenheit ein
       Einfallstor für arbeitgeberfreundliche Gewerkschaften.
       
       Das Streikrecht zur Diskussion zu stellen, ist ein Irrtum. Es öffnet das
       Feld für weitere Forderungen, die arbeitgebernahe Institute und Juristen
       sowie die Monopolkommission, die die Bundesregierung berät, bereits
       vorbringen. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) vom
       September macht dabei klar, wohin die Reise gehen soll: Zu einer
       allgemeinen Einschränkung des Streikrechts bei „Arbeitskämpfen in der
       Daseinsvorsorge“.
       
       Bei der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Stiftung hat man dazu schon einen
       Gesetzentwurf erarbeiten lassen. In einem der streikärmsten Länder Europas
       sollen demnach Arbeitsniederlegungen in Unternehmen der
       Kommunikationsinfrastruktur oder bei Banken, im Gesundheitswesen, bei
       Energie- und Wasserversorgern, der Feuerwehr, der Müllentsorgung, im
       Verkehrswesen und Erziehungssektor beschnitten werden. Die Begründung: Sie
       könnten die Grundrechte Dritter einschränken. Die Initiative zielt so auch
       auf kommunale Bereiche, in denen wegen der Schuldenbremse weitere
       Einsparungen drohen und Belegschaften bereits begonnen haben, für mehr
       Personal und die Qualität öffentlicher Versorgung zu streiten.
       
       Vorstöße gegen das Streikrecht gibt es immer wieder. In etlichen Ländern
       Europas sind sie in der Krise rabiat und erfolgreich. Arbeitsniederlegungen
       werden dort kurzerhand per Dienstverpflichtung und Notstandsregelungen
       eingeschränkt, Flächentarifverträge handstreichartig abgeschafft. Auch
       deswegen muss man das Streikrecht in Deutschland ohne Abstriche
       verteidigen. Doch ob die DGB-Gewerkschaften die Voraussicht besitzen, wenn
       es Ernst wird, gegen einen Vorschlag zu opponieren, den sie mit in die Welt
       gesetzt haben? Viel spricht nicht dafür.
       
       18 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Völpel
       
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