# taz.de -- Politikfreie Zone in Sotschi: Homo-Bar weit weg von Putin
       
       > Ein Schwulenclub in Sotschi wird der Hotspot der Winterspiele im Februar
       > 2014 sein. Im „Majak“ wird gefeiert und nicht politisiert.
       
 (IMG) Bild: Flanieren auf der Promenade in Sotschi.
       
       SOTSCHI taz | Nachts auf der Promenade von Sotschi. Ein Flachbau. Eine
       dunkle Tür. Kein Schild darüber, aber eine Kamera. Mal klingeln. Mehrere
       Herren stehen im kleinen Eingangsflur. Sie fragen irgendwas auf Russisch.
       „Majak?“, frage ich. Sie antworten. Wieder auf Russisch. Wieder verstehe
       ich kein Wort. „Cabaret Majak?“, frage ich noch mal. Die Herren lächeln und
       geben den Weg frei.
       
       War das „Cabaret“ vor dem Namen des Clubs nun so etwas wie das „Simsalabim“
       von Ali Babas Räubern? Egal. Drin. Und es wird bis zum kommenden Morgen der
       letzte Moment sein, an dem ich das Gefühl habe, hier irgendwas
       Konspiratives, irgendwie Verbotenes zu tun – eigentlich hätte ich mehr von
       solchen Eindrücken erwartet, schließlich bin ich im „Majak“, dem
       Schwulenclub in Russlands Olympiastadt Sotschi, wo schon Zivilpolizisten
       viel zu nah und aggressiv an einen herantreten, wenn man sich erdreistet,
       den Bahnhof zu betreten oder dort verloren herumsteht, weil man die
       kyrillischen Schriftzeichen auf der Leuchttafel nicht lesen kann.
       
       Und hier soll nichts passieren? Hier? In Russland hat Präsident Wladimir
       Putin im Sommer dieses Jahres ein Gesetz unterzeichnet. In Russland drohen
       diesem zufolge all jenen Geldbußen, die Homosexualität in der
       Öffentlichkeit positiv darstellen – auch Ausländer können bis zu 15 Tage
       inhaftiert und ausgewiesen werden. In Russland gibt es Jugendliche, die
       Jagd auf andere Jugendliche machen, weil diese homosexuell sind oder
       scheinen, die sie demütigen, treten und schlagen – und die Videos ihrer
       Taten anschließend im Internet veröffentlichen.
       
       In einen Schwulenclub in Sotschi zu gehen, das muss also aufregend sein.
       Ein Abenteuer. Homosexuelle, die ihr Leid klagen. Das letzte Refugium der
       Unterdrückten. Eine Rettungsinsel. Journalisten – mich eingeschlossen –
       denken so. Ich treffe einen niederländischen Reporter, Die Zeit war auch
       schon hier, das ZDF, der Schweizer Tages-Anzeiger, das Onlineportal The
       Daily Beast, der Fernsehsender NBC.
       
       Roman Kochagow ist einer von zwei Betreibern des Clubs. Nachdem ich die Tür
       passiert habe, sehe ich ihn am Eingangstresen. Im Gespräch mit Zeit Online
       hat Kochagow sich betont unpolitisch gegeben: „Putins Gesetz gegen Schwule
       ist gar kein Problem“, meinte er und erzählte davon, dass er den Club schon
       neun Jahre betreibe und Sotschi halt viel liberaler sei als andere Gegenden
       Russlands. Deshalb sei er auch von Moskau ans Schwarze Meer gezogen. „Hier
       hat wegen dieses Gesetzes niemand ein großes Fass aufgemacht.“
       
       ## Kitschig ohne Trash
       
       Wie dem auch sei: Der Club ist aufgebaut wie ein Ballhaus – nur mit
       tieferen Decken und ohne Stuck. Am Kopf des Saals eine Bühne, davor die
       kleine Tanzfläche, hufeisenförmig Tische rundherum. Es ist plüschig, ohne
       ranzig zu wirken. Kitschig ohne Trash. Und elegant, irgendwie.
       
       Man wird am Platz bedient. Schnell und freundlich. Der Wodka kommt in
       Karaffen. Fünf Zentiliter kosten drei Euro, ein Bier vier, Rum-Cola auch.
       Das ist günstig. Sotschi ist sonst teuer.
       
       Bier, Wodka, Rum-Cola, Bier, Wodka, Rum-Cola, Rum-Cola, Rum-Cola, Wodka,
       Rum-Cola, Wodka. Tanzen gehen. Der Dancefloor ist mit leuchtenden Kacheln
       ausgelegt. Die Musik: ebenso leuchtender Dance-Trash. „What does the Fox
       say?“ von Ylvis zum Beispiel. Ich könnte mir kaum einen passenderen Ort für
       dieses bizarre Lied vorstellen. Die Tanzfläche ist voll, es scheinen ebenso
       viele heterosexuelle Frauen hier zu sein wie homosexuelle Männer. Und
       niemand schaut irgendwen schief an. Wie du tanzt – egal. Machst du Pause –
       egal. Was du trinkst – egal. Rauchen? Klar, drin.
       
       ## Zwei Stunden Travestieshow
       
       Immer um Mitternacht muss für knapp zwei Stunden die Tanzfläche geräumt
       werden. Die Travestieshow beginnt. Brenda Bond und vier weitere Damen
       tanzen und singen in opulenten Kleidern. Abba zum Beispiel, oder Marylin
       Monroes „Diamond’s are a girl’s best friend“. Zwei Männer im Publikum
       springen immer wieder auf, sie klatschen ekstatisch. Ein Klatschen, bei dem
       der gesamte Oberkörper mitgeht, bei dem sich so weit in Richtung Bühne
       vorgebeugt wird, wie es die eigene Körperspannung zulässt. Ein Klatschen,
       das man hierzulande nur noch aus Filmen kennt.
       
       Wir sind vermutlich zu satt, zu überflutet mit derlei Auftritten, wir haben
       es verlernt, so zu applaudieren – oder wir haben es uns bewusst abgewöhnt.
       Am Ende wird einer der beiden schüchtern zur Bühne gehen und Brenda Bond in
       ihrem weißen Kostüm Blumen überreichen.
       
       Das „Majak“ ist wirklich ein Ort, an dem sich jede und jeder fallen lassen
       kann, unbeschwert durch die nahezu totale Abwesenheit der Politik. Hier
       wird der von Las Vegas kopierte Spruch „Was in Sotschi passiert, bleibt in
       Sotschi“ noch einmal runtergebrochen: „Was im Majak passiert, bleibt im
       Majak.“ Oder im Darkroom des Majak. Wer hier trinkt, tanzt, feiert versteht
       den Eigentümer Roman Kochagow. Hier wird das Draußen ausgeblendet.
       
       So ähnlich muss es auch im Berlins der späten Weimarer Zeit gewesen sein:
       Draußen wüteten Braune und Rote, doch drinnen tanzten Transvestiten. Doch
       die Vorstellung, dass die da draußen schon merken würden, wie schön diese
       Orte sind und wie befreiend, trog schon damals.
       
       ## Alles nur ein Mythos?
       
       Oder trügt der Schein im „Majak“? Ist Sotschi nicht mehr die freisinnige
       Stadt am Meer, die sie schon zu Sowjetzeiten gewesen sein soll? Muss hier
       gar keiner mehr tolerant sein? Schließlich bezeichnete es Clubchef Kochagow
       schon als „Mythos“, dass es überhaupt noch eine Homosexuellencommunity in
       Sotschi gebe. Schwule und Lesben würden Sotschi verlassen, behauptet er.
       Und verweist darauf, dass nur noch ein Drittel seiner Gäste schwule Männer
       seien – und die anderen Frauen und Männer, die die Nähe von Frivolität und
       Underground schätzen.
       
       Wer hier nach mahnenden Opfern sucht, schnappt zwar ein paar Zitate auf,
       vom Wunsch so leben zu können wie Homosexuelle im Westen, oder von
       heterosexuellen Frauen, die zwar hier feiern, aber dennoch der Meinung
       sind, dass so etwas wie die sexuelle Orientierung doch bitte schön in einen
       solchen Club, ins Private gehöre und nicht öffentlich gelebt werden sollte.
       Doch die große Angst der Unterdrückten ist hier zwischen blinkender
       Tanzfläche und großem Tresen nicht zu spüren.
       
       Stattdessen erleben alle, egal ob zugereist oder einheimisch, ob homo-,
       hetero- oder gar nicht sexuell, vor allem eines: eine großartige Party –
       und damit hat Kochagow mit seinem „Majak“ schon genug Dienst an der
       Gesellschaft getan.
       
       Ich bin am nächsten Abend gleich wieder hin. Auch wenn es immer heißt, dass
       sich schöne Abende nicht einfach wiederholen lassen, dass sich ein Gefühl
       nicht so einfach wiederherstellen lässt – im „Majak“, das muss ich sagen,
       klappt sogar das.
       
       Jürn Kruse, 28, würde seinen Weihnachtsbaum gern auf eine Tanzfläche
       stellen. Er verbringt Heiligabend bei den Eltern seiner Freundin in
       Seevetal.
       
       24 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürn Kruse
       
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