# taz.de -- Filmstart „The Wolf of Wall Street“: Charaktermasken des Kapitals
       
       > Rasant, dynamisch, unausweichlich: Martin Scorseses Finanzkrimi „The Wolf
       > of Wall Street“ mit einem glamourösen Leonardo DiCaprio.
       
 (IMG) Bild: Auf einem irren Trip – Leonardo DiCaprio als Aktienhändler Jordan Belfort in Scorseses „The Wolf of Wall Street“.
       
       Der amerikanische Traum in seiner geläufigen Variante lässt den
       Tellerwäscher zum Millionär werden. Die finanzielle Abwandlung davon ist
       die vom Groschensammler, der eines Tages über ein Vermögen verfügt. „A
       penny saved is a penny got“, zu Deutsch: „Kleinvieh macht auch Mist.“
       
       Dass Reichtum auf Mist gebaut sein könnte, das ist eher ein
       geldtheoretischer Verdacht, der sich in Martin Scorseses neuem Film „The
       Wolf of Wall Street“ aber wuchtig und praktisch bestätigt. Scorsese erzählt
       die Geschichte eines gewissen Jordan Belfort, den es tatsächlich gab, der
       nach dem Börsenkrach vom Oktober 1987 noch einmal von vorne anfing. Und
       zwar mit „penny stocks“, also mit Aktien handelte, die auch Kleinanleger
       zeichnen konnten.
       
       Mit oftmals telefonischen Betrügereien wurden Belfort und sein
       Finanzunternehmen so zu einer Institution an der Wall Street. Irgendwann
       war für die Behörden nicht mehr zu übersehen, dass einige Praktiken illegal
       waren. Und damit krachte alles in sich zusammen. Jedoch auf eine Weise, die
       bis heute für die meisten Verfahren gegen kriminelle Machenschaften von
       Banken und Anlegern gilt: Sie enden nicht mit einer Verurteilung, sondern
       mit einem Deal.
       
       Nach der Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe arbeitet der reale Belfort
       heute als Motivationstrainer. Dass Belforts Geschichte, die er unter dem
       Titel „The Wolf of Wall Street“ in einem sehr erfolgreichen Buch selbst
       erzählte, für Martin Scorsese ein attraktives Sujet ist, liegt auf der
       Hand.
       
       ## Unausweichliche Entzauberung
       
       Der italoamerikanische Regisseur interessiert sich seit längerer Zeit schon
       für die Schattenseiten der Selfmadekultur („Aviator“), aber auch für die
       männerbündischen Gesellschaften, die am Rande der Legalität ihre Geschäfte
       machen.
       
       In dem Mafia-Epos „Casino“ (1995) weitete sich sein Blick dabei zum ersten
       Mal auf jene Ära, die er nun mit „The Wolf of Wall Street“ neuerlich
       aufsucht: die Zeit des finanzialisierten Kapitalismus, dem auf der
       Habenseite seiner Protagonisten in der Regel Unsummen von Schwarzgeld
       entsprechen, Kapital, das als solches allerdings auch eine Last ist.
       
       Scorsese nimmt bei diesen Geschichten als Filmemacher immer regelrecht
       Schwung auf, es ist ein bisschen, als wäre er nur dann so richtig dabei,
       wenn Männer ihren Egos die Zügel schießen lassen. Dann bekommen auch seine
       Steadycam-Fahrten, seine rasanten Montagen, seine Rudel-Choreografien
       Dynamik und bilden so eine Voraussetzung für die unausweichliche
       Entzauberung.
       
       ## Die Ära der Yuppies
       
       Seit „Casino“, zu dem „The Wolf of Wall Street“ beinahe so etwas wie eine
       halbe Fortsetzung und ein verfremdetes Remake ist, hat sich vor allem eine
       große Veränderung ergeben. Die legendären Scorsese-Männer sind alt
       geworden. Robert De Niro und Joe Pesci passen nicht mehr in die Ära der
       Yuppies. Und in Leonardo DiCaprio gibt es längst einen Nachfolger im
       Universum des ebenso traditionsbewussten wie bilderstürmerischen
       Regisseurs.
       
       Der Junge, der einst mit dem letzten Brett der „Titanic“ von dannen sank,
       ist ein glamouröser Leading Man geworden, der seit „Gangs of New York“ die
       Scorsese-Projekte prägt. In der Rolle des Jordan Belfort lässt DiCaprio
       schauspielerisch alles auf ein „High“ hinauslaufen: Drogen, Geld und Sex
       als eine Art Perpetuum mobile. Jonah Hill, der als verrückter Sidekick
       Donny Azoff neben Belfort agiert, ist für den Übergang in die neurotischen
       Bereiche zuständig, sodass DiCaprio umso strahlender die Verführungskraft
       der Destruktivität hervorheben kann.
       
       Die „moralische Erzählung“, als die „The Wolf of Wall Street“ zweifellos
       gemeint war, bekommt dadurch einen zwiespältigen Charakter. Scorsese ist
       offenbar fasziniert von der Transgression, die in den Geschäften der Wall
       Street das epochal naheliegende Medium findet, die aber mit Blick auf sein
       Gesamtwerk eher so etwas wie eine Macho-Konstante ergibt. Dass sich nun in
       den USA auch Leute zu Wort melden, die dem Film „Zynismus“ oder „Amoral“
       vorwerfen, verwundert also kaum.
       
       ## Grenzen der Übertreibung
       
       Die Gründe dafür sind allerdings komplex. Scorseses Sicht ist von einem
       tiefen Misstrauen gegenüber Institutionen geprägt. Und seine entfesselten
       Helden sind zumeist Freiheitskämpfer gegen das banale Mittelmaß
       postheroischer Gesellschaften. Dass er für diese Konflikte auch eine im
       US-amerikanischen Kino relativ einzigartige Filmsprache gefunden hat,
       verleiht ihm selbst die Aura eines Außenseiters, der das Idiom des
       klassischen Hollywood in die Zeitstrukturen der beschleunigten Moderne
       überträgt.
       
       Von der Geschichte des Jordan Belfort bleibt am Ende des Films allerdings
       nicht viel mehr als die Erkenntnis, dass dem gegenwärtigen System durch
       Übertreibung nicht beizukommen ist. Dass das alles im Detail und auch im
       großen Bogen ein irrer Trip gewesen sein muss, streckt Scorsese auf drei
       Stunden, in deren Verlauf sich schließlich die Höhepunkte zu wiederholen
       beginnen. Der Film gerät unter denselben Druck, den er für seine
       Protagonisten nachvollziehbar machen will.
       
       Mit viel Trara lässt Scorsese in „The Wolf of Wall Street“ eine Ära Revue
       passieren, die vor dem Hintergrund des automatisierten
       Kleinvieh-macht-Mist-Tradings mythische Qualität annimmt: Was waren das für
       Zeiten, als der Kapitalismus von Männern gemacht wurde, die der Gier noch
       eine Fratze verliehen, für die selbst Leonardo DiCaprio sich ein wenig ins
       Zeug legen muss.
       
       15 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Rebhandl
       
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