# taz.de -- Spike Jonzes neuer Spielfilm „Her“: Sex für die Ohren
       
       > Man nenne es ruhig Science-Fiction. Eigentlich aber ist „Her“ von Spike
       > Jonze ein Versuch über Gefühle im technischen Zeitalter.
       
 (IMG) Bild: Man lernt sich kennen: Theodore – Samantha, Samantha – Theodore!
       
       In der Benutzeroberfläche ist ein Loch. Es befindet sich rechts am Kopf
       eines nicht mehr ganz jungen Mannes namens Theodore. Er ist das Interface,
       das Loch ist sein Ohr. Ins Ohr steckt er sich, wenn er morgens erwacht, ein
       Gerät, aus dem eine Stimme kommt. In diese Stimme ist Theodore verliebt.
       
       Wie könnte er nicht? Die Stimme gehört Scarlett Johansson, sie ist, so ganz
       ohne Körper, so sexy wie nie zuvor: ein wenig rau, die Spur kokett,
       umschmeichelt sie einen Junggesellen der nahen Zukunft. Die Stimme trägt
       den Namen Samantha. Sie sucht ihn sich aus, denn Samantha hat keine Eltern.
       Sie ist ein Programm, ein Betriebssystem.
       
       Das ist die Geschichte von „Her“, dem neuen Film von Spike Jonze: Mensch
       liebt Maschine. Maschine „liebt“ Mensch. Der Gehörgang ist das
       Geschlechtsteil, das Smartphone ist das Auge. Das künftige Gestell wächst
       mit den Sinnesorganen zusammen.
       
       In Lars von Triers neuem Film „Nymph()maniac“ sagt die Protagonistin Joe
       einen Schlüsselsatz menschlicher Beziehungsarbeit: „Fülle alle meine
       Löcher.“ In „Her“ sehen wir den Versuch, ein Loch zu privilegieren. Das Ohr
       hat keinen G-Punkt, und es lässt sich nicht prostatamassieren. Stattdessen
       führt es direkt ins Hirn. Und auch wir, die wir dieser Geschichte im Kino
       zuschauen, werden an diesen Prozess angeschlossen.
       
       ## Samantha lernt
       
       Auch für uns ist das Betriebssystem Samantha nur eine Stimme. Allerdings
       eine, die einem Star gehört, von dem wir schon eine Menge Körper gesehen
       haben. Doch das ist eher etwas, was uns von Theodore trennt. Der weiß
       wirklich nichts über diese Stimme. Sie ist ihm viel zu nahe, als dass er
       sich dazu viel überlegen könnte.
       
       „Her“ ist ein Science-Fiction-Film, allerdings von der Sorte, die sehr
       direkt an die Lebenswelt von heute oder sogar von gestern anschließt.
       Wesentliche Elemente des Zukünftigen sind de facto Rückgriffe auf die
       fünfziger Jahre. Theodore trägt die Hose wieder so hoch über dem Bauch wie
       einstmals Gert Fröbe. Er ist allerdings nicht so dick, eher das Gegenteil.
       
       Joaquín Phoenix, der mit diesem Porträt eines labilen Einzelgängers an
       seine große Performance in „The Master“ anschließt, zeigt uns in Theodore
       einen neuen Cary Grant, einen potenziellen Herzensmenschen, dem aber das
       Herz kalt geworden ist. Er ist einsam. Also bestellt er online ein
       „Betriebssystem“. Das System gibt sich den Namen Samantha. Und es beginnt
       zu lernen.
       
       Gibt es ein soziales Lernen für eine Software? Das genau ist der Clou von
       „Her“. Spike Jonze, der selbst das Drehbuch geschrieben hat, sucht nach
       diesem Umschlagpunkt, an dem Rechenleistung zu richtiger Intelligenz wird.
       Ob er ihn erreicht oder ob, genauer gesagt, Samantha ihn erreicht, muss
       offenbleiben.
       
       ## Halb futuristisch, halb retrokomfortables Design
       
       Doch das ist auch nicht entscheidend. Denn das Betriebssystem ist bei allem
       Staunen, das es im Detail auslösen mag, und bei aller Liebe zur diskursiven
       Nuance, mit der Jonze es entwirft, nur das, was die eigentliche Geschichte
       ergibt. Wir sind, als Menschen, natürlich bei Theodore. „Her“ ist einmal
       mehr ein Versuch über die Ordnung der Gefühle im technischen Zeitalter. Und
       das halb futuristische, halb retrokomfortable Design des Films weist die
       Richtung des prinzipiellen Verdachts, auf den Jonze hinauswill: Mit den
       neuen und gar mit den kommenden technischen Regimes wird es die Liebe nicht
       leichter haben.
       
       Zu perfekt ist das, was Samantha anbietet, eine Gefährtin, die so
       anschmiegsam ist, weil sie Theodore zwar ständig ungeheuer präzise
       interpretiert, daraus aber keinen Vorteil zu schlagen versucht. Den
       Machtaspekt im Beziehungsleben unterschlägt Jonze in „Her“ weitgehend, und
       man hat das Gefühl, er tut dies bewusst, weil diese Machtfrage längst
       entschieden ist.
       
       Es ist jetzt 15 Jahre her, also eine halbe Ewigkeit, dass der erfolgreiche
       Musikclip-Regisseur Jonze mit „Being John Malkovich“ einen der
       Schlüsselfilme der ausgehenden Postmoderne vorlegte. Das Drehbuch stammte
       damals von Charlie Kaufman, der Schlüsselbegriff in dieser waghalsigen
       Fantasie über das Reisen zwischen Subjektivitäten war „vessel“, also so
       viel wie: „Gefäß“ oder „Gefährt“. Der Körper ist ein Raumschiff, in dem ein
       Geist durch die Zeit fährt. Manchmal findet jemand einen Kanal, um in ein
       anderes „vessel“ zu schlüpfen.
       
       Das alles wurde in „Being John Malkovich“ zu einem höchst komplexen
       Regressionsszenario zusammengebastelt, in dem nie ganz klar war, ob das
       Gefährt nun ein schnödes Gefängnis ist oder ein unendlicher Kosmos.
       
       ## Waghalsige Fantasie
       
       Es wäre angebracht, „Her“ an diesem Kreuzungspunkt der Filmgeschichte zu
       messen. Es geht Jonze nicht darum, nach der Mode der Postmoderne das
       Prinzip der Identität so lange auszuhöhlen, bis es uns zu unserem
       Wunschselbst zurückführt. Das bürgerliche Familiendrama bildet den
       Hintergrund für „Her“. Theodore hat eine gescheiterte Ehe hinter sich, eine
       eminent objektwahlverwandte Nachbarin wohnt im Gebäude, er hat also
       Optionen im richtigen Leben.
       
       Doch er ist über dieses Loch an ein System angeschlossen, das ihm
       vollkommen personalisiert gegenübertritt und das doch in dem besten Moment
       des ganzen Films zu erkennen gibt, dass auf der anderen Seite ungeheure
       Prozesse im Gange sind, ein gigantisches Simultanschach der Gefühle, bei
       dem wir im Grunde von vornherein matt gesetzt sind.
       
       Es gibt noch eine zweite sehr schöne Idee in „Her“. Es ist die, mit der der
       Film beginnt. Theodore hat ja auch einen Beruf. Und zwar einen, der im
       Zeichen einer klassischen Schule der Gefühle steht. Theodore schreibt
       Briefe. Nicht für sich, sondern für Menschen, die etwas mitteilen wollen
       und das selber nicht so gut hinkriegen. Theodore findet die richtigen
       Worte. Doch wie tut er das? Er spricht sie aus. Er diktiert die Briefe
       einer Software, die daraus handschriftliche Dokumente macht, die dann,
       hübsch verpackt, zugestellt werden können.
       
       Theodore ist also auch eine Stimme, ein Betriebssystem. Wir können in „Her“
       also beobachten, wie Systeme einander beobachten und dabei nach Gefühlen
       suchen, die eigentlich die unseren sind.
       
       27 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Rebhandl
       
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