# taz.de -- Debatte Exponat Guillotine: Soll man ein Nazi-Fallbeil zeigen?
       
       > Die Nationalsozialisten ließen in München einst über 1.000 Menschen mit
       > dem Fallbeil hinrichten. Der Fund der Guillotine hat eine Kontroverse
       > ausgelöst.
       
 (IMG) Bild: Erfunden vom französischen Arzt Joseph-Ignace Guillotine.
       
       BERLIN taz | Alois Weiß geriet ins Schwärmen: „Die beste, die ich
       kennengelernt habe, ist die Münchner Maschine. Ein alter Typ zwar, aber
       gerade deshalb praktisch, weil alles sehr einfach konstruiert ist. Jeden
       kleinsten Defekt findet man bei der Probe sofort.“ Der Mann sprach nicht
       von einem Auto – sondern von seiner Guillotine.
       
       Alois Weiß war von 1941 bis 1943 Gehilfe des Münchner Scharfrichters Johann
       Reichhart und als solcher damit betraut, unterschiedslos
       Widerstandskämpfern, Zwangsarbeitern oder kleinen Dieben den Kopf
       abzuschlagen. Er tat das ohne Gewissensbisse und so erfolgreich, dass die
       Nazis ihn zum Scharfrichter in Prag bestellten. Wie ihm dabei zumute war,
       gab Weiß nach dem Krieg zu Protokoll: „Mir war das erstemal ein bisschen
       komisch, aber ich hab’s überstanden. Ich habe nicht einmal nachts davon
       geträumt. Manchmal leidet man unter Stimmungen, so wie man unterm Föhn
       leiden kann.“
       
       Jetzt ist das Gerät, über das Weiß sich so lobend äußerte,
       wiederaufgetaucht. Die 15 Kilogramm schwere und übermannshohe
       Tötungsmaschine war nicht etwa, wie kolportiert, bei Kriegsende in der
       Donau versenkt worden. Sie befand sich jahrzehntelang in den Händen der
       Regensburger Justiz, bevor diese sie 1974 an das Bayerische Nationalmuseum
       weiterreichte. Dort schlummerte sie im Depot – bis der Referent für
       Volkskunde des Museums, Sybe Wartena, sie vor einiger Zeit zwischen
       mittelalterlichen Daumenschrauben und Richtschwertern entdeckte.
       
       Das Stück ist aber nicht nur für Archivare interessant – mit seinem Fund
       ist auch eine lebhafte Debatte unter Historikern, Pädagogen und anderen
       entbrannt. Im Mittelpunkt steht die Frage: Soll man dieses Mordinstrument,
       mit dem im Gefängnis München-Stadelheim während der NS-Zeit mehr als 1.000
       Menschen umgebracht wurden, der Öffentlichkeit zugänglich machen? Ist das
       ein Objekt für eine Ausstellung, ein dreidimensionales Schmuckstück gar,
       mit dem Schulklassen und Bildungsbürgern das Nazi-Unrecht nähergebracht
       werden kann? Kurzum: Soll man die Guillotine ausstellen oder wegschließen?
       
       ## Kein beliebiges Exponat
       
       Der bayerische Kunstminister Ludwig Spaenle, selbst Historiker, will das
       Für und Wider bei einem runden Tisch debattieren lassen. Er mahnt zu einem
       extrem sensiblen Umgang: „Es ist kein Exponat, das beliebig in einer
       Ausstellung zu sehen sein sollte“, sagt Spaenle.
       
       Alois Weiß, den Scharfrichtergehilfen, wird man dazu nicht mehr befragen
       können. Der Mann ist seit 1969 tot. Sein Mentor Johann Reichhart verstarb
       drei Jahre später 78-jährig. Aber was diese Männer im Auftrag der
       nationalsozialistischen Justiz – als letztes Glied einer Kette des
       Unrechts, das mit den Gestapo-Spitzeln begann – angerichtet haben, lässt
       sich in Archiven nachlesen. Henker Johann Reichhart, der seine Tätigkeit
       traditionsgemäß in Frack und Zylinder ausübte, war keine Ausgeburt des
       Nationalsozialismus.
       
       Schon seit 1. April 1924 hatte er diesen Posten, war „zuständig für „die
       Ausführung sämtlicher in dem Freistaat Bayern zur Vollstreckung kommenden
       Todesurteil, soweit Vollstreckung durch Enthaupten mit dem Fallbeil
       erfolgt“, wie sein Vertrag festhielt.
       
       In der Weimarer Republik brachte dieses Geschäft jedoch nur wenig ein, denn
       die Zahl der Hinrichtungen blieb gering – mal waren es neun, wie 1925, mal
       gab es nur eine Exekution, wie 1928. Reichhart hielt sich mit allerlei Jobs
       über Wasser: Er verkaufte katholische Traktate, betrieb erfolglos eine
       Gastwirtschaft und verzog schließlich in die Niederlande, wo er einen
       Gemüsehandel eröffnete.
       
       Goldene Zeiten brachen für den Münchner Scharfrichter erst 1933 an. Die
       Zahl der Hinrichtungen stieg bis zum Kriegsbeginn stetig. Die Nazis, auf
       Effizienz bedacht, teilten das Reich in Scharfrichterbezirke ein und
       installierten in den jeweiligen Gefängnissen Guillotinen.
       
       ## Krieg befördert das Geschäft des Henkers
       
       Reichhart reiste mit seinem bis zu 140 Stundenkilometer schnellen Fiat
       Ardita mal nach Stuttgart, wo die 1857 erbaute Guillotine mehrfach zu
       Klagen Anlass gab, mal nach Dresden, Köln oder Weimar, später auch nach
       Wien. Begleitet von seinen drei Gehilfen, darunter Alois Weiß, kam der
       Henker gewöhnlich am Abend vor der Vollstreckung an. Die fahrende
       Mördertruppe wurde im Gefängnis beköstigt und durfte dort auch übernachten.
       Am Morgen nach der Hinrichtung ging es dann weiter – zurück nach München
       zur heimischen Guillotine, oder in eine andere Haftanstalt. 60 Mark erhielt
       Reichhart für den ersten Toten des Tages, für jeden weiteren 30 Mark.
       
       Mit Kriegsbeginn 1939 dehnte das Regime die Anwendung der Todesstrafe immer
       weiter aus. Nun konnte hingerichtet werden, wer ausländische Radioprogramme
       verfolgte und das Gehörte weitergab. Ein Mann wurde umgebracht, weil er
       einen Löffel im Wert von 75 Pfennigen gestohlen hatte, eine Mutter wegen
       Aneignung von Wollsachen. Der polnische Zwangsarbeiter Boleslaw Buczkowsi
       wurde geköpft, weil das Gericht vermutet hatte – ohne dafür Beweise
       vorlegen zu können –, dass er den Hof eines Bauern anzünden wollte. Den
       Vorsitzenden der Nürnberger Jüdischen Gemeinde, Leo Katzenberger, richteten
       sie hin, weil er mit einer „arischen“ Frau ein intimes Verhältnis gehabt
       habe.
       
       Vor allem aber erfolgten die Hinrichtungen wegen des Vorwurfs des
       Hochverrats, also des Widerstands. So gerieten auch die Mitglieder der
       Münchner studentischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ in die Fänge dieser
       mörderischen Justiz. Der Präsident des Volksgerichtshofs, Roland Freisler,
       verurteilte Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst am 22. Februar 1943
       gegen Mittag zum Tode. Gegen 17 Uhr desselben Tages starben sie unter der
       Guillotine von Johann Reichhart in München-Stadelheim. Die jungen
       Widerstandskämpfer waren drei von etwa 12.000 Menschen, die in die Hände
       der NS-Scharfrichter fielen. „Es lebe die Freiheit“, waren Hans Scholls
       letzte Worte.
       
       Zu jenen, die sich gegen das Ausstellen der Guillotine entscheiden würden,
       gehört Birgit Sack. Sie leitet die Gedenkstätte Münchner Platz in Dresden,
       wo während der NS-Zeit, aber auch später in der DDR Hunderte Menschen mit
       dem Fallbeil getötet wurden. Zu den Exponaten gehören hier die alten
       Zellentüren, hinter denen die Menschen auf ihren Tod warten mussten, oder
       ein Bleistift, mit dem ein Häftling Kassiber schrieb. Aber es gibt keine
       Guillotine, wiewohl einige Zeitungen das in diesen Tagen kolportierten.
       
       Sack sagt, sie hielte eine Präsentation des Geräts für „äußerst
       problematisch“ und würde sie nicht ausstellen, weil damit nur „niedere
       Instinkte“ bedient würden. Die Guillotine wäre ein Gruselstück, fürchtet
       sie, dessen Anblick alle Informationen über die NS-Justiz in den
       Hintergrund treten lassen würde.
       
       Ähnlich sieht das Michael Viebig von der Gedenkstätte „Roter Ochse“ in
       Halle, wo zwischen 1942 und 1945 549 Menschen zu Tode kamen. Sollte die
       verschwundene Hallenser Guillotine eines Tage wiederauftauchen, sagt
       Viebig, würde man sie dort „nicht in der Ausstellung präsentieren“.
       Möglicherweise könnte man Teile des Geräts in demontiertem Zustand
       ausstellen.
       
       Martina Staats von der Gedenkstätte in Wolfenbüttel, wo in der NS-Zeit über
       700 Menschen starben, fragt: „Was sollte das für einen Erkenntnisgewinn
       bringen?“ Sie empfiehlt den Münchnern, die Familienangehörigen der Opfer in
       die Diskussion einzubeziehen. Dort, bei dem geplanten
       NS-Dokumentationszentrum hat sich der Gründungsdirektor Winfried Nerdinger
       schon festgelegt: „Ich bezweifle, dass ein solcher Tötungsapparat überhaupt
       in irgendeinem musealen Kontext öffentlich gezeigt werden kann, ohne dass
       er eine fragwürdige Faszination oder nur einen Schauereffekt ausübt.“
       
       ## „Wir schmieren ja kein Blut oder Ketchup dran“
       
       Das Strafvollzugsmuseum im württembergischen Ludwigsburg präsentiert als
       einziges Haus in Deutschland der Öffentlichkeit eine Guillotine, genauer
       gesagt, gleich zwei. Darunter ist eine, die während der NS-Zeit in einem
       Gefängnis betrieben wurde. „Natürlich kann man die nicht so einfach
       hinstellen“, sagt Leiter Erich Viehöfer, aber eingebettet in in eine
       Ausstellung sei das durchaus möglich. „Wir schmieren ja auch kein Blut oder
       Ketchup daran“, sagt Viehöfer.
       
       Auch die Stiftung Weiße Rose schließt eine museale Präsentation nicht aus.
       Ihre Vorsitzende Hildegard Kronawitter erinnert sich, wie sie als
       Jugendliche in Berlin-Plötzensee die Fleischerhaken gesehen hat, an der
       Widerstandskämpfer aufgehängt wurden.
       
       Das habe sie damals sehr beeindruckt. Die Guillotine zeige den
       „Vernichtungswillen des NS-Staates“ und die Tatsache, dass allein die
       Äußerung einer freien Meinung mit dem Tod bedroht war. Nur eine Show dürfe
       man damit nicht machen, sondern müsse das Mordinstrument in den
       historischen Kontext stellen.
       
       Aber wie zeigt man eine NS-Guillotine, ohne dass daraus eine Gruselshow
       wird? Noch ist nicht klar, wann der runde Tisch von Minister Spaenle tagen
       soll. Zunächst müssen noch letzte Zweifel an der Authentizität der
       Guillotine aus dem Bayerischen Nationalmuseum beseitigt werden.
       
       Unmittelbar nach Kriegsende machte man sich da weniger Gedanken. Der
       Münchner Scharfrichter Johann Reichhart durfte nach dem Krieg zunächst
       weiter hinrichten. Im Auftrag der Amerikaner henkte er seine ehemaligen
       Gebieter – mindestens 42 NS-Verbrecher starben von seiner Hand. 1949
       verurteilte ihn eine Spruchkammer zu eineinhalb Jahren Gefängnis. Sein
       Assistent Alois Weiß kam mit einer Geldstrafe in Höhe von 200 Mark davon.
       
       25 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Hillenbrand
       
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