# taz.de -- BVG-Wirtschaftskrimi: „Das ist alles Teil der Strategie“
       
       > Mitschnitte von internen Telefongesprächen zeigen, welchen Anteil externe
       > Berater an dem Verlustgeschäft der Berliner Verkehrsbetriebe hatten.
       
 (IMG) Bild: Bitte entwerten.
       
       Es ist ein schier unglaublicher Wirtschaftskrimi, der sich aus den 480
       Seiten umfassenden Gerichtsdokumenten ergibt, die der taz vorliegen. Die
       Akten sind aus einem Prozess in London, der in der vergangenen Woche
       begonnen hat und in dem ein Deal durchleuchtet wird, der mit einem Verlust
       von 200 Millionen Dollar für die Berliner Verkehrsbetriebe endete. In den
       Unterlagen befinden sich auch viele interne E-Mails, Briefe und Mitschnitte
       von Telefongesprächen.
       
       Jetzt wird das Gericht eine brisante Frage zu klären haben: Wurden die
       Verkehrsbetriebe von einem Anwalt der Kanzlei Clifford Chance bewusst
       getäuscht und hinters Licht geführt? Die Verkehrsbetriebe legen dem Gericht
       zahlreiche Belege vor, mit denen sie nachweisen wollen, dass die Kanzlei
       gegen die Bundesrechtsanwaltsordnung verstoßen hat. Die Kanzlei weist diese
       Vorwürfe zurück.
       
       An dem Prozess in London sind drei Parteien beteiligt. Erstens die Berliner
       Verkehrsbetriebe (BVG), die im Jahr 2007 ein riskantes und hochkomplexes
       Finanzgeschäft mit der Investmentbank JPMorgan abschließen wollen.
       
       Zweitens die Investmentbanker von JPMorgan. Die wollen das Geschäft mit den
       Verkehrsbetrieben abschließen.
       
       Drittens die internationale Großkanzlei [1][Clifford Chance]. Weil dem
       zuständigen Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe [2][bewusst ist], dass er von
       dem Finanzdeal zu wenig versteht, hat er die Kanzlei Clifford Chance mit
       einer rechtlichen Beurteilung des Geschäftes beauftragt. Die BVG bezahlte
       dafür 45.000 Euro an die Kanzlei. In Wirklichkeit arbeitete die Kanzlei
       allerdings im Auftrag der Investmentbank JPMorgan.
       
       Umstritten ist, wie deutlich die Kanzlei den Verkehrsbetrieben BVG gesagt
       hat, dass sie in Wirklichkeit für die Investmentbank arbeitet. In einer
       Stellungnahme der Kanzlei Clifford Chance für die taz heißt es: „Die BVG
       war nie unser Mandant. Wir gaben auf Bitten unserer langjährigen Mandantin
       JPMorgan eine Legal Opinion für einen Dritten ab. Die BVG wusste dies und
       war damit einverstanden.“
       
       ## 14.000 interne Dokumente
       
       Die Verkehrsbetriebe stellen das in [3][ihrem Schriftsatz] an das Gericht
       ganz anders dar. Und sie stützen sich dabei ausführlich auf interne
       Dokumente der Investmentbank und der Kanzlei. Das Gericht hatte die
       Prozessparteien verpflichtet, ihre internen Unterlagen zu dem Fall
       herauszurücken. Allein für JPMorgan betraf dies rund 14.000 Dokumente.
       
       Das Desaster beginnt im Frühjahr 2007: Auf der Suche nach Beratung bei dem
       Deal wenden sich die Verkehrsbetriebe an die Investmentbanker. Die stellen
       dann den Kontakt zur den Anwälten her und versprechen den Verkehrsbetrieben
       [4][am 4. Mai]: „Die Mandatierung erfolgt in jedem Fall direkt durch die
       BVG. Außerdem wird die juristische Stellungnahme natürlich ebenfalls an die
       BVG adressiert."*
       
       Am 9. Mai gibt es den ersten Kontakt zwischen Verkehrsbetrieben und der
       Kanzlei. Der Finanzexperte der Verkehrsbetriebe [5][erläutert] einem Anwalt
       und Miteientümer von Clifford Chance das Geschäft, so wie er es verstanden
       hat. Der Anwalt verschweigt, dass er im Auftrag der Investmentbank
       arbeitet.
       
       ## Die Verkehrsbetriebe verstehen nicht, was sie kaufen
       
       Der Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe schickt dem Anwalt direkt nach dem
       Gespräch [6][eine Mail]: "Wir freuen uns, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, und
       schicken Ihnen bald einen offiziellen Auftrag von unserer Rechtsabteilung."
       
       In den nächsten Tagen studiert der Anwalt die Vertragsunterlagen. Als er
       mit einem Kollegen aus seiner Kanzlei telefoniert, sagt er dem: „Ich
       glaube, dass die BVG nicht versteht, was sie da kaufen.“ Er hingegen
       versteht es offenbar, wie diese Bemerkung zeigt: „Die BVG gibt ihre
       Sicherheit aus dem Leasing-Geschäft auf, anstatt sie gegen eine bessere zu
       tauschen.“
       
       Der Anwalt teilt seine Erkenntnisse – aber nicht mit den Verkehrsbetrieben,
       sondern mit den Investmentbankern von JPMorgan. Er sagt laut einen
       Telefonmitschnitt, der BVG-Finanzexperte [7][sei wohl] „nicht kompetent,
       das zu verstehen“. Das Geschäft [8][sei außerdem] „unüblich für solch ein
       staatliches Unternehmen“. Das sei [9][allerdings] „nicht Teil unseres
       Mandats oder unserer Beratung“. Man werde das „reduzieren auf eine total
       schematische Kernaussage, dass die Verträge, die uns präsentiert wurden,
       handwerklich korrekt sind“.
       
       ## Formaler Auftrag an die Kanzlei
       
       Inzwischen schickt die Rechtsabteilung der Verkehrsbetriebe [10][den Brief]
       ab, mit dem sie die Kanzlei formal beauftragen will. „Wir freuen uns, Sie
       mit einer rechtlichen Stellungnahme zu beauftragen“, beginnt das Schreiben.
       Die Kanzlei solle prüfen, ob durch die Verträge mit der Bank „die
       juristische Position der BVG angemessen gesichert“ ist. Die Kanzlei
       [11][antwortet]: „Wir bestätigen gerne Ihren Auftrag, eine rechtliche
       Beurteilung zu verfassen.“
       
       Eine Woche später ist der erste Entwurf dieser Beurteilung fertig. Die
       Kanzlei schickt den Entwurf [12][an JPMorgan]. Die Banker machen [13][eine
       Reihe von Änderungsvorschlägen, von denen die Kanzlei viele übernimmt].
       
       Erst [14][einen Monat später] erhalten auch die Verkehrsbetriebe erstmals
       die Stellungnahme. Es ist Version Nummer sechs.
       
       ## Ein Krisentelefonat
       
       Der Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe wundert sich: Die Stellungnahme ist
       [15][an die Banker adressiert] statt an ihn. Er [16][mailt an den Anwalt]:
       „Am Anfang des Gutachtens wird meiner Meinung nach nicht deutlich, dass die
       BVG Ihr Kunde ist.“ Und er [17][beschwert sich auch] bei den
       Investmentbankern: „Es muss im Eingangsabsatz klar werden, dass die
       Stellungnahme von uns beauftragt wurde. Die aktuelle Version vermittelt den
       Eindruck, als hätten Sie die Stellungnahme für uns beauftragt, was nicht
       richtig ist.“
       
       Darauf gibt es ein [18][Krisentelefonat] zwischen Bankern und dem Anwalt.
       Was sollen sie jetzt nur den Verkehrsbetrieben erzählen?
       
       Einer der Banker [19][sagt]:
       
       „Wir wollen etwas kommunizieren, das die BVG genau so hören möchte.“
       
       „Ich denke, dass Herr [Mitarbeiter der BVG] glücklich ist, sobald er hört,
       dass die Stellungnahme an ihn adressiert wird.“
       
       „… überzeugend sein, dass Clifford Chance, äh, für die BVG da ist.“
       
       „Herr [Anwalt] versucht es so lange wie möglich alleine zu bewältigen. So
       dass wir nicht … nicht, sozusagen, Clifford Chance hier unterbrechen. Und
       der Eindruck nicht entsteht, wir würden ihm die Worte in den Mund legen.“
       
       „Ha ha ha … Das ist alles Teil der Strategie.“
       
       ## Der Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe widerspricht
       
       [20][Nur im Notfall] würden die Banker sich ins Gespräch einschalten: „Wenn
       Herr [Verkehrsbetriebe] sagt: ’Jetzt will ich aber wirklich von Ihnen
       hören, Herr [Anwalt], Sie arbeiten für mich und für mich alleine’, dann
       müssen wir Herrn [Anwalt] unterstützen und sagen: ’Nein, das ist nicht die
       Konstellation. Aber die Konstellation ist, Sie bekommen das gleiche als ob
       es der Fall wäre’.“
       
       Dann telefonieren alle mit dem BVG-Mitarbeiter. [21][Der Anwalt von
       Clifford Chance sagt] zu Beginn: „Es wäre kein Problem für uns, die
       Stellungnahme an Sie zu adressieren“, die vorher an JPMorgan adressiert
       wurde. „Wir haben damit kein Problem, aber wir müssen auch berücksichtigen,
       dass formal gesehen, äh, JPMorgan und, äh, dass JPMorgan unser Kunde in
       dieser Angelegenheit ist“. Der Anwalt [22][sagt], er wolle „nicht den
       Eindruck vermitteln, dass wir, äh, auch von der BVG in der Sache beauftragt
       worden wären, in Ordnung?“
       
       Der BVG-Mitarbeiter [23][widerspricht sofort]: „Wir haben Sie beauftragt!
       Sie wurden von uns engagiert!“ Und außerdem „bezahlen wir Sie direkt und
       nicht irgendwie indirekt über JPMorgan“.
       
       Der Anwalt [24][sagt]: „Sehen Sie, was die, äh, Zahlung anbelangt, wer am
       Ende zahlt, das hängt davon ab, nun …“
       
       Daraufhin wird der Anwalt von einem Banker unterbrochen. Der [25][sagt zu
       dem Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe]: „Herr [Anwalt] hat gerade gesagt:
       ’Kein Problem’, sie machen es. Es wird nicht an uns beide adressiert. Es
       wird nur an Sie adressiert, und ich denke, Sie bekommen genau, was Sie
       brauchen – nämlich eine Stellungnahme, die für Sie ist, und die kein
       Gefälligkeitsgutachten ist“. Der Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe gibt sich
       mit dieser Aussage zufrieden.
       
       ## „Dürft ihr das überhaupt als staatliche Institution?“
       
       Anschließend telefoniert ein Mitarbeiter der Kanzlei mit einem
       Investmentbanker. Der Mitarbeiter der Kanzlei [26][sagt], er schließe aus
       der Reaktion des Mitarbeiters der Verkehrsbetriebe, dass dieser daran
       glaubt, die Kanzlei würde für die Verkehrsbetriebe arbeiten. [27][Und
       weiter:] „Was wir ihm nicht sagen können, äh, ist natürlich, dass, äh, dass
       wir absichtlich, dass wir das extra nicht so konstruiert haben.“
       
       Denn wenn die Verkehrsbetriebe der Kunde der Kanzlei wären, dann hätte das
       folgende Konsequenzen: „Dann müssten wir uns mit Herrn [Mitarbeiter der
       Verkehrsbetriebe] hinsetzen und ihn erst mal fragen: ’Dürft ihr das
       überhaupt als staatliche Institution? Habt ihr nicht nur die Konditionen
       verstanden, sondern auch die damit verbundenen wirtschaftlichen Aspekte?’“
       
       Die von der Kanzlei schließlich erarbeitete juristische Begutachtung wird
       [28][an den Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe adressiert]. Es [29][heißt
       darin]: „Sie haben von uns eine rechtliche Stellungnahme angefordert (…) zu
       der Frage, ob die Kreditderivatdokumentation unseres Kunden JPMorgan auf
       der Basis der ISDA Kreditderivatdefinitionen (CDD) in juristischer Sicht in
       Übereinstimmung mit den Marktgepflogenheiten ist.“ Das Ergebnis: „Die
       dargestellte Methode zur Bestimmung der Tranchen-Verluste erscheint
       allgemein plausibel berechnet.“
       
       ## Die Verkehrsbetriebe erhalten die Rechnung
       
       Die Kanzlei Clifford Chance schickt schließlich [30][eine Rechnung über
       45.000 Euro an die Verkehrsbetriebe] für die Beratung. Die Verkehrsbetriebe
       bezahlen - und sagen heute, sie hätten erst im Laufe des Gerichtsverfahrens
       durch den Einblick in die internen Unterlagen der anderen Beteiligten
       begriffen, dass die Anwälte von Clifford Chance die ganze Zeit nicht für
       sie, sondern für die Gegenseite gearbeitet haben.
       
       Die Verkehrsbetriebe hatten übrigens zuerst bei einer anderen Kanzlei wegen
       der Beratung angefragt: Bei Freshfields, die die Verkehrsbetriebe vorher
       schon bei komplizierten Finanztransaktionen beraten hatten. Freshfields
       wollte allerdings 100.000 bis 250.000 Euro für die Beratung. Doch so viel
       war im Budget der Verkehrsbetriebe nicht vorgesehen. Durch die Entscheidung
       für Clifford Chance haben die Verkehrsbetriebe also mindestens 55.000 Euro
       gespart. Kurzfristig jedenfalls.
       
       Siehe auch 
       
       Der [31][200-Millionen-Dollar-Deal der Verkehrsbetriebe] und das Versagen
       von Chef-Aufseher Thilo Sarrazin
       
       Kommentar: [32][Der Betrug an dummen Deutschen] 
       
       * Dieses und die meisten der folgenden Zitate sind doppelte Übersetzung:
       Die Telefonate wurden ursprünglich auf deutsch geführt, die E-Mails auf
       deutsch geschrieben. Die Anwälte der BVG haben für das Gericht alles auf
       englisch übersetzt, die taz hat die Zitate aus den Gerichtsdokumenten
       wieder zurückübersetzt.
       
       27 Jan 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.cliffordchance.com/home.html
 (DIR) [2] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p136/a141403
 (DIR) [3] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html
 (DIR) [4] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p92/a141418
 (DIR) [5] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p93/a141419
 (DIR) [6] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p94/a141771
 (DIR) [7] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p97/a141423
 (DIR) [8] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p97/a141424
 (DIR) [9] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p97/a141425
 (DIR) [10] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p100/a141500
 (DIR) [11] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p101/a22
 (DIR) [12] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p105/a141478
 (DIR) [13] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p106/a25
 (DIR) [14] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p108/a141480
 (DIR) [15] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p109/a141481
 (DIR) [16] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p111/a141482
 (DIR) [17] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p111/a141483
 (DIR) [18] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p112/a141484
 (DIR) [19] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p112/a141484
 (DIR) [20] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p113/a141485
 (DIR) [21] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p114/a141486
 (DIR) [22] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p114/a141490
 (DIR) [23] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p114/a141487
 (DIR) [24] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p114/a141488
 (DIR) [25] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p114/a141489
 (DIR) [26] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p127/a141492
 (DIR) [27] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p128/a141493
 (DIR) [28] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p130/a20
 (DIR) [29] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p131/a141496
 (DIR) [30] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.html#document/p137/a141497
 (DIR) [31] /!131733/
 (DIR) [32] /!131762/
       
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