# taz.de -- Steuerhinterziehung und Moral: Alice und die Sünder
       
       > Die Liste prominenter Steuerhinterzieher wird immer länger. Sie haben die
       > betrogen, denen sie sonst den Unterschied zwischen Gut und Böse erklären.
       
 (IMG) Bild: Allein unter Männern: Alice Schwarzer und andere prominenten Steuerhinterzieher.
       
       WIESBADEN taz | Es geht nicht um Alice Schwarzer. Umso bezeichnender, dass
       ausgerechnet Alice Schwarzer das nicht verstehen will. Bekannt ist
       mittlerweile, dass die Frauenrechtlerin nach einer Selbstanzeige 200.000
       Euro an Steuern aus den letzten 10 Jahren nachzahlen musste. In ihrem Blog
       räumt sie ein, dass das entsprechende Schweizer Konto seit den 1980er
       Jahren besteht. Was mit der Versteuerung früherer Einnahmen wurde, erklärt
       sie nicht.
       
       Damit reiht sich Schwarzer ein in die Liste anderer prominenter
       Steuersünder von Boris Becker über Patrick Lindner, Paul Schockemöhle bis
       zu Freddy Quinn. Und doch sieht sie das Ganze aus ihrer ganz eigenen
       Perspektive: Die Prostitutionsmafia hat die tapfere Aktivistin an das
       gewissenlose Spiegel-Patriarchat verpfiffen, um sie daran zu hindern, der
       Puff-Industrie das milliardenschwere Handwerk zu legen: „Rufschädigung?
       Klar. Zu viele haben in meinem Fall ein Interesse daran. Ein politisches
       Interesse.“
       
       Aber darum geht es gar nicht, ebenso wenig wie um Schwarzer. Wir haben es
       hier mit einer öffentlichen Person zu tun, die große Teile ihres
       diskursiven Kapitals schon lange verspielt hat – und die Reste nun mit
       bemitleidenswerter Borniertheit gegen eine Welt von Feinden verteidigt.
       Hier bemüht sich eine moralische Autorität, mit schwerem Geschütz die
       Hoheit über eine Debatte zurückzugewinnen, die ihr längst entglitten ist.
       Weil die Fragen, die verhandelt werden, weit über Schwarzer hinaus- und uns
       alle angehen.
       
       Ihr Anwalt Christian Schertz machte geltend, die „Denunzierungen und
       Durchstechereien“ könnten sich zu einem „medialen Tsunami“ für die
       Betroffenen auftürmen. Zumal Schwarzer laut eigener Auskunft das
       Millionenvermögen nur deshalb in der Schweiz geparkt hat, um notfalls der
       „Hatz“ entgehen zu können: „Es war einfach da. Zu meiner Beruhigung.“
       
       Wer wollte das nicht nachempfinden bei einer Frau, die so wichtige Kämpfe
       ausgefochten und dabei selbst gerne mal „mediale Tsunamis“ ausgelöst hat?
       Zuletzt hatte sie sich von Bild als Kolumnistin in den Prozess gegen Jörg
       Kachelmann schicken lassen und den Begriff „Unschuldsvermutung“ als „Unwort
       des Jahres“ vorgeschlagen. Und hatte sie nicht auch das Ehegattensplitting
       mit dem Hinweis gegeißelt, es treibe Frauen in die Unselbständigkeit?
       
       ## Regulierung über Erregungen
       
       Auch Selbstgerechte haben einen Anspruch auf Gerechtigkeit. Das
       Steuergeheimnis gilt für Schwarzer im gleichen Maße, wie für Kachelmann die
       Unschuldsvermutung galt – so lange, bis sich jemand aus moralischen
       Erwägungen darüber hinwegsetzt. Gesellschaften regulieren sich aber über
       Erregungen, die sich nicht mit einem Hinweis auf Paragrafen abkühlen
       lassen. Schon gar nicht von Personen, die diese Erregungen oft zu eigenen
       Zwecken zu dirigieren wussten. Und ihre persönliche und politische
       Integrität dafür eingesetzt haben, diese Gesellschaft zu einer besseren zu
       machen.
       
       Ein Klaus Zumwinkel galt bis zu seiner Entlarvung 2008 als Vorzeigemanager
       mit Verantwortungsgefühl. André Schmitz, SPD-Kulturstaatssekretär in
       Berlin, hat ebenfalls Geld in der Schweiz und versucht, „den materiellen
       Schaden“ wieder gutzumachen – weil der moralische irreparabel ist. Uli
       Hoeneß hatte, bevor er überführt wurde, Steuerhinterzieher mit
       populistischem Furor in Talkshows als „Schwerverbrecher“ bezeichnet.
       Zuletzt versuchte Theo Sommer, Grandseigneur der Zeit und publizistisches
       Gewissen des klavierspielenden Bürgertums, sich mit professionaler
       „Schusseligkeit“ selbst einen Reim auf seine hinterzogenen Steuern zu
       machen. 
       
       Die meisten dieser Leute eint weniger die kriminelle Energie – oder das
       Bedürfnis nach „Sicherheit“ – als vielmehr ihre Funktion als moralische
       Levitenleser. Ihre Fallhöhe ergibt sich aus dem Umstand, dass sie insgeheim
       einer Gesellschaft das Geld entzogen haben, der sie öffentlich sonst
       wortreich den Unterschied zwischen Gut und Böse erklären. Im Englischen
       gibt es für diese Position die schöne alte Redewendung „holier than thou“.
       
       Umso wuchtiger nun die Häme derer, die mit den Heiligen Rechnungen zu
       begleichen oder einen ohnehin zynischen Blick auf Gewissensritter haben.
       Genau deshalb ist das fragwürdige und bigotte Selbstverständnis ihrer Elite
       ein Problem der Gesellschaft. Hierin liegt aber auch eine Chance auf die
       Erkenntnis: Kein Mensch ist „holier than thou“, am wenigsten diejenigen,
       die sich selbst dafür halten oder dulden, auf das entsprechende Podest
       gestellt zu werden.
       
       ## Infantile Logik
       
       Eine Götterdämmerung erschüttert nur den, der gerne an Götter glauben will.
       Ein Heldensturz schmerzt nur, wo ein Bedarf an Helden besteht. Die
       infantile Logik einer angeblichen „Vorbildfunktion“ irgendwelcher
       exponierter Gestalten führt am Ende nur dazu, dass man sie sich auch dann
       noch zum Vorbild nimmt, wenn die Nachtseiten dieser Vorbildlichkeit evident
       werden. Demnach wäre man schön blöde, nicht selbst 1.000 ganz legale und
       noch ein paar illegale Steuertricks anzuwenden.
       
       Wer mit dem Zeigefinger auf andere zeigt, deutet immer mit drei Fingern auf
       sich selbst. Umgekehrt weisen, zeigen wir auf uns selbst, drei Finger auf
       andere Leute. Schon kleine Kinder kann man mit diesem Beispiel an die
       komplexe Frage heranführen, was es bedeutet, ein soziales Wesen im Theater
       der Gesellschaft zu sein. Die Person, und sei sie auch noch so öffentlich,
       ist immer „Maske“ und Funktion und eine Kaiserin in neuen Kleidern.
       Natürlich ist sie nackt, was denn sonst? Es kann nicht darum gehen, darauf
       hinzuweisen. Sondern nur darum, ob wir selbst korrekt angezogen sind.
       
       3 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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