# taz.de -- Postmigrantisches Theater in Hamburg: Aller Anfang ist schwer
       
       > Das postmigrantische Theater beim KRASS Festival wendet sich an ein
       > junges Publikum. Eine Begegnung mit neuen und etablierten Talenten.
       
 (IMG) Bild: Eine der jungen Gruppen, die beim KRASS-Festival auftreten, ist Hajusom – hier das Stück „Die Kinder – der Regenmacher“ in Hannover, 2003.
       
       Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg ist selten stolz auf seine
       Investitionen, es sei denn, sie dienen der Ausstattung der Polizei oder dem
       Wohlergehen des Hafens. Das ist in diesem Fall anders: „Kulturbehörde
       fördert das interkulturelle KRASS Festival mit 75.000 Euro“ stand in der
       Pressemitteilung, die zum Festivalstart lanciert wurde. Es ist die zweite
       Ausgabe des Festivals – bei der ersten Ausgabe lag die Förderung durch die
       Stadt noch bei 13.000 Euro.
       
       Der Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) ist das Festival wichtig,
       weil es eine Lücke schließen könnte: Rund 28 Prozent aller Einwohner hat
       Migrationshintergrund, unter den Unter-18-Jährigen sind es rund 45 Prozent.
       Kulturelle Vielfalt prägt die Hansestadt an allen Ecken und Enden. Nur eine
       strahlkräftige Plattform für migrantisch geprägte Theater- und
       Performancekunst gibt es in Hamburg nicht.
       
       Der aus Bosnien stammende Hamburger Branko Simic rennt daher mit seinem
       KRASS Festival, offene Türen ein. Die Idee ist, junge Hamburger Gruppen,
       etwa Hajusom, zusammen mit etablierten Gruppen wie God’s Entertainment an
       elf Tagen in der renommierten Spielstätte Kampnagel zu präsentieren.
       
       Das Festival ist damit einen Schritt weiter als die Lessingtage am Thalia
       Theater, die ihren Schwerpunkt auf Gastspiele legen. Kampnagel ist eher
       bekannt als Ort für durchreisende Künstler. Für die lokale Szene bleibt nur
       das kleine MUT Theater, das sich allerdings schwer tut, Strahlkraft zu
       entwickeln.
       
       ## Auf der Suche nach dem Fatih Akin des Theaters
       
       Interessanter als die Frage des Ortes ist die Frage, ob es in Hamburg
       überhaupt eine migrantisch geprägte Szene für zeitgenössisches Theater
       gibt. Gesucht wäre jemand, der für das Theater das sein könnte, was Fatih
       Akin für den Film ist: Jemand, der die Geschichten der Migranten ästhetisch
       überzeugend aber mit Lokalkolorit erzählen kann.
       
       Die Arbeiten, die bisher auf dem KRASS Festival zu sehen waren, lassen da
       nicht allzu sehr hoffen. Am Eröffnungsabend bleibt das neue Stück von
       Festivalorganisator Branko Simic namens „Abgrund. Ich bin ein
       alchemistisches Produkt“ eine bruchstückhafte Materialsammlung.
       
       Der hanseatische Afghane Faissal Ahmadazy und der hessische Iraner Arash
       Marandi erzählen dem Publikum offenbar autobiographisch geprägte
       Migrationsgeschichten im Klartext und berichten vom Dasein zwischen allen
       Stühlen: „Ich bin ein Leben lang auf der Suche nach dem Ort, an dem ich
       akzeptiert werde.“ Unterbrochen werden die Vorträge durch politische Lieder
       der Chanteuse Frau Kraushaar, durch die Tanzeinlagen dreier Tänzer und
       durch Texte der Schriftstellerin Etel Adnan.
       
       Regisseur Simic hat eher einen inszenierten Vortrag entwickelt, als ein
       künstlerisch formulierendes Theaterstück. Zudem sind die Passagen, in denen
       er nach Bildern sucht, oft plakativ: „Wir wollen der Flüchtlinge gedenken,
       die im Oktober 2013 vor der Küste von Lampedusa ertrunken sind“, heißt es
       beispielsweise. Dann betreten Jugendliche mit Kerzen die Bühne,
       stellvertretend für die gestorbenen Flüchtlinge.
       
       ## Klartext und Puppenspiel
       
       Auch die Musikperformance „Paradise Mastaz“ der hoch gehandelten Gruppe
       Hajusom basiert auf dem Wechsel zwischen Klartext und theatralen
       Umsetzungen in Form von Tanz, Musik und Puppenspiel. Die Performer
       beleuchten unterschiedliche Vorstellungen vom Paradies: Für die
       afrikanischen Flüchtlinge ist das Paradies Deutschland, für die deutschen
       Touristen ist es Afrika, aber eigentlich ist das Paradies da, „wo Menschen
       in Liebe leben“. „Paradise Mastaz“ und „Abgrund“ sind beides eher
       Jugendtheaterstücke. Dies verwässert das Festivalprofil, sorgt aber im
       Zuschauerraum für neue Gesichter.
       
       Bereits beim KRASS Festival-Debüt bemerkte Kampnagel-Intendantin Amelie
       Deuflhard erfreut, das Festival würde Leute anziehen, die sonst nie im
       Theater wären. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das alte
       bildungsbürgerliche Publikum wegbricht. Wer bis dahin nicht herausgefunden
       hat, wie er die nachwachsende, migrantisch geprägte Stadtgesellschaft ins
       Haus holt, bekommt ein Problem.
       
       In Hamburg ist diesbezüglich ein Wettbewerb zwischen Schauspielhaus und
       Thalia Theater zu erwarten. Die neue Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier
       ist an ihrer alten Wirkungsstätte Köln viel gelobt worden für ihre
       Versuche, mit transkulturellen Inszenierungen ein Publikum mit
       Migrationshintergrund anzusprechen.
       
       Kaum hat Beier angefangen, entdeckte das Thalia Theater „Flüchtlinge“ als
       Thema und organisierte Veranstaltungen in der St. Pauli Kirche, in der die
       Lampedusa-Flüchtlinge Zuflucht gefunden haben. Nicht immer gelungen: Eine
       der Veranstaltungen war eine szenische Lesung des Elfriede Jelinek Textes
       „Die Schutzbefohlenen“, bei der Schauspielprofis den Text darboten,
       Flüchtlinge lediglich als Zuschauer beteiligt waren. Frontalunterricht
       statt Integration, aber immerhin war es ein Anfang. Ebenso, wie das KRASS
       Festival erst ein Anfang ist.
       
       11 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Irler
       
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