# taz.de -- Die Wahrheit: Noch und nöcher
       
       > Das Eigenleben der Flick- und Füllwörter im Deutschen führt dazu, dass es
       > immer wieder zu erheblichen Karambolagen kommt.
       
 (IMG) Bild: Manchen Füllwortmetzen möchte man die Sprachwerkzeuge ölen.
       
       Dass es in diesem Text mal wieder um Stil und Sprache geht, dürfte nach der
       Überschrift ja wohl irgendwie klar sein. Nicht dass das Thema, dem diese
       Glosse sich nun also einfach mal widmet, so total neu wäre! Schon bereits
       1919 beklagte Kurt Tucholsky, „die deutsche Umgangssprache“ sei „arg
       heruntergekommen. Das läßt sich vor allem daran beobachten, daß kaum einer
       mehr fähig ist, ohne die nichtssagenden Floskeln auszukommen, die jede Rede
       verunzieren.“
       
       Und seither hat sich das Deutsche immer noch weiterentwickelt, und was
       Tucholsky damals an der gesprochenen Sprache so bemängelte, gilt inzwischen
       ja doch auch für die geschriebene, und man muss dann nur mal einfach einen
       Blick in die Zeitungen und in andere Medien werfen, und man kriegt dann
       absolut einen Beleg nach dem andern.
       
       „Was ist schon die Besetzung einer Bank gegen die Gründung einer Bank“,
       versucht die taz, Brecht zu zitieren, als Occupy-Anhänger in New York ein
       ethisches Geldinstitut ins Leben rufen. Das Göttinger Tageblatt berichtet
       über eine Preisverleihung: „Zum 24. Mal wurde nun der Silberne
       Kaufmannslöffel vergeben“, obwohl es gestern war. Wenn gestern heute ist,
       sind heute und morgen ebenfalls eins, weshalb [1][chessbase.com] bei der
       Schachmannschaftsweltmeisterschaft das deutsche Team warnt: „Die Luft wird
       in den nächsten Runden nun dünner“ – viel besser gewesen wäre selbstredend
       „Die Luft wird dann heute in den nächsten Runden ab morgen nun dünner“.
       
       Gern genommen werden „vor allem auch“ (taz) die Modalpartikel „auch“ und
       „noch“. Meist werden sie unauffällig in den Satz geschmuggelt: „Sybille
       Schnehages humanitärer Einsatz war auch mit einer persönlichen Tragödie
       verbunden“, während „Eusébio bei der WM 1966 mit neun Treffern
       Torschützenkönig wurde und Portugal zudem noch den dritten Platz erreichte“
       (beide Male: taz).
       
       Manche Autoren allerdings verwenden das „noch“ nachgerade noch und nöcher:
       „Anders war es noch Mitte des letzten Jahrhunderts, als noch ganze
       Aktenwände die Behörden und Unternehmen zierten. Damals war Papier noch das
       wichtigste Medium“, schreibt Roland Leonhardt in seiner
       Wirtschaftsanekdotensammlung „Da stecken die Nochs drin!“, halt: „die
       Nullen drin!“ muss es heißen.
       
       Neueren Datums ist der einfach inflationäre Gebrauch des Wortes „einfach“,
       das manche Zeitgenossen einfach in jedem Satz unterbringen und das einfach
       ihrer tief sitzenden Sehnsucht nach einer unkomplizierten, übersichtlichen
       und auch ihnen verständlichen Welt einfach Ausdruck verleiht. „Einfach“
       geht es insbesondere in mündlicher Rede zu, das andere jüngere Modewort
       „dann“ hingegen wird außerdem gern schriftlich missbraucht.
       
       In den meisten Fällen ist es überflüssig, weil die zeitliche Folge bereits
       ohne das Flickwort klar ist. „Doch der Fluss, der im Schwarzwald entspringt
       und dann seine Reise durch zehn europäische Staaten aufnimmt“, verkündet
       der Einsplus-Videotext, „ist in Gefahr“ – vielleicht sollte die Donau ihre
       Reise nicht erst „dann“, sondern vorher aufnehmen. Da Flick- und Füllwörter
       in der Regel ohne Überlegung in die Sätze flutschen, kommt es beim „dann“
       wie bereits beim „nun“ ab und an zu Karambolagen, so im Fall des
       SPD-Politikers Heinrich Wilhelm Kopf. Der war „von 1947 bis 1948 und von
       1957 bis 1959 Innenminister in Niedersachsen, dann von 1950 bis 1951
       Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten“, weil die Zeit
       rückwärts lief.
       
       Zugestanden: Im mündlichen Verkehr nehmen die kleinen Einschiebsel der Rede
       die Härte. „Wann kommst du denn?“ klingt freundlich, „Wann kommst du?“
       klänge barsch. Zu viel Weichspüler darf’s aber nicht sein. „Niemand denkt
       sich mehr etwas dabei, wenn er so daherplappert“, schrieb Tucholsky, „und
       man kann die Flickwörter alle fortlassen, ohne daß der Sinn des Satzes etwa
       verlorenginge“; im Gegenteil, die Sätze gewönnen an Klarheit, Deutlichkeit
       und zuweilen Logik. Klarheit, Deutlichkeit und logisches Denken machen
       Arbeit: Aus diesem Grund erfüllen die Flick-, Füll- und Schwafelwörter doch
       einen Zweck.
       
       Bereits Goethe musste 1821 konzedieren: „Je mehr von Jugend auf das Gefühl
       in mir wuchs, daß man schweigen solle, wenn man nichts zu sagen hat, und
       dagegen das Wohlgedachte auch gut und ohne Stottern hervorgeben solle,
       desto mehr bemerkt ich, daß man aus natürlicher Fahrlässigkeit immer noch
       gewisse Flick- und Schaltwörter einschiebt, um eine sonst tüchtige und
       wirksame Rede, man weiß nicht warum, zu erlängen.“ Wobei „Rede“ wirklich
       die Rede meint und nicht den geschriebenen Text, bei dem es doch eigentlich
       jedem noch an die Hand gegeben ist, sein Elaborat mal durchzusehen und im
       Grunde unnötige Worte und Wörterchen dann einfach so auszujäten – zum
       Beispiel das „auch“ und das „immer noch“, Herr Goethe!
       
       Schließlich liegt in der Kürze ja doch nun mal noch immer die Würze. Also
       fass dich doch einfach nur kurz! Denk daran: Le style, c’est l’homme, wie
       die Franzosen sagen, auf Deutsch: Der Stil ist ja immer irgendwo auch der
       Mensch. Welcher denn nun, wollen wir dann ja mal lieber nicht wissen.
       
       10 Feb 2014
       
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