# taz.de -- Rechtspopulisten in England: Manchester Divided
       
       > Wythenhawe bei Manchester ist traditionelles Labour-Terrain. Doch bei den
       > Nachwahlen zum Unterhaus holen die Rechten der Ukip auf.
       
 (IMG) Bild: John Bickley und sein Wahlkampfbus, der ihn von Tür zu Tür begleitet.
       
       WYTHENHAWE taz | Niemand ist zu Hause, niemand macht auf. Es ist die siebte
       Tür, an die John Bickley klopft. Erst beim achten Versuch öffnet sich die
       Haustür einen Spalt, doch noch bevor er sich überhaupt vorstellen kann,
       knallt sie wieder zu. „Die Labour-Leute waren wohl vor mir da“, sagt er
       scherzhaft. Sie hätten wohl den Menschen geraten, „bloß nicht aufzumachen“.
       Es ist ihm sichtlich peinlich, da die BBC seinen Rundgang für die
       Abendnachrichten begleitet.
       
       John Bickley kandidiert bei der Nachwahl am Donnerstag für die United
       Kingdom Independence Party (Ukip) im Wahlkreis Wythenshawe und Sale East,
       der zum Großraum Manchester gehört. Die Wahl ist nötig, weil der
       Unterhausabgeordnete der Labour Party, Paul Goggins, am 7. Januar im Alter
       von 60 Jahren gestorben ist. Labour setzte den Termin für die Nachwahl
       geschwind an, damit die Ukip so wenig Zeit wie möglich für eine effektive
       Wahlkampagne bleibt.
       
       Bickley hat früher selbst Labour gewählt. „Mein Vater war nicht nur
       Parteimitglied, er war auch Gewerkschaftsfunktionär“, sagt er. „Es war bei
       uns zu Hause keine Frage, wen wir wählen. Heutzutage würde er sich im Grab
       umdrehen: Labour vertritt die Arbeiterklasse längst nicht mehr. Die
       Menschen fühlen sich verraten.“ Er selbst war nirgendwo Parteimitglied, bis
       er 2011 in die Ukip eintrat.
       
       Er ist groß, sehr groß. Bickley hat dichte, graue Haare, die etwas
       hochstehen. Er trägt eine randlose Brille und einen dunkelblauen Anzug. Am
       Revers haftet die violette Ukip-Rosette. Er wurde vor 60 Jahren in
       Whythenshawe geboren, wo er auch zur Schule ging. Später arbeitete er für
       die Plattenfirmen EMI und MCA sowie die Filmproduktionen Paramount und
       Universal. Inzwischen hat er eigene Unternehmen für Videospiele und andere
       Hi-Tech-Programme. „Ich liebe Europa, aber nicht die Europäische Union“,
       sagt Bickley.
       
       „Großbritannien muss aus der EU raus. Wir können weiter Handel treiben,
       schließlich sind wir historisch eine große Handelsnation. Aber wir sollten
       uns wieder verstärkt dem Commonwealth zuwenden, der mit dem britischen
       EU-Beitritt ins Hintertreffen geraten ist.“ Großbritannien zahle täglich 55
       Millionen Pfund für das Privileg der Mitgliedschaft, aber die Direktiven
       aus Brüssel zerstörten britische Unternehmen und kosteten Jobs, moniert er.
       „Die beiden reichsten Nationen Europas, Norwegen und die Schweiz, sind
       nicht mal in der EU.“
       
       ## Vorbild Schweiz
       
       Das Schweizer Votum am Sonntag, die Immigration aus der EU einzuschränken,
       stößt bei Ukip-Vertretern auf Begeisterung. Parteichef Nigel Farage
       bezeichnete das Ergebnis als „wunderbare Nachricht für Freiheitsliebende in
       ganz Europa“. Die nun anstehenden Verhandlungen zwischen der EU und der
       Schweiz wird man in Großbritannien genau beobachten. Gelingt es der
       Schweiz, das Verhältnis zur EU trotz Beschränkung der Einwanderung relativ
       unbeschadet zu bewahren, würden Antiimmigrationsparteien wie die Ukip
       weiter Oberwasser bekommen.
       
       Auch deshalb ist die Nachwahl eines Unterhausabgeordneten in Wythenshawe
       und Sale East mehr als ein lokales Ereignis. Bisher hat die Ukip vor allem
       den Tories im Süden des Landes Stimmen abgenommen. Jetzt will die Partei
       zum ersten Mal der Labour Party in einer ihrer Hochburgen im Nordwesten
       Englands Stimmen abjagen. Und nächstes Jahr sind Parlamentswahlen.
       
       Der Wahlkreis ist in zwei ungleiche Hälften geteilt. Sale East ist relativ
       wohlhabend, hier stellen sogar die Tories drei von neun Stadträten.
       Wythenshawe dagegen ist nach Becontree in London die zweitgrößte
       Sozialbausiedlung des Landes. Sie wurde in den 1930er Jahren geplant, um
       die Menschen aus den Slums von Manchester zu holen. Doch erst 1975 bekam
       die Siedlung ein Einkaufszentrum, der Straßenbahnanschluss nach Manchester
       wird erst in zwei Jahren fertig. Wythenshawe ist eine Stadt für Autofahrer,
       aber nur 40 Prozent der Bewohner besitzen überhaupt eins. Die
       Arbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent.
       
       Ansonsten entspricht Wythenshawe nicht dem Bild, das man sich von einer
       Sozialbausiedlung macht: überwiegend Einfamilienhäuser, viele Bewohner sind
       inzwischen Eigentümer. Der Begriff „Gartenstadt“, oft auf
       Sozialbausiedlungen angewandt, hat hier seine Berechtigung. Es gibt viel
       Wald und zwölf Parkanlagen, darunter den unter Naturschutz stehenden großen
       Wythenshawe Park mit der Wythenshawe Hall aus dem Jahr 1540. Das
       historische Gebäude im Fachwerkstil gehört dem Stadtrat, es ist ziemlich
       heruntergekommen.
       
       Jemand hat an die Fassade einen handschriftlichen Zettel geklebt, auf dem
       steht, dass sich der Stadtrat ein neues Bürohaus baue, während er
       Wythenshawe Hall verkommen lasse. „Es ist an der Zeit, diese Leute
       abzuwählen“, heißt es weiter. Eine Alternative benennt der Schreiber nicht.
       
       ## „Die Ukip ist irrelevant“, sagt der Labour-Mann
       
       Es gebe keine Alternative zu Labour, meint ihr Kandidat Michael Kane. Auch
       er stammt aus Whythenshawe, seine Eltern sind 1955 aus Irland eingewandert.
       Er war bisher Stadtrat im benachbarten Northenden. Kanes Wahlkampagne
       konzentriert sich auf den Erhalt des Krankenhauses in Wythenshawe, wo er
       selbst zur Welt gekommen ist. In einem winzigen Raum im Forum, dem
       Einkaufszentrum von Wythenshawe, haben sich rund 25 Menschen versammelt.
       Andy Burnham, Gesundheitsminister im Labour-Schattenkabinett, ist extra aus
       London angereist.
       
       Es ist ein Heimspiel, man ist sich einig, dass die Tories Schuld an der
       Krise im Gesundheitsbereich und an den stark gestiegenen
       Lebenshaltungskosten haben. Und die Ukip? „Wir haben unsere eigene Agenda“,
       sagt Kane, ein kleiner Mann mit Stirnglatze. „Wir schauen nicht über unsere
       Schulter.“ Burnham assistiert ihm: „Die Ukip hat keine Antworten, die
       Partei ist irrelevant.“ Und sie habe immer wieder mit Entgleisungen ihrer
       Repräsentanten zu kämpfen.
       
       Im Januar hatte der Bezirksverordnete David Silvester behauptet, dass
       gleichgeschlechtliche Ehen gegen das Evangelium verstießen und deshalb
       Schuld an den Stürmen und Überschwemmungen trügen, unter denen
       Großbritannien derzeit zu leiden hat. Und der Ukip-Sprecher für den
       Commonwealth, Mujeeb ur Rehman Bhutto, war früher Chef einer Kidnapperbande
       in Pakistan.
       
       Auch John Bickley ist ins Zwielicht geraten. Vergangene Woche kam heraus,
       dass er vor einigen Jahren knapp 100.000 Pfund EU-Gelder eingestrichen hat,
       um eine seiner Firmen vor dem Bankrott zu retten. Das sei vor seinem
       Beitritt zur Ukip gewesen, verteidigt er sich.
       
       ## Das Wetter ist schuld
       
       „Die negativen Schlagzeilen scheinen uns bei den Meinungsumfragen nicht zu
       schaden“, behauptet Paul Nuttall, Ukip-Vizechef und Europaabgeordneter für
       die Region. Seine Partei, die seit den Europawahlen 2009 eine
       ernstzunehmende Größe ist, liegt laut Umfragen konstant bei rund 16
       Prozent.
       
       Paul Nuttall ist in Wythenshawe, um Bickley im Wahlkampf zu unterstützen.
       Zur Parteiveranstaltung ins Mountain Ash Pub ist allerdings nur ein Dutzend
       Menschen gekommen. „Das liegt wohl am Wetter“, sagt Bickley. Das Wirtshaus
       ist recht groß, es gibt einen Poolbillardtisch, an der Längswand hängen ein
       paar Spielautomaten. Der Kandidat unterhält sich mit den Gästen.
       
       „Die anderen Parteien erzählen nur Mist“, erklärt Ray Hendley. „Deshalb
       wähle ich Ukip.“ Der 36-jährige Tischler ist viel herumgekommen, er hat in
       Deutschland, den Niederlanden, sogar auf Bermuda gearbeitet. „Ich habe nie
       in meinem Leben einen Penny Stütze kassiert“, sagt er, „weder daheim noch
       im Ausland.“ Aber wenn Großbritannien aus der EU austräte, hätte er doch
       keine automatische Arbeitserlaubnis mehr in den EU-Ländern? „Dann muss man
       eben ein Visum beantragen.“ Den Tischler stört es, dass die anderen
       Parteien die Regionen vernachlässigen. Tatsächlich sind seit 2010 vier
       Fünftel aller Jobs im Privatsektor Londons entstanden, und auch der
       öffentliche Dienst legte in London zu, während im Rest des Landes
       Arbeitsplätze eingespart wurden.
       
       ## Bisher immr nur Zweite
       
       Graham Lowe hat sein Leben lang Labour gewählt, will sich aber an diesem
       Abend mit seiner Frau Avril die Ukip-Argumente anhören. „Die etablierten
       Parteien befürworten Windfarmen“, erklärt der 58-jährige Aufseher einer
       Lagerhalle. „Die Gewinner sind die Landbesitzer.“ Der Schwiegervater von
       Premierminister David Cameron kassiere 345.000 Pfund im Jahr, weil ein paar
       Turbinen auf seinem Land stünden. „Die Armen zahlen diese Subventionen.“
       
       Bickley drückt ihm das Parteiprogramm in die Hand. Was sagt es zu diesem
       Punkt? „Die Besessenheit mit den Emissionen steht vernünftigen Maßnahmen
       zum Schutz der Umwelt im Weg“, heißt es dort. „Windfarmen sorgen dafür,
       dass unsere Strompreise steigen.“ Lowe wird wohl Ukip wählen.
       
       In Wythenshawe und Sale East wird bei der Nachwahl am Donnerstag dennoch
       Labour gewinnen, das räumt auch John Bickley ein: „Aber wir kämpfen um
       einen guten zweiten Platz.“ Es wäre das sechste Mal bei Nachwahlen seit
       2010. Tories und Liberale Demokraten haben offenbar schon aufgegeben, von
       einer Wahlkampagne kann keine Rede sein.
       
       „Wir können aber nicht immer nur Zweiter werden“, sagt Paul Nuttall. Das
       Augenmerk liege auf den Kommunalwahlen am 22. Mai, parallel zu den
       Europawahlen. „Wenn wir dort eine starke Basis schaffen, ist der erste
       Abgeordnetensitz nicht weit“, glaubt er. „Und dann werden viele andere
       folgen.“
       
       12 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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 (DIR) was fehlt ...: ...Nigel Farages Oberlippe