# taz.de -- Hartz-IV-Kontrollen: Im Zweifel für das Jobcenter
       
       > „Selbstanzeige“ schützt Steuerhinterzieher vor Strafen. Bei
       > Hartz-IV-Empfängern werden schon 300 Euro überzahlte Leistung als
       > „Betrugsversuch“ gewertet.
       
 (IMG) Bild: Hat wirklich strenge Vorschriften: Das Jobcenter.
       
       BERLIN taz | Brigitte P., 52, früher mal Kleinselbstständige, lebte seit
       einigen Monaten von Hartz IV. Die Miete und die Nebenkosten bezahlte die
       Berlinerin per Dauerauftrag. Dass die Wohnkosten nach einer
       Betriebskostenminderung vor einigen Monaten sanken, teilte ihr die
       Hausverwaltung angeblich mit, den Brief habe sie aber nicht bekommen, sagt
       P.. Der Dauerauftrag lief weiter, die Hausverwaltung meldete sich nicht,
       sondern behielt ihre überhöhten Mietzahlungen ein. Doch P. bekam bald Post
       von der Staatsanwaltschaft in Berlin.
       
       „Im Ermittlungsverfahren gegen Sie wegen Betruges sind die Ermittlungen
       abgeschlossen", stand in dem Schreiben. P. sei „hinreichend verdächtig,
       einen Betrug durch Unterlassen der Mitteilung über reduzierte Betriebs- und
       Heizkosten“ begangen zu haben. Das Jobcenter hatte von P. die neuesten
       Heizkostenabrechnungen bekommen und im Unterschied zu P. die überzahlten
       Wohnkosten sofort bemerkt. Die Anzeige wegen Betruges folgte auf dem Fuße.
       
       „Betrug!“ sagt P., „aber ich habe doch nicht vorsätzlich gehandelt“. Das
       Jobcenter hätte zwar aufgrund der Kontoauszüge erkennen können, dass P. die
       überzahlte Miete nicht in die eigene Tasche steckte, sondern an die
       Hausverwaltung überwies. Aber das half ihr wenig. Erst ein Telefonat mit
       dem Staatsanwalt führte dazu, dass er von einer Anklage und Verurteilung
       absah. P. musste die überzahlte Miete zurückerstatten plus ein Bußgeld von
       180 Euro vom Regelsatz abstottern.
       
       Fälle wie die von P. begegnen vielen Sozialrechts-Anwälten öfter. „Wenn es
       um Hartz-IV-Empfänger geht, herrscht bei vielen Staatsanwälten und Richtern
       eine Vorverurteilungsmentalität, die ist manchmal schon unerträglich“, sagt
       Peter Deutschmann, auf Sozialleistungsbetrug spezialisierter Anwalt in
       Berlin. Die Jobcenter wählten im Zweifelsfall „immer die schlechteste
       Auslegung“ zuungunsten der Hartz-IV-Empfänger.
       
       ## Verspätete Meldung als "Betrugsversuch"
       
       Dabei reicht oft schon die gering verspätete Angabe eines Nebeneinkommens
       beim Jobcenter, um in die Kategorie „Betrug“ eingereiht zu werden. Manche
       Leistungsempfänger geben etwa ihr Nebeneinkommen erst dann an, wenn sie das
       Geld wirklich bekommen – in prekären Branchen ist das sogar
       nachvollziehbar. „Das kann schon als Betrugsversuch gewertet werden“, so
       Deutschmann.
       
       Er hat zudem den Fall einer 19jährigen erlebt, die ein Sparkonto vom
       Großvater auf ihren Namen auflöste und einige tausend Euro abhob, da sie
       mit der Familie zerstritten war. Etwas später musste die junge Frau
       Hartz-IV-Leistungen beantragen. Sie gab das Geld nicht an, weil sie
       glaubte, das Ersparte von 7.000 Euro übersteige nicht die Freibeträge. Doch
       dies war hinsichtlich von rund 1.000 Euro nicht der Fall, wie das Jobcenter
       feststellte. Der Fall mündete in ein Strafverfahren vor dem
       Jugendstrafgericht.
       
       ## Im Regelfall gilt „Vorsatz“
       
       Der Paragraph 63 im Sozialgesetzbuch II sieht schon ein Bußgeld vor, wenn
       Auskünfte über Einkommen und Vermögensverhältnisse nicht rechtzeitig oder
       nicht vollständig angegeben werden. Dabei spielt der „Vorsatz“ eine große
       Rolle. „Im Regelfall wird Vorsatz vorliegen“, heißt es in den „Fachlichen
       Hinweisen“ für die Jobcentermitarbeiter zu den Bußgeldvorschriften.
       
       Ob ein Fall von Leistungsmissbrauch an die Staatsanwaltschaft
       weitergeleitet wird, entscheiden dabei die Jobcenter. Wird dem Empfänger
       nicht nur Fahrlässigkeit oder grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen, sondern
       Vorsatz, „dann wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet“, so eine
       Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA).
       
       ## „Unwissenheit“ nur in Ausnahmen
       
       Dabei spielt auch die überzahlte Summe eine Rolle. Hat das Jobcenter wegen
       der fehlenden Angaben zuviel Leistung gezahlt und übersteigt die Summe den
       Betrag von 300 bis 500 Euro, werde in der Regel „von einem Betrugsversuch
       ausgegangen“, berichtet Deutschmann aus der Praxis.
       
       Nur in nachweisbaren Fällen, dass der oder die Leistungsempfängerin die
       Vorschriften nicht kannte, etwa weil früher der Vater oder der Ehemann die
       Anträge ausfüllte, können die Jobcenter von der Annahme des „Vorsatzes“
       absehen. Doch die Kriterien sind streng. Den Leistungsempfängern werden bei
       Antragsstellung „über die Merkblätter soviele Informationen gegeben, dass
       man davon ausgehen kann, dass sie ihre Pflichten kennen“, sagt ein Sprecher
       der Agentur für Arbeit in Berlin-Mitte. Sich auf Unwissenheit zu berufen,
       hilft den Leistungsempfängern daher meistens nicht.
       
       Im Unterschied zur Steuerhinterziehung sichert eine „Selbstanzeige“, also
       das verspätete Nachreichen von Daten keine Straffreiheit. Schließlich ist
       die verspätete Meldung von Nebeneinkommen beim Jobcenter ja schon in sich
       ein Tatbestand der Ordnungswidrigkeit. Eine „Selbstanzeige“ reduziert
       lediglich die Bemessung des Bußgeldes, dass bei falschen Angaben zu den
       Einkommens- und Vemögensverhältnisse bei einer Fahrlässigkeit bis zu 2.500
       Euro, bei Vorsatz bis zu 5.000 Euro betragen kann.
       
       Von den 136.000 erledigten Fällen von Missbrauch von Hartz-IV-Leistungen im
       Jahre 2013 sind 55.431 wegen eines Straftatverdachts an die
       Staatsanwaltschaft abgegeben worden. Der Trend ist zum Vorjahr allerdings
       leicht rückläufig.
       
       14 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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