# taz.de -- Rassistische Wissenschaft: Der Schreck sitzt in den Knochen
       
       > Für die Erforschung der menschlichen „Rassen“ brachten Sammler einst
       > Tausende Gebeine aus den Kolonien nach Berlin. Um den Umgang damit wird
       > heute hart gerungen.
       
 (IMG) Bild: Einer von tausenden Totenschädeln aus der anthropologischen Sammlung der Charité. Dieser und 19 andere wurden 2011 an Namibia zurückgegeben, sie stammten aus dem Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama.
       
       Ein besonders brisantes Erbstück der Kolonialzeit lagert in einem Depot in
       Friedrichshagen. Hier werden die Gebeine von etwa 10.000 Menschen
       konserviert. Diese „Human Remains“, so der Fachausdruck, sammelten
       Wissenschaftler, Kaufleute, Abenteurer im 19. und frühen 20. Jahrhundert in
       allen Teilen der Welt. Interessiert waren vor allem Forscher, die den in
       Mode gekommenen „Rassen“ auf der Spur waren.
       
       Auch die damals neuen Völkerkundemuseen in Europa hatte die Sammelwut
       gepackt. So bat etwa der Leiter der Afrika- und Ozeanien-Abteilung des
       Berliner Völkerkundemuseums, Felix von Luschan, 1908 einen Sammler gleich
       um „größere Serien von Schädeln“. Um die Nachfrage zu stillen, gingen die
       Sammler oft skrupellos vor: Sie plünderten Gräber, bezahlten
       Auftragsmörder, beschafften Köpfe von Hingerichteten. In den meisten Fällen
       ist die Herkunft der Knochen jedoch nicht bekannt.
       
       Heute fordern immer mehr Herkunftsgesellschaften die Herausgabe der Gebeine
       ihrer Vorfahren: Man will sie würdig bestatten, in eigenen Museen
       ausstellen – auf jeden Fall selbst über sie bestimmen. Namibia, Australien
       und Paraguay haben bereits einiges aus Berlin zurückbekommen. Dennoch
       werfen Organisationen wie No Humboldt 21 und der Verein Berlin Postkolonial
       den Verantwortlichen vor, die Bestände nicht transparent zu machen und ihre
       Rückgabe nicht offensiv anzubieten.
       
       Die Trägerin der Berliner Museen, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz
       (SPK), ist in der Sache nicht sehr gesprächig. Im Dezember baten das
       Tansania-Netzwerk und Berlin Postkolonial die SPK um Aufklärung über
       menschliche Überreste aus Tansania im Besitz der Museen. Die Antwort: In
       den Sammlungen „befinden sich keine menschlichen Reste aus Tansania“.
       
       Kenner der Materie hat die Antwort überrascht. „Natürlich hat Berlin
       Knochen aus Ostafrika“, sagt etwa der Sozialwissenschaftler Heiko Wegmann.
       Mindestens die mehr als 1.000 Schädel der Expedition des Herzogs Adolf
       Friedrich zu Mecklenburg 1907/08 nach Deutsch-Ostafrika – heute Ruanda,
       Burundi und Tansania – seien in den Berliner Beständen. Wegmann berichtet,
       aus den Aufzeichnungen des Anthropologen Jan Czekanowski von dieser
       Expedition gehe hervor, dass die Schädel teilweise bei Grabschändungen
       gesammelt wurden. „Die Sammlung ist auf jeden Fall ethisch problematisch“,
       so Wegmanns Urteil.
       
       ## Wer ist zuständig?
       
       Die Frage bleibt: Wer ist für die Rückgabe zuständig? Die
       Mecklenburg-Schädel sind Teil der Sammlung des ehemaligen
       Völkerkundemuseums, die Knochen von rund 6.000 Menschen umfasst. Die
       übernahm 2004 das Medizinhistorische Museum der Charité. Daneben gibt es
       noch die Sammlung des berühmten Pathologen und Anthropologen Rudolf Virchow
       für die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und
       Urgeschichte (BGAEU). Beide Sammlungen wurden bis 2011 in der Charité
       aufbewahrt, dann kamen sie ins Friedrichshagener Depot der SPK. Die Charité
       behielt Gebeine von etwa 250 Menschen aus Namibia und Australien, zu denen
       es bereits Rückgabeforderungen gab. Um ihre Herkunft festzustellen, wurden
       diese Schädel und Knochen und die Umstände ihrer Beschaffung im Human
       Remains Project über drei Jahre erforscht. In den kommenden Monaten sollen
       sie zurückgegeben werden. Die anderen Gebeine aus der Charité wechselten
       den Besitzer – und gingen nach taz-Informationen per Schenkung an die SPK.
       
       Dort heißt es, man „verwalte“ die Sammlung nur und suche nach einer anderen
       „Einrichtung“, die sie künftig betreuen soll. Kritiker befürchten, dass
       damit die private BGAEU gemeint ist – so wären Bund und Land, denen die SPK
       gehört, ihre Verantwortung für das schwierige Erbe los. Gegenüber der taz
       mochten SPK und BGAEU solche Gespräche nicht kommentieren.
       
       Der Vorsitzende der BGAEU und Leiter des Fachreferates Südsee und
       Australien im Ethnologischen Museum, Markus Schindlbeck, warnt vor einer
       pauschalen Verurteilung der Sammlungen. Grabschändungen oder Auftragsmorde,
       um an Knochen zu kommen, habe es zwar gegeben, „aber das war nicht der
       Regelfall“. Manche Ethnien hätten mit den Sammlern zusammengearbeitet und
       Schädel eingetauscht, andere hätten sich dem verweigert. „Man darf die
       indigene Seite nicht pauschal als Opfer darstellen“, betont er.
       
       ## Wer hat die Bringschuld?
       
       Gegen eine vorschnelle Abgabe ist auch die Anthropologin Barbara Teßmann,
       die die Sammlung der BGAEU in Friedrichshagen betreut. Bislang seien die
       Gebeine kaum erforscht, viele Museen oder Sammlungen seien aus
       Personalmangel noch nicht dazu gekommen. Die meisten Knochen seien bis vor
       Kurzem in ihrer Originalverpackung des einstigen Sammlers oder in Zeitungen
       aus den 1940er Jahren verpackt gewesen. Für die Wissenschaft seien sie aber
       heute sehr wichtig: „Es gibt Anfragen von Alzheimerforschern aus den USA“,
       andere suchten in den Gebeinen nach Ursachen für Krankheitsresistenzen.
       Dazu kämen historische Forschungen etwa zu den Ernährungsgewohnheiten einer
       Gruppe.
       
       Markus Schindlbeck plädiert für die sorgsame Begutachtung jedes
       Einzelstücks, um herauszufinden, ob es in einem „Unrechtskontext“ beschafft
       wurde – und zurückgegeben werden müsste. So sieht es auch der Deutsche
       Museumsbund in seiner Empfehlung zum Umgang mit menschlichen Gebeinen vor,
       die Schindlbeck mitformuliert hat.
       
       Christian Kopp, Vorstandsmitglied von Berlin Postkolonial, ist das zu
       wenig. Die Museen müssten aktiv werden, dazu seien sie laut den „Ethischen
       Richtlinien für Museen“ des International Council of Museums verpflichtet.
       „Außerdem wissen die Herkunftsländer ja meist gar nicht, wo genau die
       Sachen liegen und wo sie anfragen sollen.“
       
       Auch die Museen seien damit überfordert, die Erwerbsumstände aller Objekte
       zu überprüfen, sagt Thomas Schnalke, Leiter des Human Remains Project. Er
       schlägt vor, eine ständige Arbeitsgruppe einzurichten, die Anfragen
       bearbeiten und „auch proaktiv wirken könnte“. Die Idee ist nicht neu: Die
       SPK hat bereits eine Stelle zur Provenienzforschung – für geraubte Kunst.
       
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       22 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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